"Vor ihm zählt nicht der menschliche Ruhm, der weltliche Erfolg, nicht Reichtum und Gesundheit. Was aber gilt in den Augen des unbestechlichen Richters?", so Kardinal Schönborn.
"Vor ihm zählt nicht der menschliche Ruhm, der weltliche Erfolg, nicht Reichtum und Gesundheit. Was aber gilt in den Augen des unbestechlichen Richters?", so Kardinal Schönborn.
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 23. November 2014. (Matthäus 25,31-46)
Wer kennt nicht Michelangelo’s "Jüngstes Gericht" in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan!
Gewaltig in der Mitte die Gestalt Jesu, des Richters. Die zu seiner Rechten steigen auf aus ihren Gräbern, himmelwärts. Die zu seiner Linken stürzen hinab. Der Feuerschlund lässt den Ort der Verdammten ahnen.
Heute, am letzten Sonntag des Kirchenjahres, wird das lange Evangelium vom Weltgericht gelesen. Zwei Mal schon habe ich an einem Konklave teilgenommen, bei der Wahl von Papst Benedikt XVI., 2005, und bei der von Papst Franziskus im Jahr 2013. Einer nach dem anderen gingen wir 115 Kardinäle nach vorne, um unsere Stimmen abzugeben. Bei jedem Wahlgang neu der Blick hinauf zum Weltenrichter, zur Christusgestalt. Der Ernst des Momentes wurde wohl jedem von uns bewusst. Vor ihm zählt nicht der menschliche Ruhm, der weltliche Erfolg, nicht Reichtum und Gesundheit. Was aber gilt in den Augen des unbestechlichen Richters? Wer entscheidet über rechts und links, über Himmel und Hölle? Gibt es überhaupt eine so dramatische Entscheidung? Ist Christus nicht letztlich doch der ganz barmherzige Richter, vor dem nur das Erbarmen mit uns allen, uns armen Sündern zählt?
Diese Frage hat mich besonders bewegt, als ich bei jedem neuen Wahlgang 2005 und 2013 vor Michelangelo’s Weltgericht stand. Was entscheidet denn wirklich über unser ewiges Geschick? Und jedes Mal kam mir neu das heutige Evangelium in den Sinn. Wie sähe ein Gemälde aus, das genau dieses große Bild Jesu vom Endgericht wiedergäbe? Ich denke: ganz anders! Da wären sie alle zu sehen, die zahllosen Hungernden und Dürstenden, Fremden und Obdachlosen, Nackten, Kranken und Gefangenen. Nur sie wären zu sehen. Kein gewaltiger Christus. Und an einem entscheidet sich alles: ob wir sie sehen. Ob wir sie wahrnehmen. Ob wir ein Herz für sie haben. "Was ihr für sie getan habt, das habt ihr für mich getan", sagt Jesus. Heute schon findet das Jüngste Gericht statt. Heute schon kann ich den Himmel gewinnen - oder verlieren. Der Schlüssel zum Himmel ist in meine Hand gelegt. Aber das Tor zum Himmel können mir nur die Armen öffnen. Denn Jesus begegnet uns in ihnen.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden von ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Erde für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er sich an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.
Gedanken zum EvangeliumWöchentlicher Evangelienkommentar von Kardinal Christoph Schönborn. |