Es ist notwendig, dass sich alle Seiten sich um Integration bemühen. Alle sollen sich in Österreich zuhause fühlen können.
Es ist notwendig, dass sich alle Seiten sich um Integration bemühen. Alle sollen sich in Österreich zuhause fühlen können.
Im Gespräch mit dem „Sonntag“ spricht Imam Ramazan Demir über den Alltag der Muslime in Österreich, über gegenseitigen Respekt und die Barmherzigkeit im Islam.
Sie waren mit Rabbi Schlomo Hofmeister in Jerusalem. Gab es da Kritik aus den eigenen Reihen?
Mich hat es gewundert, dass es nicht einmal eine Kritik per E-Mail gab. Die Islamische Glaubensgemeinschaft hat volle Rückendeckung gegeben. Nur mein Vater wollte nicht, dass ich nach Jerusalem gehe, weil er Angst hatte. Mein Opa hat aber gesagt: Da musst da hin! Am Ende war auch mein Vater sehr zufrieden.
Was hat die Aktion gebracht?
Wir haben gezeigt: Schaut her, wir Religionen können miteinander! Die Behauptung, die Religionen wollen sich nur gegenseitig die Köpfe einhauen, ist falsch. Die Thora, das Evangelium und der Koran sind Bücher der Liebe, nicht des Hasses. Es gibt natürlich immer wieder Idioten, die Religion missbrauchen wollen. Das macht uns das Leben definitiv schwer. Der feige Angriff auf „Charlie Hebdo“ war auch ein Angriff auf Muslime, auf den Islam, auf die Lehre des Propheten.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf: Die Muslime sind nur friedlich, solange sie in der Minderheit sind. Sind sie einmal die Mehrheit, dann wird das ganz anders.
Dann sage ich einmal: Bitte belegen Sie es mir. Das ist genauso wie mit den Extremisten: Als Gefängnisseelsorger begegne ich auch einigen wenigen Radikalen. Sie sagen etwa: Im Islam ist es so, dass wir Ehrenmorde begehen müssen. Dann sage ich: Wo steht das im Koran? Es gibt keinen Beleg im Koran. Wenn jemand wenig Ahnung hat von der eigenen Religion, wenn jemand nicht weiß, dass man im Koran nicht die Verse einfach rauspicken kann, wird es gefährlich. Deshalb braucht es Aufklärung.
Manche Islamwissenschaftler sagen: Der Islam muss sich intensiver auseinandersetzen mit den Gewaltaufrufen aus seiner Entstehungszeit. Wie stehen Sie dazu?
Der Islam braucht keine Reform, aber manche Muslime müssen ihre Religion erst richtig lernen. Einige missbrauchen die Religion. Aber bei mehr als 99 Prozent ist das nicht der Fall. Es gab den Aufruf: Der Kalif hat gesprochen, und ihr müsst nach Syrien kommen und hier kämpfen! Wie viele sind gegangen? Bis dato 160. Jeder einzelne ist zu viel, aber das sind nur 0,02 Prozent der 600.000 Muslime in Österreich.
Wie gehen Sie als Religionslehrer im Gymnasium mit dem Attentat um?
Ich habe in jeder Stunde über dieses Thema gesprochen. Meine Schüler sind Gott sei Dank zu 100 Prozent der Ansicht, dass das, was in Paris passiert ist, zu verurteilen ist. Im Gefängnis bin ich bis dato zweien begegnet, die gesagt haben: „So schlimm kann das doch nicht sein. Wir haben uns nur verteidigt.“
Es heißt, dass Radikalisierung vor allem in der zweiten und dritten Generation von Einwandern stattfindet. Was läuft hier schief?
Ich bin ja auch dritte Generation. Weder mein Vater, noch mein Großvater – der auch Imam war - sind vom Weg des Islams in Sachen Barmherzigkeit abgekommen. Man sieht auch: Von den 160, die nach Syrien gegangen sind, waren viele aus Tschetschenien gekommen. Sie waren perspektivenlos, frustriert, voller Hass, auch psychisch nicht immer im Klaren. Sie suchen nach Erfolg, nach Anerkennung.
Aber was ist mit der nicht so extremen Radikalisierung – mit einer oft genannten schärfer werdenden Abgrenzung junger Muslime gegenüber der österreichischen Mehrheitsgesellschaft?
