Jesus führt uns, seine Hörer und Leser, vor die ganz persönliche Frage: Wie steht es in deinem Leben mit der Liebe?
Jesus führt uns, seine Hörer und Leser, vor die ganz persönliche Frage: Wie steht es in deinem Leben mit der Liebe?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 12. Juni 2016 (Lk 7,36-50)
Weil sie viel geliebt hat, ist ihr viel vergeben worden! Liebe und Verzeihen: Das ist das große Thema dieses wunderbaren Evangeliums. Ohne Liebe ist alles hohl und leer. Warum haben wir so viel Angst vor der Liebe?
Zwei Personen stehen mit Jesus im Blickpunkt dieses Evangeliums: ein anständiger, frommer Mann und eine als unanständige Sünderin geltende Frau. Sie hat ihre Ehre verloren, er ist ein geehrter, angesehener Mann. Sie lebt mit der Last der Verachtung, er erfreut sich des guten Rufes. In diesem Gegenüber von zwei ganz gegensätzlichen Lebenssituationen wird schließlich die Sünderin als die Größere erscheinen. Der Pharisäer muss erkennen, dass sie mehr Liebe hat als er. Und damit führt Jesus uns, seine Hörer und Leser, vor die ganz persönliche Frage: Wie steht es in deinem Leben mit der Liebe?
Spontan verstehe ich die Empörung des Gastgebers über diese aufdringliche Frau, die das Gastmahl mit ihrem Schluchzen und ihrem Verhalten stört. Er hat Jesus als Ehrengast zu Tisch geladen. Alle reden von dem Rabbi aus Nazareth, der so große Wunder wirkt. Ihm, dem Pharisäer, ist es gelungen, den berühmten Jesus als Gast in sein Haus zu bekommen. Das Mahl beginnt.
Da drängt sich eine ortsbekannte Frau zu Jesus durch und beginnt bitter zu weinen. Peinliche Stille! Doch damit nicht genug. Sie salbt Jesus die Füße, küsst sie innig, ihre Tränen rinnen über seine Füße, und mit ihren Haaren trocknet sie die Tränen ab. Jesus lässt sie tun, was ihr Herz verlangt.
Der Gastgeber zweifelt an Jesus: „Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.“ Weil Jesus wirklich ein Prophet ist, weiß er, was sein Gastgeber denkt! Und jetzt gibt er ihm (und uns!) eine Lektion, die er wohl nie vergessen hat und die uns hoffentlich unvergesslich bleibt.
Es ist eine harte, aber ehrliche Abrechnung mit dem Pharisäer: Du hast mich eingeladen? Gut, aber es ging dir mehr um deine Ehre, einen berühmten Mann als Gast zu haben. Dafür hast du mir aber wenig Ehre erwiesen, und noch weniger Liebe! Diese Frau, die du als große Sünderin siehst, hat mir echte Liebe gezeigt, anders als du. Sie mag eine große Sünderin sein. Bist du ohne Sünde? Sie hat Liebe gesucht und geschenkt, wenn auch auf sündige Weise. Dein Stolz, deine allen gezeigte Frömmigkeit haben dich hartherzig gemacht. Du verachtest sie, bist aber selber weit hinter ihr, was die Liebe betrifft. Was zählt schon schließlich im Leben? Wonach werden wir einmal beurteilt? Nur danach: Hast du geliebt?
In jener Zeit ging Jesus in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist. Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister! Jesus sagte: Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast Recht. Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir zur Begrüßung keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!
Mehr über Kardinal Christoph Schönborn