Kardinal Innitzer prägte 1945 die Devise einer „freien Kirche im neuen Staat“.
Kardinal Innitzer prägte 1945 die Devise einer „freien Kirche im neuen Staat“.
Vor 70 Jahren, am 27. April 1945, wurde die Zweite Republik proklamiert. Wenige Tage zuvor sagte die Christlichsoziale Partei der Ersten Republik als neue Österreichische Volkspartei einem politischen Katholizismus ab.
Auch Jesus habe sich der „Urversuchung zum politischen Messianismus“ entzogen, erinnerte Kardinal Christoph Schönborn beim Festgottesdienst zum 70. Jahrestag der ÖVP-Gründung am 17. April im Wiener Schottenstift.
„Jeder Versuch einer politischen Religion oder einer religiösen Politik ist gefährlich. Religion soll Religion bleiben und Politik Politik“, betonte der Wiener Erzbischof.
Die Unterscheidung von Religion und Politik sei „das kostbare Ferment, das Jesus und das Christentum in die Welt gebracht haben“. Dabei gehe es nicht um eine „feinsäuberliche Trennung“, wohl aber um „ein klares Nein zur Vermischung“, so der Kardinal.
Die ÖVP war am 17. April 1945 in den Räumen des Schottenstifts u. a. von Leopold Kunschak (Obmann), Leopold Figl und Julius Raab gegründet worden und verstand sich als eine bürgerlich-konservative, österreichpatriotische und soziale Integrationspartei mit christlich-abendländischem Gedankengut.
Ihre Neugründung bedeutete – trotz der personellen Kontinuität zur Christlichsozialen Partei der Ersten Republik – eine Absage an den politischen Katholizismus und an die Ständestaatsideologie der Vaterländischen Front.
Am 27. April 1945 – noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges – veröffentlichte die provisorische Staatsregierung unter Führung von Karl Renner die Unabhängigkeitserklärung und begründete die Zweite Republik.
Die von den SPÖ, ÖVP und KPÖ getragene Proklamation erklärte die Republik Österreich für „wiederhergestellt“ und „den im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungenen Anschluss“ für „null und nichtig“.
Die Regierungserklärung gipfelte im Aufruf, die provisorische Regierung zu unterstützen: „Verzagt nicht! Fasset wieder Mut! Schließt Euch zusammen zur Wiederaufrichtung Eures freien Gemeinwesens und zum Wiederaufbau Eurer Wirtschaft!
Vertagt allen Streit der Weltanschauungen, bis das große Werk gelungen ist! Und folgt in diesem Geiste willig Eurer Regierung!“
Nach dem Scheitern der „Ersten Republik“ wurde in der „Zweiten Republik“ verstärkt auf Zusammenarbeit gesetzt. Die politischen Parteien sahen einander nicht mehr als Feinde. ÖVP und SPÖ regierten gemeinsam in einer großen Koalition.
In den späten 1940ern entstand die Sozialpartnerschaft, die Zusammenarbeit von Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Bauernvertretern.
So wie sich die neu gegründete ÖVP von einem politischen Katholizismus distanzierte ging auch die Kirche 1945 zur Politik auf Distanz. Österreichs Bischöfe stellten klar, dass kein Priester ein politisches Amt ausüben dürfe.
Kardinal Innitzer prägte als Vorsitzender der Bischofskonferenz die Devise von einer „freien Kirche im neuen Staat“.
Die „freie Kirche“ sah sich allerdings mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Die Nationalsozialisten hatten 1939 den Kirchenbeitrag eingeführt. Der neue Staat übernahm das Kirchenbeitragsgesetz als funktionierendes System.
Eine Auseinandersetzung bahnte sich rund um das 1933 abgeschlossene Konkordat an, das aber beibehalten wurde.
Nach mehrjährigen Beratungen konnten schließlich die klaren Konturen einer „freien Kirche in einer freien Gesellschaft“ im „Mariazeller Manifest“ von 1952 eindrucksvoll festgehalten werden.
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