"Wenn Jesus von der Vergebung der Schulden spricht, dann verwendet er Wirtschaftssprache", sagt Tomáš Sedláček.
"Wenn Jesus von der Vergebung der Schulden spricht, dann verwendet er Wirtschaftssprache", sagt Tomáš Sedláček.
Der tschechische Ökonom und Bestsellerautor Tomáš Sedláček kritisiert im "Sonntag"-Interview die Schuldenmacherei, um mehr Wirtschaftswachstum zu erzielen. Er empfiehlt, in florierenden Zeiten zu sparen und den Überfluss nicht zu konsumieren, sondern für später aufzuheben.
Was läuft in unserer Wirtschaft falsch?
Tomáš Sedláček: Wir hören die ganze Zeit von den Medien und Politikern, dass die Wirtschaft depressiv sei. Das ist meiner Ansicht eine falsche Diagnose, sie ist nämlich manisch-depressiv. Sie hat die Tendenz, es in guten Zeiten mit Euphorie und in schlechten Zeiten mit Niedergeschlagenheit zu übertreiben. Manien sind für mich genau so gefährlich wie Depressionen. Von der Psychiatrie wissen wir, dass der Organismus unter beiden Umständen zusammenbricht. Wir haben uns zu sehr auf die Depressionen konzentriert und die Manien nicht wirklich viel beachtet – und das war der große Fehler.
Welche Alternative gibt es? Wie können wir dem Teufelskreis entkommen?
Tomáš Sedláček: Schauen wir uns die Josefsgeschichte im Buch Genesis an: Der Pharao bekam im Traum die makroökonomische Voraussage von sieben guten und sieben schlechten Jahren. Das Heilmittel findet sich in dieser alten Erzählung der Bibel. Was ist in den manischen Perioden zu tun? Nicht alles konsumieren, was in den fruchtbaren Jahren wächst, sondern für die schlechten Jahre sparen. Wir taten vor der Krise genau das Gegenteil von dem, das Josef dem Pharao geraten hat. Der einzige Weg, den wir für die Heilung der Wirtschaft sehen, ist der Aufbau von Schulden. Diese alte ägyptische Zivilisation kam durch noch stärkere Krisen, weil sie sparte. Die heutigen Regierungen sparen nicht, sondern machen Schulden. Natürlich kann das System kuriert werden: Josef verringerte die Amplitude des Konjunkturzyklus. Das ist politisch sehr schwer durchsetzbar, weil Politiker immer das größtmögliche Wachstum wollen. Die größte Gefahr für die Zivilisation sehe ich, ökonomisch gesprochen, dass wir uns zu Tode wachsen.
Kann die Wirtschaft ohne Wachstum überhaupt fortbestehen?
Tomáš Sedláček: In unserer modernen Wirtschaftsideologie nehmen wir automatisch an, dass Wachstum normal ist und uns immer begleiten wird. Natürlich ist alles leichter mit Wachstum. Aber in der Annahme zu leben, dass das Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr wachsen wird, ist extrem naiv. Die Wirtschaft wächst offensichtlich nicht die ganze Zeit. Der Aufbau unseres Sozialsystems unter der Annahme eines ständigen Wirtschaftswachstums ist wie ein Schiff unter der Prämisse zu bauen, dass jeden Tag ein günstiger Wind weht. Das ist kein gutes Schiff. Ein gutes Schiff sollte still stehen können, wenn einmal der Wind nicht bläst, und auch imstande sein, einen Sturm auszuhalten.
Sie haben das Alte Testament angesprochen. Welche Verbindungen bestehen zwischen Christentum und Ökonomie?
