Nicht alle römischen Soldaten waren damals so edel wie der Hauptmann von Kafarnaum. (Foto: Passionsspiele Kirchschlag)
Nicht alle römischen Soldaten waren damals so edel wie der Hauptmann von Kafarnaum. (Foto: Passionsspiele Kirchschlag)
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am 29. Mai 2016 (Lk 7,1-10)
Man stelle sich das vor: Ein hoher Offizier der römischen Besatzungsarmee lässt einem Bürger des besetzten Landes sagen: „Ich bin nicht würdig, dass du mein Haus betrittst!“ Von fremden Armeen ist man anderes gewohnt. Sie beschlagnahmen, was sie brauchen, nehmen sich, was sie wollen, und behandeln die Menschen des besetzten Landes wie Sklaven.
Was bewog diesen Offizier, so demütig zu sein, wo ihm doch ein ganz anderes Auftreten möglich gewesen wäre? Das erste, was mir auffällt: Der Hauptmann sorgt sich um seinen Diener. Es geht ihm nicht um seine eigenen Angelegenheiten, er hat ein Herz für die Anderen, nicht nur die Großen und Wichtigen, sondern die Kleinen, die Untergebenen. Darin ist er ein Vorbild. Er hat Soldaten unter sich. Aber er unterjocht sie nicht. Sie sind ihm so wichtig, dass er alles tut, um ihnen zu helfen.
Aber auch als Besatzungsoffizier benimmt er sich ausgesprochen edel den Einheimischen gegenüber: „Er liebt unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut.“ Auch bei uns in Österreich gibt es solche Erfahrungen in der Besatzungszeit. Darin ist der römische Hauptmann wiederum vorbildlich. Er denkt nicht nur an seine eigenen Leute, er hilft auch den Menschen im besetzten Land.
Diese Großzügigkeit kommt aber noch stärker zum Ausdruck in seiner Haltung gegenüber der Religion des besetzten Landes. Er weiß, dass strenggläubige Juden nicht das Haus eines Heiden betreten dürfen. Um Jesus nicht in Verlegenheit zu bringen, bittet er erst gar nicht, er möge in sein Haus kommen. Ja, er geht so weit, dass er Jesus gar nicht selber unter die Augen tritt, so groß ist sein Respekt vor der Religion des anderen.
Und als wäre das noch nicht genug an Bescheidenheit, drückt er sein großes Vertrauen in Jesus in einem Vergleich aus: Er als Offizier braucht nur ein Wort des Befehles sprechen und schon führen die Soldaten seinen Befehl aus. Jesus braucht der Krankheit nur mit einem Wort zu befehlen, und schon ist sein Knecht gesund. Jesus ist fast sprachlos vor dieser Haltung: So einen Glauben habe ich bei uns nicht gefunden!
Warum aber dieses „Ich bin nicht würdig“, „Ich bin es nicht wert“? Ist das nicht eine ungesunde Haltung? Macht er sich nicht da selber allzu klein? Ist das gar eine „kriecherische“ Einstellung? Es lohnt sich, diese Frage heute zu stellen. Denn in unserer Gesellschaft herrscht oft ein Anspruchsdenken vor: Wir wissen genau, was uns zusteht, was wir fordern können, worauf wir Anspruch anmelden können. Daran ist viel Gutes. Es ist nicht recht, immer von der (willkürlichen) Gnade anderer abhängig zu sein. Es ist ein Fortschritt, dass soziale Hilfe gesetzlich geregelt wird, und nicht nur von der Laune des Vorgesetzten abhängen.
Aber die entscheidenden Dinge des Lebens können wir nicht einfordern, sondern nur erbitten: Liebe lässt sich nicht erzwingen. Anerkennung dürfen wir erhoffen. Freiwillige Hilfe kann nur frei geschenkt werden. „Ich bin nicht würdig“, das heißt mit anderen Worten: Ich bitte dich darum! Der Hauptmann war sich nicht zu gut, um für seinen Diener zu bitten. Wenn wir nur mehr nach seinem Vorbild miteinander umgehen würden!
Als Jesus diese Rede vor dem Volk beendet hatte, ging er nach Kafarnaum hinein. Ein Hauptmann hatte einen Diener, der todkrank war und den er sehr schätzte. Als der Hauptmann von Jesus hörte, schickte er einige von den jüdischen Ältesten zu ihm mit der Bitte, zu kommen und seinen Diener zu retten. Sie gingen zu Jesus und baten ihn inständig. Sie sagten: Er verdient es, dass du seine Bitte erfüllst; denn er liebt unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut. Da ging Jesus mit ihnen. Als er nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, schickte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen: Herr, bemüh dich nicht! Denn ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst. Deshalb habe ich mich auch nicht für würdig gehalten, selbst zu dir zu kommen. Sprich nur ein Wort, dann muss mein Diener gesund werden. Auch ich muss Befehlen gehorchen, und ich habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. Jesus war erstaunt über ihn, als er das hörte. Und er wandte sich um und sagte zu den Leuten, die ihm folgten: Ich sage euch: Nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden. Und als die Männer, die der Hauptmann geschickt hatte, in das Haus zurückkehrten, stellten sie fest, dass der Diener gesund war.
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