Ich bin live mittendrin, und erlebe die Probleme nicht so stark, wie sie oft von den Medien geschildert werden. Ich nehme definitiv nicht wahr, dass die Integration in diesem Lande nicht gelingt. Aber es ist notwendig, dass beide Seiten sich um Integration bemühen. Ein konkretes Beispiel: Ein radikaler Muslim sitzt im Gefängnis und bekommt zwei Zellengenossen, die er infiziert. Da müsste der Gefängnisseelsorger etwas tun. Aber wir sind in Österreich nur 46 muslimische Gefängnisseelsorger für 1600 Häftlinge – mit einem ganz kleinen Budget. Ich betreue in der Josefstadt 50 Muslime - in ein bis zwei Stunden pro Woche! Da bräuchte es mehr Unterstützung vom Staat.
Wie sehen die Muslime ihr Bild in der Öffentlichkeit?
Ich bedauere, dass manche Medien nicht unparteiisch über die Muslime berichten. Das nervt die muslimische Bevölkerung schon. Da sagen sie: Ich fühle mich irgendwie nirgendwo zuhause. Hier bin ich der Türke, der Araber. Wenn ich in der Türkei bin, dann bin ich der Deutsche. Da muss der Staat auch mehr in den Dialog hineingehen.
Sie haben kein Problem, wenn öffentlich Weihnachten gefeiert wird?
Mama hat mich extra in einen katholischen Kindergarten geschickt, weil die ethischen Werte dort eine große Rolle gespielt haben. Warum sollen wir ein Problem mit Weihnachten haben? Nachdem ich meinen Kollegen „Frohe Weihnachten von ganzem Herzen“ gewünscht habe, sind sie beim Ramadan zu mir gekommen und haben gesagt: „Ich wünsche dir frohen Ramadan!“ Da habe ich mich auch geehrt gefühlt. Dieses Einanderverstehen, Einanderrespektieren, das ist das Wichtigste überhaupt.
Wie ist das mit dem Urteil gegen den Blogger in Saudi-Arabien?
Eine Katastrophe, das regt uns sehr auf. Dieser Mann, der dort mit Peitschenhieben bestraft wird, tut uns allen leid. Er soll freikommen, das sagt auch die Islamische Glaubensgemeinschaft, das ist unsere Position ohne Wenn und Aber. Meinungsfreiheit ist im Islam doch fest verankert. Aber in Saudi-Arabien dürfen Frauen auch kein Auto fahren, das hat auch mit dem Islam nichts zu tun. Die Leute in Saudi-Arabien, die so denken, sind in der Zeit stehen geblieben. Sie leben wie vor 1400 Jahren.
Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie den Propheten Mohammed in einer Karikatur abgebildet sehen?
Das ist ja nicht der Prophet Mohammed. Der da gezeichnet ist, ist bloß ein Araber oder Türke. Damit sind die Probleme sowieso vom Tisch. Ich sage das auch immer wieder meinen Schülern. Aber: Es ist nicht ok, jemanden zu verletzen. Der Karikaturist weiß es oft nicht, dass er mit seiner Zeichnung verletzt. Aber wir müssen es ignorieren, cool bleiben wie der Prophet Mohammed. Auch in seiner Zeit hat man ihn beleidigt und er hat nichts dagegen getan.
Im Koran steht: „Wehret das Böse mit dem Guten, und aus Feindschaft wird Freundschaft.“ (Sure 41) Das gebe ich immer meinen Schülern mit.
Gibt es also auch im Koran so etwas wie die linke und rechte Backe?
Verzeihen ist besser als bestrafen. Der Koran beharrt darauf: „Seid barmherzig gegenüber den anderen und führt keine Streitgespräche mit den Ahl al-Kitab (Besitzer der Schrift, Christen und Juden)“. Die Sira, die Geschichte des Propheten, bestärkt das. Als die Muslime in einer schwierigen Situation in Mekka waren, hat er gesagt: Zieht nach Abessinien! Warum nach Abessinien? Dort ist ein christlicher Herrscher, der wird mit euch gerecht sein. Die Christen haben uns Muslime geholfen! Ein anderes Beispiel: Der Prophet saß mit den Gefährten, da kommt ein Leichenzug vorbei, alles Juden. Der Prophet steht auf, alle schauen auf den Propheten, stehen auch auf, der Leichenzug geht vorbei, er setzt sich hin, alle setzen sich. Dann sagen Sie: Oh Prophet, warum bist du aufgestanden, das war doch ein Jude. Ist er denn keine Seele? , war die Antwort. Das ist meine Basis für den interreligiösen Dialog.
Uns alle hat Gott erschaffen, jeder von uns hat Defizite. Aber wir müssen nicht auf die Defizite der anderen schauen, sondern auf das Gute. Wir müssen das Gute fördern.
erstellt von: Der Sonntag / MICHAEL PRÜLLER