Franz Fischler war EU-Kommissar für Landwirtschaft (1995-2004), heute ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach.
Franz Fischler war EU-Kommissar für Landwirtschaft (1995-2004), heute ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach.
Der Europa-Experte Franz Fischler spricht im „Sonntag“-Interview über die künftige Entwicklung Europas.
„Der Sonntag": Vor 25 Jahren stellte Österreich den Antrag auf den EU-Beitritt. Nächstes Jahr sind es 20 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Franz Fischler: Wenn man diese 20 Jahre Revue passieren lässt, dann muss man zum einen feststellen, dass unserem Land der Beitritt ungemein gut getan hat. Es ist vor allem in den ersten Jahren ein Modernisierungsschub durch Österreich gegangen. Für die österreichische Wirtschaft hat es enorme neue Möglichkeiten gegeben, z.B. im Export. Es hat sich auch die Erweiterung der Europäischen Union sehr positiv ausgewirkt.
Wenn man den Untersuchungen der diversen Wirtschaftsforschungsinstituten glauben kann, dann zeigt sich, dass Österreich der größte Profiteur der Erweiterung ist. Auf der anderen Seite darf man natürlich nicht übersehen, dass mit der Zeit auch die Skepsis gegenüber der Europäischen Union in Österreich gewachsen ist. Die bald 20 Jahre Mitgliedschaft sollte man zum Anlass nehmen, um unser Verhältnis zu Europa zu überdenken und zu normalisieren. Es ist sicher nicht notwendig, dass man jetzt in Euphorie ausbrechen muss, aber es gibt auch überhaupt keinen Grund, warum man ständig Trauer tragen möchte, nur das Negative an Europa zur Kenntnis nimmt und die vielen positiven Entwicklungen eigentlich nicht beachtet.
Bei dem Nachdenken über die 20 Jahre, welche Gedanken beschäftigen Sie?
Mich beschäftigt eines: Wie geht dieser Prozess mit Europa weiter? Die Integration Europas ist noch lange nicht abgeschlossen. Zum einen deshalb nicht, weil es eine ganze Reihe von europäischen Staaten gibt, die noch nicht Mitglied in der Europäischen Union sind. Zum anderen ist es auch so, dass es wichtige politische Bereiche gibt, wo mehr Europa notwendig wäre. Das gilt vor allem für die Außen- und Sicherheitspolitik.
Es gibt auch Bereiche, wo wir eher ein Zuviel von Europa haben und man Verantwortungen wieder zurück in die Mitgliedsstaaten verlagern könnte. Was zum Teil verantwortlich für die schlechte Stimmung ist, dass zu wenig erkannt wird, dass die Europäische Union nicht die Superbürokraten in Brüssel sind, sondern wir alle. Das Funktionieren der Europäischen Union hängt nicht nur davon ab, wie gut die europäischen Institutionen funktionieren, sondern ganz besonders wie jede einzelne Region, jeder einzelne Mitgliedsstaat dieser Europäischen Union funktioniert. Integration heißt, dass wir nicht länger losgelöst von den Ländern, mit denen wir uns solidarisch erklärt haben, agieren können.
Sie plädieren für ein „Europa der Regionen".
Es geht nicht nur um das „Europa der Regionen", sondern um ein altes katholisches Prinzip, um die Frage der Subsidiarität. Nichts soll nach oben delegiert werden, was man auf der unteren Ebene selbst erledigen kann. Diese Tendenz, vor allem unangenehme Entscheidungen nach Brüssel zu schieben, verstößt gegen das Prinzip der Subsidiarität. Genauso dagegen verstößt, wenn Machtapparate in Brüssel dazu tendieren, ihre bürokratische Macht auszuspielen, um möglichst zentrale Entscheidungen herbeizuführen.
Wohin soll sich die Europäische Union entwickeln, von der Wirtschaftsunion zu einer politischen oder Sozialunion?
Die Frage ist, wie kann man wieder Wachstum erzeugen. Noch dazu nicht irgendein Wachstum, sondern ein qualitatives Wachstum. Es gibt die europäische Strategie bis 2020, bei der man von einem smarten, inklusiven und grünen Wachstum spricht. Es geht darum, die Stärken Europas einzusetzen. Die einzige wirkliche Stärke, die wir haben, ist unsere Innovationskraft. Das sind die Hirne unserer Forscher und Entwickler und in die müssen wir investieren, wenn wir Fortschritte machen wollen. Wir haben nicht die großen Naturressourcen wie andere Kontinente. Wir können nur durch die Know-how-Vorsprünge punkten.
Die soziale Frage ist ein Problem in mehrfacher Weise. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit kann nur durch neue Arbeitsplätze gewonnen werden. Das ist nur möglich, wenn es neue Produkte, neue Produktionsverfahren, neue Investitionen gibt. Deshalb ist auch die Innovationsfrage so wichtig. Zum anderen haben wir in Europa 120 Millionen von Armut gefährdete Menschen. Allein die Tatsache, dass wir für die Bekämpfung der Armut ungefähr 3 Mrd., für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit 6 Mrd., aber für die Bankensanierung 700 Mrd. Euro einsetzen, zeigt eine grobe Ungewichtigkeit. Dieses Thema wird uns nicht mehr verlassen, wenn wir nicht imstande sind, hier wieder ein soziales Gleichgewicht zustande zu bringen. Ansonsten ist das europäische Projekt tatsächlich gefährdet.
Sie sind ein Verfechter des Konzepts der ökosozialen Marktwirtschaft. Wo sehen Sie die Stärken dieses Konzeptes?
Das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft hat Eingang in die europäischen Verträge gefunden. Im Lissabon-Vertrag ist im Artikel 3, in dem die Ziele der Europäischen Union beschrieben werden, genau dieses Konzept verankert. Es geht darum, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen der Ökonomie, der Ökologie und der sozialen Verantwortung zu schaffen. Vom Konzept her haben wir kein Problem, aber das ist häufig die Schwäche Europas: Wir sind gut im Konzipieren, aber dann eher schwach und langsam, wenn es darum geht, aus dem Konzept Realität werden zu lassen. Das ist auch ein Unterschied, den man ständig auch im Verhältnis zu Amerika feststellen kann. Wenn die Amerikaner einmal von etwas überzeugt sind, dann gehen sie auch mit 100 Prozent in diese Richtung. Diese Umsetzungsbereitschaft, diese Dynamik, die notwendig ist, lahmt nach wie vor in Europa. Das hängt wiederum sehr mit den vielen nationalen Rücksichtnahmen und auch zum Teil mit der Schwäche des europäischen Führungspersonals zusammen.