130 Familien wohnen heute in einem Wohncaravan, der mit Hilfe von "Kirche in Not" angeschafft werden konnten. Zuversicht, schnell in seine Heimat zurückkehren zu können, haben sie nach einem Jahr keine mehr.
130 Familien wohnen heute in einem Wohncaravan, der mit Hilfe von "Kirche in Not" angeschafft werden konnten. Zuversicht, schnell in seine Heimat zurückkehren zu können, haben sie nach einem Jahr keine mehr.
Vor einem Jahr mussten zehntausende Christen vor dem IS fliehen. Betroffene erinnern sich.
Der 6. August 2014 hat das Leben der Kirche des Irak für immer verändert: Über 120.000 Christen mussten vor den Dschihadisten der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS oder ISIS) fliehen. Seither leben sie als meist mittellose Flüchtlinge inner- oder außerhalb des Irak. Das katholische Hilfswerk "Kirche in Not" erinnert ein Jahr später durch eine internationale Gebetsaktion an diesen Tag, der den Betroffenen unvergesslich ist.
"Es war schrecklich. Wir flohen am Abend des 6. Augusts. Ich sehe noch immer den Schrecken auf den Gesichtern der Menschen. Sie hatten Angst um ihr Leben. Sie dachten, dass der IS sie töten würde. Mir ging es auch so. Ich wusste nicht, ob ich den nächsten Tag erleben würde", erzählt der 22-jährige Christ Rami. Er lebt ein Jahr später im Mar Elia-Centre, einem Flüchtlingslager in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdengebiete des Nordirak.
Hierher haben sich die meisten Christen geflüchtet. "Ich komme aus Mossul. Wir verließen die Stadt aber schon im Januar 2014, weil die Sicherheitslage so schlecht war. Dschihadisten entführten Christen. Man musste um sein Leben fürchten", berichtet der junge Mann. Mit seinen Eltern und seiner Schwester ging er deshalb nach Karakosch (Qaraqosh), die größte christliche Stadt des Irak. Sie mieteten dort ein Haus. Im August 2014 aber wurden sie erneut zu Flüchtlingen.
Rami erinnert sich, wie am Morgen des 6. August das Gefechtsfeuer stärker wurde. "Als wir sahen, dass die kurdischen Soldaten, die uns bislang verteidigt hatten, abzogen, da war uns klar, dass wir auch gehen mussten. Es stand ja niemand mehr zwischen uns und dem IS."
Dramatische Szenen spielten sich Rami zufolge ab. "Die Menschen waren in Panik. Viele rannten einfach los, um sich in Sicherheit zu bringen. Rami selbst floh mit seiner Familie im Auto eines Cousins. "In der Hektik habe ich sogar meinen Ausweis vergessen. Gegen ein Uhr Nachts kamen wir dann in Erbil an. Dort herrschte das Chaos." Tatsächlich war die Stadt voll mit tausenden Flüchtlingen. "Wir mussten im Garten der Mar Elia -Kirche schlafen. Unter freiem Himmel. Danach wurden wir in einer Parkgarage untergebracht. Nach ein paar Wochen kamen wir dann wieder in das Mar Elia-Centre zurück. Bald konnten wir dort in ein einfaches Zelt einziehen."
Heute wohnt Rami wie hunderte andere Menschen in einem Wohncaravan, der mit Hilfe von "Kirche in Not" angeschafft werden konnten. Zuversicht, schnell in seine Heimat zurückkehren zu können, hat Rami ein Jahr später keine mehr. "Ich habe weder in die Regierung noch die Armee meines Landes Vertrauen. Sie haben dem IS einfach Mossul und die anderen Orte überlassen." Er glaubt deshalb nicht, dass seine Heimat schnell zurückerobert wird. Aber das Problem geht für Rami tiefer. "Wir Christen haben hier keine Rechte und keine Sicherheit. Außerdem führen Schiiten und Sunniten Krieg gegeneinander. Ich will deshalb weg. Lieber heute als morgen. Ich sehe keine Zukunft für mich im Irak. Mein Eindruck ist, dass die meisten Christen gehen wollen."
Gerne würde Rami in den Westen. Aber dazu muss er sich bei den Vereinten Nationen als Flüchtling in einem der Nachbarländer registrieren. Das können sich Rami und seine Familie aber nicht leisten. "Im Libanon, der Türkei oder Jordanien dürfen wir nicht arbeiten. Oft dauert es aber ein, zwei, drei Jahre bis man ausreisen darf. Man muss solange vom Ersparten leben. Das haben wir aber nicht."
Sana half christlichen Flüchtlingen wie Rami von der ersten Stunde an. Die junge Frau arbeitet für die chaldäische Diözese Erbil. "Ich habe in den Nachrichten vom Vorrücken des IS in Richtung der christlichen Orte gehört. Und dann kamen ja auch schon die ersten Flüchtlinge hier bei uns an. Im Laufe der Nacht und am anderen Morgen wurden es immer mehr."
