Uneinigkeit ist eine arge Wunde. Wir erleben es zur Zeit schmerzlich in Europa. Nach dem mörderischen Gegeneinander der beiden Weltkriege begann eine große Friedensbewegung. Europa wollte eins sein.
Uneinigkeit ist eine arge Wunde. Wir erleben es zur Zeit schmerzlich in Europa. Nach dem mörderischen Gegeneinander der beiden Weltkriege begann eine große Friedensbewegung. Europa wollte eins sein.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am 8. Mai 2016 (Joh 17,20-26)
Wenige Worte Jesu wurden in den letzten Jahrzehnten so oft zitiert wie diese Bitte, dieses Gebet. Es ist wie ein Testament Jesu. Denn kaum hatte er sein Gebet beendet, stand er auf und ging hinaus in die Nacht, in den Garten Getsemani, am Fuß des Ölbergs, wo er dann verhaftet wurde und sein Weg zum Kreuz begann.
Das lange Gebet Jesu an Gott, den er Vater nennt, enthält all seine Anliegen, sozusagen seine letzten Wünsche auf Erden. Und unter allen diesen Bitten ragt die eine besonders hervor: „Alle sollen eins sein!“
Uneinigkeit ist eine arge Wunde. Wir erleben es zur Zeit schmerzlich in Europa. Nach dem mörderischen Gegeneinander der beiden Weltkriege begann eine große Friedensbewegung. Europa wollte eins sein. Die alten Feindschaften überwinden, die Grenzen abbauen, die Gemeinsamkeit stärken. Heute ist das Projekt der europäischen Einigung neuen Spannungen ausgesetzt. Die Mitgliedsländer schauen auf ihre eigenen Interessen, beginnen sich abzuschotten, drohen mit dem Austritt.
Aber hat Jesus für diese Art von Einheit gebetet? Er hatte ja kein politisches Programm. Er wollte nicht ein weltliches Reich errichten. Er betet um die Einheit derer, die an ihn glauben. „Alle sollen eins sein“ – das war und ist das Leitwort der Einigung aller Christen, der sogenannten ökumenischen Bewegung. Aber auch hier geht es eher schleppend voran, nicht nur bei der europäischen Einigung. Die Christen sind einander näher gekommen, aber immer noch nicht „vollendet in der Einheit“. Und das schadet nach wie vor der Glaubwürdigkeit des Christentums. Was fördert die Einheit? Und was bedroht sie? Man sagt: Einheit macht stark. Das stimmt. Aber nicht jede Einheit ist gut. Eine Räuberbande ist auch einig in ihren Absichten. Familien können einig sein in ihrem Egoismus, ihrem Stolz. Länder können einig sein in der Feindschaft gegen andere. Das ist sicher nicht die Einheit, um die Jesus den Vater gebeten hat.
Heute erleben viele Christen eine andere Art von Einheit: sie werden alle gemeinsam verfolgt. Das schreckliche Selbstmordattentat in Lahore in Pakistan, wo dutzende Christen, darunter viele Kinder, in den Tod gerissen wurden, machte keinen Unterschied, welcher christlichen Konfession sie angehörten. Alle waren Christen. Alle sollten sterben.
Bei meinem Besuch bei den über hunderttausend christlichen Flüchtlingen im Nordirak durfte ich diese Einheit erleben, egal welcher Kirche oder Konfession sie angehören. Und da konnte ich ahnen, worum es Jesus in seinem Gebet ging: Unter diesen Flüchtlingen bin ich vielem Leid begegnet, aber keinem Hass. Die Kämpfer des IS („Islamischer Staat“) haben sie vertrieben, ihnen alles geraubt. Aber sie ließen sich nicht in den Hass treiben, auch wenn sie sich danach sehnen, in ihre Häuser, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Die Einheit, die Jesus für uns alle erbeten hat, ist die des Verzeihens und der Liebe. Nur sie ist glaubwürdig und haltbar!
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt. Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.
Ostern - Jesus ist auferstanden!
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