Jesus hat die Frau, die weinend vor dem Grab stand, gefragt: „Warum weinst du?“ Warum trauen wir uns so oft nicht, diese einfache Frage zu stellen? Warum ist es uns peinlich? Warum wenden wir uns ab und gehen weiter? Tränen sind doch eine Sprache.
Jesus hat die Frau, die weinend vor dem Grab stand, gefragt: „Warum weinst du?“ Warum trauen wir uns so oft nicht, diese einfache Frage zu stellen? Warum ist es uns peinlich? Warum wenden wir uns ab und gehen weiter? Tränen sind doch eine Sprache.
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 5. April 2015. (Johannes 20,10-18)
Unvergesslich, auch wenn es schon lange her ist: ein Szene in Hongkong. Bei der Fähre zwischen Caoloon und Hongkong. Tausende Menschen hasten hin und her. Alle haben es eilig. Da, am Rand bei der Reling, am Boden kauernd, eine arme Frau. Sie weint herzzerreißend. Sie schluchzt laut. Niemand bleibt stehen. Keiner fragt sie, warum sie weint. Auch ich nicht. Ich habe mich nicht getraut: Ich war verlegen. Ich bin ja hier ein Fremder, nur Gast, Tourist. Und so ging ich weiter, geschoben von der Menge, auf das Fährboot. Ich sah noch vom Boot aus die weinende Frau. Dann verschwand das Bild. Aber vergessen kann ich es bis heute nicht. Es war vor fast 40 Jahren.
Jesus hat die Frau, die weinend vor dem Grab stand, gefragt: „Warum weinst du?“ Warum trauen wir uns so oft nicht, diese einfache Frage zu stellen? Warum ist es uns peinlich? Warum wenden wir uns ab und gehen weiter? Tränen sind doch eine Sprache. Sie sagen etwas, ohne Worte, oft mehr als Worte. Wie sehr kann diese einfache Frage helfen: Warum weinst du? In ihr liegt so viel Zuwendung. Sie sagt das Mitgefühl und berührt das Herz des Weinenden. Was brauchen wir mehr in Momenten der Trauer als zu wissen, dass wir nicht alleine gelassen sind. Und wie gut kann es tun, wenn jemand mit uns weint.
So beginnt der Ostermorgen mit Tränen und Mitgefühl. Die Trauernde am Grab des geliebten Menschen bleibt nicht alleine. Maria von Magdala kam an diesem Morgen ganz früh schon, als es noch dunkel war, zum Grab Jesu. Ihr Schmerz über den Tod des geliebten Meisters lässt sie nicht ruhen. Es drängt sie, zu ihm zu gehen. Natürlich weiß sie, dass sein Leichnam nicht er selber ist. Er ist bei Gott. Aber das, was von ihm auf Erden bleibt, ist sein Leichnam. Deshalb sagen wir ja auch, dass wir unsere lieben Verstorbenen besuchen, wenn wir an ihr Grab gehen. Wir wissen genau: Was da im Grab liegt, ist nur die sterbliche Hülle, nicht die Person des Verstorbenen. Aber das Grab gibt uns das Empfinden, ihm nahe zu sein.
„Wohin hast du ihn gelegt?“ Maria von Magdala sagt, was wir meist empfinden, wenn wir nach dem Grab eines geliebten Menschen suchen: „Wo liegt er?“ Maria klammert sich an den Leichnam Jesu, weil er das einzige ist, was ihr von ihm geblieben ist. Und das ist ihr nun auch noch genommen worden: „Sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.“
Doch da beginnt etwas ganz Neues: Zum ersten Mal. Sie ist die Allererste, die diese Erfahrung machen darf. Und sie ist die Erste, die davon anderen erzählen kann. Sie ist die erste Zeugin der Auferstehung. Sie durfte als erster Mensch dem Auferstandenen begegnen. Und das geschah ganz schlicht und ganz persönlich. Keine Medien, keine neugierige Menge. Nur die beiden. Nur Jesus und die weinende Frau. Und alles ereignet sich mit einem einzigen Wort. Der, den sie für den Gärtner hält, spricht sie nur mit einem Wort an: Er nennt sie bei ihrem Namen. Er sagt: Maria! Nur an diesem Wort erkennt sie ihn. Weil sie seine Stimme erkennt. Weil sie weiß, dass er sie kennt, und dass er es ist: Jesus selber.
Wir können viel von Jesus wissen: Was in der Bibel über ihn steht, über sein Leben, seine Worte. Aber all das könnte einfach ferne Vergangenheit sein. Dass Jesus lebt, das wissen wir vor allem von denen, die er beim Namen genannt hat, die sich von ihm persönlich angesprochen wissen, die zu ihm eine lebendige Beziehung haben. Und die wissen: Er fragt auch heute: Warum weinst du? Und geht nicht an unseren Tränen und unserem Schmerz vorbei. Das ist für mich die Botschaft des Ostermorgens.
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Die Engel sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern, und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte.
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