Sana half wie viele junge Leute aus Erbil sofort, die Neuankömmlinge zu versorgen. "Es war schlimm, die Menschen zu sehen. Sie hatten teilweise ja buchstäblich nichts dabei. Sie sind panisch geflüchtet. Sie dachten, der IS holt sie ein. Manche fuhren von Karakosch (Qarakosh) nach Erbil zwölf Stunden und mehr, weil die Wege so überfüllt waren. Normalerweise ist es nicht weit." Sie selber habe gar keine Zeit zum Nachdenken gehabt. "Wir haben einfach nur geholfen. Zwölf Stunden am Tag und mehr, oft bis spät in die Nacht, haben wir gearbeitet. Diese Tage sind mir unvergesslich."
Das Leben ist für die Menschen nicht leicht. "Sie dachten anfangs ja, dass sie nur wenige Tage oder Wochen hier bleiben müssten. Aber als es dann ein Monat, zwei Monate, drei Monate wurden, da war ihnen klar, dass es wohl länger dauern würde. Viele haben gar keine Hoffnung mehr, dass sie zurück können." Tröstlich, so Sana, seien ihr auch ein Jahr später noch Worte des Bischofs von Erbil. "In einer Predigt antwortete er auf die Frage der Menschen, wo Jesus in dieses Tagen des August war: Jesus floh mit euch. Er lief an eurer Seite. Nur deshalb seid ihr noch am Leben."
Pater Douglas Bazi war zunächst geschockt vom Ausmaß der Krise. Der chaldäische Priester leitet das Mar Elia-Centre in Erbil. Er erinnert lebhaft an den 6. August. "Ich war in den USA. Als ich von den Nachrichten hörte, kehrte ich sofort zurück. Weil aber der Flughafen Erbil geschlossen war, saß ich zunächst in Ankara fest. Ich traf erst am 7. August in Erbil ein." Dort sah der aus Bagdad stammende Geistliche die Not. "Die zehntausenden Menschen, die hier ohne alles ankamen, das hat mich zunächst einfach überwältigt. Die Menschen waren völlig verloren. In ihren Gesichtern stand Zorn, Verwirrung und Verlorenheit. Sie schienen mir wie Körper mit toten Seelen. Manche wollten nicht einmal essen. Sie sagten: Wozu? Um zu leben? Wofür? Als ich das sah, dachte ich: Das ist das Ende. Ich versuchte, nach außen Stärke zu zeigen. Aber innerlich war ich zerstört. Was nur können wir jetzt machen? Ich wusste, dass allein in Karakosch (Qaraqosh) 60.000 Christen lebten. Wie nur sollten wir so vielen Menschen helfen?" Schnell ging Pater Douglas aber dazu über, sich ganz auf die Organisation der ersten Hilfe zu konzentrieren.
Mittlerweile ist das Leben im Mar Elia-Centre wohl organisiert. Keiner schläft mehr auf dem Boden. Wohncaravans bieten 130 Familien ein würdevolleres Zuhause. Viele Familien haben auch richtige Wohnungen gefunden und sind umgezogen. "Ich versuche die Leute, vor allem die Jungen, zu beschäftigen. Wir bieten Sprachkurse an. Die Kinder erlernen auch Instrumente oder den Umgang mit dem Computer. Aber sie fragen mich: Was kommt als Nächstes? Das macht mir Angst. Vielleicht weiß ich es bald selbst nicht mehr. Und was dann?", fragt er sich. "Die Leute verlieren jeden Tag mehr, die Hoffnung, zurückzukehren. Ich bin aber überrascht, wie ruhig die Menschen dennoch sind."
Den 6. August begeht Pater Douglas mit einem Gottesdienst. "Der 6. August ist ein Tag der Trauer, aber auch der Tag, an dem uns Gott gerettet hat. Schließlich sind wir noch am Leben. Wir werden eine Messe feiern. Vergessen können wir nicht, was geschehen ist. Wir werden Gott aber bitten, den Tätern zu vergeben und ihr Denken zu verändern."
Das katholische Hilfswerk "Kirche in Not" hilft den christlichen Flüchtlingen des Irak auf vielfältige Weise. Unmittelbar nach dem 6. August reiste eine Delegation in den Irak, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Seither wurden etwa sieben Millionen Euro für die Unterbringung und Versorgung der Menschen sowie für die Einrichtung mehrerer Schulen für tausende von Flüchtlingskindern aufgewandt.
Für den 6. August ruft das Hilfswerk zum Gebet für die notleidenden Christen des Irak auf.
#PrayForIraq
#WeAreChristians
#6thAugus
Aufruf zum Gebet am 6. August auf Facebook
Schwerpunkt Christenverfolgung von Kirche in Not
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