"Jeder Mensch, den wir gemeinsam vom Hunger befreien, ist ein Mensch, der sich nicht gezwungen sieht, sein Leben in einer Nussschale zu riskieren", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Jeder Mensch, den wir gemeinsam vom Hunger befreien, ist ein Mensch, der sich nicht gezwungen sieht, sein Leben in einer Nussschale zu riskieren", so Kardinal Christoph Schönborn.
Kardinal richtet in Offenem Brief "dringenden Appell" an Bundesregierung: Lebensrettungs-Maßnahmen im Mittelmeer verstärken, staatliche EZA-Gelder erhöhen.
Mit einem "dringenden Appell" zugunsten der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer hat sich Kardinal Christoph Schönborn am Freitag, 24. April 2015, an die österreichische Bundesregierung gewandt. "Setzen Sie sich für mehr Rettungsringe und für mehr Rettungsboote ein. Für ein Europa der Mitmenschlichkeit. Für die Rettungsaktion Mare Nostrum 2.0. - eine Aktion, die nicht nur Grenzen, sondern vor allem auch Menschen schützt", heißt es wörtlich in einem Offenen Brief, der in den Ausgaben der "Kronen Zeitung" und von "Heute" veröffentlicht wurde.
Zwar würden heute viele Entscheidungen in der EU-Zentrale Brüssel getroffen, "doch auch Sie, geschätzte Mitglieder der Bundesregierung, können rasch dazu beitragen, dem Sterben im Mittelmeer die Stirn zu bieten", schrieb der Wiener Erzbischof weiter. Verstärkte Bemühungen um lebensrettende Maßnahmen im Mittelmeer müssten durch Hilfe in den Krisenregionen ergänzt werden. "Erhöhen Sie die Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in einem Stufenplan bitte auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und halten Sie sich künftig an jenes Versprechen, das Sie international längst eingegangen sind", appellierte Schönborn in seinem Schreiben.
Menschen sollten in ihrer Heimat in Sicherheit leben und bleiben können. "Hier könnte auch ein kleines Land wie das unsere wahre menschliche Größe beweisen", warb der Vorsitzende der Bischofskonferenz für mehr EZA-Mittel. "Jeder Mensch, den wir gemeinsam vom Hunger befreien, ist ein Mensch, der sich nicht gezwungen sieht, sein Leben in einer Nussschale zu riskieren." Alle in Österreich von den Spitzenpolitikern bis zu jedem einzelnen Bürger könnten dazu einen Beitrag leisten. "Lassen wir die Menschen im Mittelmeer jetzt nicht im Stich!", forderte der Kardinal einen nationalen Schulterschluss im Sinne der Menschlichkeit.
Schönborn beschrieb eine Besorgnis erregende Entwicklung in Europa, die es umzukehren gelte: Jene Mauer, die einst mitten durch Europa verlief, "umschließt heute unseren Kontinent". Sie mache "blind für die Not der Ertrinkenden", "taub für die Schreie der Menschen auf dem offenen Meer". Die jüngste Katastrophe mit mehr als 1.100 Menschen in der vergangenen Woche ertrunkenen Flüchtlingen mache "sprachlos im Angesicht des Massengrabs im Mittelmeer". Schönborn: "Doch wir dürfen und wollen nicht schweigen."
Mehr als 25.000 Menschen seien in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Bei seinem Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa habe Papst Franziskus vor der "Globalisierung der Gleichgültigkeit" gewarnt, erinnerte Schönborn.
Die Warnung des Kardinals: "Wenn wir heute nicht aufpassen, tragen wir morgen im Mittelmeer auch jene Ideale zu Grabe, auf die wir in Österreich, auf die wir in ganz Europa zu Recht stolz sein dürfen: Solidarität und Völkerrecht. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe." Schönborn verwies auf die reiche humanitäre Tradition Österreichs, "auf die wir stolz sein können" und der man hierzulande gerade jetzt wieder gerecht werden müsse.
Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung
Unser Schmerz sitzt tief. Die Trauer ist groß. Mehr als 1.100 Menschen haben vergangene Woche im Mittelmeer ihr Leben gelassen. Ertrunken auf der Flucht. Es sind namenlose Gräber. Männer, Frauen und Kinder. Und es werden immer mehr.
Mehr als 25.000 Menschen sind in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Papst Franziskus warnte uns bei einem Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa vor der Globalisierung der Gleichgültigkeit. Der Tod zu Tausenden steckt wie ein Dorn in unser aller Herzen.
Eine Mauer, wie sie dereinst mitten durch Europa und auch entlang unseres Landes verlaufen ist, umschließt heute unseren Kontinent. Sie macht uns blind für die Not der Ertrinkenden. Sie macht uns taub für die Schreie der Menschen auf dem offenen Meer. Und heute macht sie uns sprachlos im Angesicht des Massengrabs im Mittelmeer. Doch wir dürfen und wollen nicht schweigen.
Wenn wir heute nicht aufpassen tragen wir morgen im Mittelmeer auch jene Ideale zu Grabe, auf die wir in Österreich, auf die wir in ganz Europa zu Recht stolz sein dürfen: Solidarität und Völkerrecht. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.
Österreich hat eine reiche humanitäre Tradition, auf die wir stolz sein können. Dieser Tradition sollten wir gerade in diesen Stunden gerecht werden.
Mein dringender Appell an die Bundesregierung lautet: Setzen Sie sich für mehr Rettungsringe und für mehr Rettungsboote ein. Für ein Europa der Mitmenschlichkeit. Für die Rettungsaktion Mare Nostrum 2.0. – eine Aktion, die nicht nur Grenzen, sondern vor allem auch Menschen schützt.
Ja, viele Entscheidungen werden heute in Brüssel getroffen – im Konzert mit VertreterInnen aus allen Mitgliedsstaaten. Doch auch Sie, geschätzte Mitglieder der Bundesregierung, können rasch dazu beitragen, dem Sterben im Mittelmeer die Stirn zu bieten. Das Helfen in den Krisenregionen muss mehr Aufmerksamkeit bekommen, damit Menschen in ihrer Heimat in Sicherheit leben und bleiben können. Hier könnte auch ein kleines Land wie das unsere wahre menschliche Größe beweisen.
Erhöhen Sie die Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in einem Stufenplan bitte auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und halten Sie sich künftig an jenes Versprechen, das Sie international längst eingegangen sind. Bei der Rettung von Menschenleben darf nicht gespart werden!
Jeder Mensch, den wir gemeinsam vom Hunger befreien, ist ein Mensch, der sich nicht gezwungen sieht, sein Leben in einer Nussschale zu riskieren. Es liegt nicht nur an uns, es liegt auch an Ihnen – an uns allen! Ich danke Ihnen für Ihr Engagement und Ihren Einsatz. Lassen wir die Menschen im Mittelmeer jetzt nicht im Stich!
Vergelt’s Gott!
Ihr Christoph Kardinal Schönborn
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