Tomáš Sedláček: Wenn wir Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes lesen, haben zwei Drittel davon tatsächlich einen ökonomischen Inhalt: eine Frau verliert eine Münze, die Arbeiter im Weinberg, die Diener mit den Talenten und den Zinsen. Jesus nutzt oft die ökonomische Sprache. Er sagt: „Ich bin gekommen, um die Schulden zu vergeben.“ Im neutestamentlichen Griechisch sind Schuld und Sünde gleichgesetzt. Was geschah in jenen Tagen, wenn Menschen verschuldet waren? Sie wurden Sklaven des Eigentümers der Schuld. Entweder warteten die Verschuldeten auf das Jubeljahr, alle 49 Jahre gab es einen Neustart der Wirtschaft. Oder sie mussten auf den Erlöser warten, welcher die Schuld auf sich selbst nahm und dafür bezahlte.
Die jetzige Debatte um Griechenland ist eine Fortsetzung der theologischen Debatte, ob Griechenland ein Bruder ist oder nicht. Liebe deinen Nächsten! Sind die Griechen unsere Nächsten, ist Griechenland ein Markt oder Teil der Familie? Sollen wir vergeben? Wie oft, 7- oder 77-mal?
Apropos Griechenland: Soll das Land die Euro-Zone verlassen?
Tomáš Sedláček: Solange es möglich ist und es Hoffnung gibt, sollten wir die Euro-Zone nicht aufbrechen. Ganz einfach, wir wissen nicht, was passieren wird. Das könnte einen Dämon schaffen, der viel größer als all unsere heutigen Probleme sein könnte. In dem Moment, in dem wir beginnen, den Euro zu zerlegen, könnten andere Länder folgen. Einmal den Euro auseinandergenommen, können wir ihn niemals wieder zusammenbauen. Wenn jemand glaubt, dass Europa global wettbewerbsfähiger mit 28 verschiedenen Währungen wird, dann irrt er. Aber wenn wir es schaffen, den größten Test bezüglich des europäischen Zusammenhalts zu bestehen und die Krise zu stemmen, dann kann uns nichts mehr so leicht umhauen.
Sie haben sich in Ihren Studien intensiv mit Thomas von Aquin beschäftigt.
Tomáš Sedláček: Bei ihm sieht man die Verbindung zwischen Ethik und Wirtschaft. So fragt sich Thomas etwa selbst: "Kann ich zwei Hemden besitzen und mein Bruder hat keines?" Im Beantworten dieser ethischen Frage schreibt er einen Diskurs über Eigentumsrechte. Dieser mündet in dem, was wir heute Ökonomie nennen würden.
Heftig diskutiert wird gerade das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Wie stehen Sie dazu?
Tomáš Sedláček: Natürlich bin ich für das Niederreißen der Barrieren im internationalen Handel. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere engsten Partner. Wir müssen vorsichtig mit den Implikationen sein, die das Abkommen mit sich bringt. Wir haben eine sehr ähnliche Kultur, deshalb bin ich für die Zunahme des Handels zwischen unseren beiden großen Zivilisationen. Ob es dazu genau diese Form des TTIP braucht, ist die Frage.
Tomáš Sedláček, geboren 1977, wurde einem breiteren Kreis durch sein Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" bekannt. Dieses wurde in 17 Sprachen übersetzt und u.a. mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2012 ausgezeichnet.
Sedláček war Berater des tschechischen Präsidenten Václav Havel und beriet den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, bei dessen Initiative "Neues Narrativ für Europa". Er ist Mitglied des Programme Council for New Economic Thinking des Wirtschaftsforums Davos. Häufig wird er als Redner, Diskussionsgast und internationaler Kommentator angefragt.
Er arbeitet für die größte tschechische Bank als makroökonomischer Chefstratege. An der Prager Karls-Universität hält er Vorlesungen und sitzt im Vorstand mehrerer gemeinnütziger Organisationen.
Der Ökonom promovierte mit Auszeichnung 2001 zum Doktor der Philosophie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karls-Universität. 2006 erhielt er ein Stipendium (Yale World Fellows Program) an der Yale University, USA.
Tomáš Sedláček Die Ökonomie von Gut und Böse
|
|
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen |