"Was heißt Barmherzigkeit in einer Welt, wo jeder strampeln und sich durchsetzen muss, um weiterzukommen?", fragt Kardinal Schönborn.
"Was heißt Barmherzigkeit in einer Welt, wo jeder strampeln und sich durchsetzen muss, um weiterzukommen?", fragt Kardinal Schönborn.
Wiener Erzbischof Hauptreferent beim 3. "World Congress on Mercy" im kolumbianischen Bogota: "Sehe große Notwendigkeit von Barmherzigkeit im Blick auf Konflikte in Familien, und mein Ansatz sind hier die Vergessenen".
"Nur die Barmherzigkeit kann der Flut des Bösen eine Grenze setzen." - Diese auf Papst Johannes Paul II. zurückgehenden Worte sind die einzig sinnvolle Antwort auf Tragödien, die Menschen in gegenwärtigen Konflikten wie in Syrien, im Irak oder in Kolumbien oder als Missbrauchsopfer erleben, so Kardinal Christoph Schönborn über den bevorstehenden "World Apostolic Congress on Mercy" (WACOM; 15.-19. August).
Barmherzigkeit, die "keine billige Gnade ist", sondern im Kontext von Wahrheit und Gerechtigkeit steht, ist das Generalthema des internationalen Großkongresses im kolumbianschen Bogota, bei dem der Wiener Erzbischof das Hauptreferat hält.
Kardinal Schönborn sagte am Mittwoch, 6. August 2014, er sehe klarerweise große Notwendigkeit von Barmherzigkeit im Blick auf Konflikte in Familien, und sein Ansatz seien hier "die Vergessenen": Kinder und die oder der "Zurückgelassene" in einer gescheiterten Ehe. Der internationale Barmherzigkeitskongress, der dritte nach Rom (2008) und Krakau (2011), werde auf diese Frage auch wegen der im Oktober stattfindenden Familiensonderbischofssynode eingehen. Aber der WACOM behandle insgesamt ein breites Spektrum von Themen. Der Wiener Erzbischof erwähnte dazu gewaltsame Konflikte in Staaten und in urbanen Problemvierteln.
Grundsätzlich stelle er sich die Frage - so Schönborn: "Was heißt Barmherzigkeit in einer Welt, wo jeder strampeln und sich durchsetzen muss, um weiterzukommen?". Könne "Barmherzigkeit nur als Tugend der Schwachen" realisiert werden? Dazu komme das Thema "Barmherzigkeit und Wahrheit". Hier denke er - so der Wiener Erzbischof - sehr stark an die Missbrauchs-Ereignisse in Kirche und Gesellschaft. In den großen Konflikten wie Nahost oder Ukraine, wo die Sprache des Hasses zu vernehmen ist, gehe es darum, eine Alternative zu finden und als ersten Schritt zu hören, was die Bibel, das Evangelium, sage, wenn eine Situation scheinbar ausweglos sei.
Schönborn erinnerte, dass auch das Gastland Kolumbien seit 56 Jahren Schauplatz eines hasserfüllten Bürgerkriegs ist, der schon fünf Millionen Tote forderte. Aktuell gebe es im kubanischen Havanna Friedensgespräche zwischen den FARC-Rebellen und der Regierung. Was erschütternd sei, sei dass Täter oder Opfer in fast jeder Familie zu finden seien. Der internationale Barmherzigkeitskongress habe daher im Gastgeberland einen sehr hohen Stellenwert und man erwarte sich konkrete Impulse für die eigene Situation.
Was Barmherzigkeit in der lateinamerikanischen Lebensrealität bedeuten kann, werden beim WACOM in Bogota zentrale Akteure des Friedensprozesses im von Bürgerkrieg gezeichneten Land skizzieren - darunter Kardinal Ruben Salazar, ein in der Arbeit mit den Kriegsopfern beteiligter Rechtsanwalt der Versöhnungskommission und eine Vertreterin der Opferverbände. Auf dem weiteren Programm des Kongresses stehen Vorträge, Gebetsmomente, Gottesdienste und Zeugnisse.
