Stimmt das: „Die Liebe hört niemals auf“? Bei Gott sicher! Und bei uns? Nun, ich glaube: Die Sehnsucht nach Liebe hört nie auf!
Stimmt das: „Die Liebe hört niemals auf“? Bei Gott sicher! Und bei uns? Nun, ich glaube: Die Sehnsucht nach Liebe hört nie auf!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 30. Sonntag im Jahreskreis,
26. Oktober 2008 (Mt 22,34-40)
Viele fragen sich in diesen Tagen dramatischer Krisen: Was hält wirklich? Was hat keinen Kursverfall? Was kann von keiner Finanzkrise vernichtet werden? Das heutige Evangelium gibt die klare und knappe Antwort: Nur die Liebe hält; nur die Liebe zählt! „Die Liebe hört niemals auf“, sagt Paulus in seinem großen Loblied auf die Liebe (1. Korintherbrief, Kap.13). Sie ist vor Kursabstürzen sicher. Wer in sie investiert, hat nie fehlinvestiert.
Die Frage, was denn wirklich haltbar, wesentlich, wichtig ist, hat zu allen Zeiten die beschäftigt, die durch eine Krise geschüttelt werden. „Welches Gebot ist das wichtigste?“ Diese Frage wird Jesus gestellt, als Falle, als Provokation, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Aber vielleicht auch aus einem ehrlichen Ringen. Es gibt so viele Gebote. Kurz gefasst sind es die Zehn Gebote, genauerhin zählt aber die Bibel über 600 Gebote auf. Wer soll sich die merken? Wie herausfinden, was für das Leben wirklich wichtig ist?
Jesus kann diese vielen Einzelgebote und Vorschriften kurz und bündig auf ein (Doppel-)Gebot zurückführen: Liebe Gott! Liebe deinen Nächsten! Da ist alles drin. Wer diese beiden Gebote hält, der hat alle gehalten, denn alle sind im Gebot der Liebe mitenthalten. Paulus macht das deutlich, wenn er aufzählt, was die Liebe alles tut oder nicht tut: „Sie ist langmütig, gütig, sie ereifert sich nicht, prahlt nicht, bläht sich nicht auf, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach, sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem Stand. Die Liebe hört niemals auf.“
Ist das so? Kann die Liebe nicht sterben? Kennt sie nicht auch wilde Schwankungen wie die Börsenkurse, einmal ganz hoch, dann Absturz in die Tiefe? Es stimmt schon: Die Liebe kann erkalten, sie kann in Hass umkippen. Aber genau deshalb ist sie ja ein Gebot. Gebote gibt es nur in Bereichen, in denen wir gefährdet sind. Das wichtigste Gebot gilt dem, was im Leben am wichtigsten ist und daher am gefährdetsten.
Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe erfordert von uns Anstrengung, Selbstüberwindung, tägliches Bemühen. Die Bequemlichkeit, die Nachlässigkeit können die Liebe erstarren und sterben lassen. Die Liebe muss gepflegt werden, kultiviert, es muss ständig an ihr gearbeitet, für sie gekämpft werden. Sonst verfällt ihr Kurswert. Wenn die Gottesliebe geübt, gelebt wird, dann kommen alle Bereiche des Lebens ins Lot. Wer den Nächsten liebt, der wird alle anderen Tugenden des Zusammenlebens pflegen: Gerechtigkeit und Tapferkeit, Klugheit und Maß.
Es stimmt einfach: Ohne die Liebe ist nichts im Leben in Ordnung. Sie ist das Maß, das alles stimmig macht. Gerechtigkeit ohne Liebe wird hartherzig. Klugheit ohne Liebe wird List und Schläue. Stärke ohne Liebe wird schnell brutal. Tapferkeit ohne Liebe wird waghalsig. Alles wird erst richtig menschlich, wenn es von der Liebe „durchformt“ ist.
Stimmt das: „Die Liebe hört niemals auf“? Bei Gott sicher! Und bei uns? Nun, ich glaube: Die Sehnsucht nach Liebe hört nie auf!
In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen.
Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot.
Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.