Kardinal Schönborn hält am zweiten Tag einen Vortrag über "Die göttliche Barmherzigkeit - unser Auftrag". Er wird am Abschlusstag ein Resümee ziehen.
Mehrere Vortragende berichten, in welcher Form sie Gottes Barmherzigkeit am eigenen Leib erfahren haben. Unter ihnen ist die italienische Ex-Pornodarstellerin Claudia Koll, die in ihrer Karriere eine deutliche Kehrtwende erfuhr, zum Glauben kam und seither als Missionarin tätig ist.
Weitere Beiträge kommen von der thailändischen Finanzmanagerin Mary Sarindhorn, die einst unschuldig eines Verbrechens angeklagt wurde, sowie vom Schweizer evangelisch-reformierten Pfarrer Martin Hoegger.
Wie der kolumbianische Bischof Julio Hernando Garcia Pelaez im Vorfeld erklärte, solle der Kongress in seinem Land der neuen Evangelisierung Südamerikas einen Auftrieb geben. Nötig sei dafür jedoch eine "Bekehrung" auch in der Pastoral, wo neue Strukturen nötig seien. "Barmherzigkeit besteht darin, dass wir nicht darauf warten, dass die Menschen zu uns kommen, sondern dass wir hinaus gehen zu den Menschen und von Haus zu Haus, von Tür zu Tür die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes bringen", so der Bischof.
Theologisch aktuell ist das Thema u.a. deshalb, da auch Papst Franziskus in seinem Pontifikat wiederholt von der Kirche die Ausübung der Barmherzigkeit Gottes gefordert hat. "Werdet nicht müde barmherzig zu sein!", forderte er Priester des Öfteren auf, zudem zählt er die Barmherzigkeit auch zu den Hauptkriterien für Bischofskandidaten.
Für die Organisation und die Einbindung der Gläubigen in den Kongress sind in Bogota 450 freiwillige Helfer aus Kolumbien und anderen Ländern tätig. Breitenwirkung erhofft sich die kolumbianische Kirche auch durch eine begleitende virtuelle Ausstellung unter dem Motto "Barmherzigkeit - die Kunst ohne Maß", zu der Menschen weltweit eingeladen werden, durch eigene Kunstwerke Gottes Barmherzigkeit Ausdruck zu verleihen.
Die WACOM-Kongressreihe ist laut Kardinal Schönborn "eines der vielen Kinder von Papst Johannes Paul II.", der die Barmherzigkeit zum Grundsatz der Evangelisierung machen wollte, wie etwa seine zweite Enzyklika, "Dives in misericordia", die Selig- und Heiligsprechung der polnischen Ordensfrau Faustina Kowalska (1905-1938) und die Einführung des "Barmherzigkeitssonntages" eine Woche nach Ostern gezeigt hätten. Der Kongress sei auch als eine Reaktion der katholischen Kirche auf das Terrorattentat vom 11. September 2001 in New York zu sehen - als ein Schritt, durch den Glauben zur Beendigung von Gewalt und Konflikten beizutragen.
Neben nationalen und kontinentalen Barmherzigkeits-Kongressen gibt es seit 2008 auch Weltkongresse mit diesem Schwerpunkt. Den Anfang machte damals Rom, drei Jahre später war Krakau an der Reihe, aufgrund der engen Verbindung der polnischen Stadt zu Johannes Paul II. und der heiligen Faustina. Leitspruch der diesjährigen dritten Auflage des apostolischen Weltkongresses in Kolumbien ist "Barmherzigkeit, unser Auftrag in einem vereinten Herzen".
Begleitet wird der Kongress von einer internationalen Pilgerfahrt, an der auch österreichische Gläubige teilnehmen.
Informationen zum WACOM in vier Sprachen unter: www.wacomcolombia.org
Kardinal Christoph SchönbornSeine Texte, Predigten und Vorträge. |