„Wenn ich Menschen zutiefst verstehe, kann ich Gott auch ganz anders wirken lassen“, sagt
Sr. Beate Glania.
„Wenn ich Menschen zutiefst verstehe, kann ich Gott auch ganz anders wirken lassen“, sagt
Sr. Beate Glania.
Den Menschen nahe zu sein, Antworten zu finden auf die Nöte unserer Zeit. Nach diesem Motto leben und arbeiten die „Missionsärztlichen Schwestern“, die 1925 von der Österreicherin Anna Dengel gegründet wurden. Sr. Dr. Beate Glania sprach mit dem "SONNTAG".
Deutschland, Frankfurt am Main: In der Wirtschafts-, Finanz- und Dienstleistungsmetropole arbeitet Sr. Dr. Beate Glania seit vielen Jahren.
Das Leben der Ordensfrau und das ihrer Mitschwestern bei den „Missionsärztlichen Schwestern“ ist geprägt vom „heilend präsent sein“, ganz wie es Anna Dengel in der Ordenskonstitutionen vorsieht: ganz da sein als Mensch, als die Frauen, die sie sind.
Sie setzen damit einen klaren Kontrapunkt zu der von wirtschaftlichen Interessen geprägten, schnelllebigen Stadt. Jeden Tag. Aus Überzeugung.
Sr. Beate ist Theologin und Pastoralpsychologin. In der Ordensgemeinschaft ist sie für die Ordensausbildung da; sie begleitet jene jungen Frauen, die sich für das Leben bei den „Missionsärztlichen Schwestern“ interessieren.
Gleichzeitig arbeitet sie an der philosophisch theologischen Hochschule St. Georgen, der Jesuitenhochschule in Frankfurt in der geistlichen Ausbildung und Begleitung der zukünftigen Pastoralassistentinnen und –assistenten.
Wo liegen sie denn Ihrer Erfahrung nach – die Nöte unserer Zeit?
Sr. Dr. Beate Glania: Grundsätzlich muss man bestimmt einmal sagen: Die Welt wächst zusammen. Das sehen wir tagtäglich. Gerade auch jetzt wieder, wo so viele Flüchtlinge zu uns nach Europa kommen. Da ist es ja fast so, als wären plötzlich alle Grenzen aufgehoben. Die Welt kommt zu uns, und wir sehen neue Nöte.
Die Frage, die wir uns dabei jetzt stellen müssen, ist: Wie antworten wir auf diese konkreten neuen Nöte, die wir ja zum Teil sogar selbst verursacht haben durch Waffenhandel, durch jene Konzerne, die nur auf ihren Gewinn geschaut haben, die die Menschen ausgebeutet haben und die damit auch dafür verantwortlich sind, dass Leute immer ärmer werden.
Und dann ist es ja so: Ich lebe und arbeite ja in Deutschland, und da treffe ich mittlerweile viele Menschen, die sich wirklich alleine fühlen und darüber sehr unglücklich sind. Das ist bestimmt auch eine der großen Nöte unserer Zeit. Und da versuchen wir auch Antworten zu finden.
Wie funktioniert das konkret?
Sr. Dr. Beate Glania: Unser Orden hat viele Projekte für Sinnsuchende in einer Gesellschaft, die sich zuerst einmal gar nicht als religiös sehen würde. Wir versuchen mit diesen Angeboten heilend da zu sein, geben unsere Erfahrungen weiter, unaufdringlich. Etwa mit den verschiedensten Meditationsangeboten.
Ich sehe in unserer Gesellschaft schon eine ganz starke Sehnsucht nach Gott, eine Sehnsucht anzukommen – die sich allerdings nicht im Kirchgang widerspiegelt.
Aber für Meditation, für Kontemplation, für die Spiritualität einer Teresa von Avila, eines Johannes vom Kreuz sind die Menschen offen und finden dann vielleicht sogar zurück zum Glauben.
Wir Christen haben ja dieses gute Erbe, wir müssen uns nur stärker darauf besinnen und es auch anbieten, vielleicht manchmal auch mit unkonventionellen Methoden.
Mit den Menschen zu sein, in Beziehung sein, auf die Nöte der Zeit antworten, heißt eben auch eine gastfreundliche Kirche zu sein und dabei etwas aufleuchten zu lassen von den Werten des Evangeliums.
Und letztlich, würde ich sagen, ist es gar nicht so wichtig, wie die Werte des Evangeliums in unsere Gesellschaft hineinkommen, sondern dass Menschen guten Willens angesichts der großen Krisen unserer Welt im Sinne des Evangeliums zusammenarbeiten.
Dass sie eben etwas tun, das ist ja oft viel wichtiger als nur von Gott zu reden.
Sie sind in ihrer Arbeit sehr nah an den Menschen dran. War das ein Grund, warum sie diese Ordensgemeinschaft gewählt haben?
Sr. Dr. Beate Glania: Bestimmt. Menschen nahe zu sein, ist mir wichtig, und in meiner Ordensgemeinschaft kann ich das für mich besonders gut leben.
All unser Handeln ist auf diese Nähe hin ausgerichtet. Auch etwa, dass wir keinen Habit tragen: So wie ich hier sitze, ganz ohne Ordenstracht, das ist einfach auch ein Ausdruck dieser Nähe zu den Menschen.
Ich habe mich nach vielen, vielen, langen Jahren der Suche, mit 37 Jahren den „Missionsärztlichen Schwestern“ zugewandt, bin mit 38 eingetreten und habe 2010 meine ewigen Gelübde abgelegt.
Und jetzt begleite ich eben junge Menschen, die suchen, und diese Suche kann ich so gut verstehen.
Also Menschen da besonders nahe sein, wo man sich richtig gut in sie hinein-versetzen kann?
Sr. Dr. Beate Glania: Nicht nur, aber bestimmt auch. Die Spiritualität Anna Dengels kommt ja aus tiefen eigenen Erfahrungen, konkret aus einer tiefen eigenen Verwundung.
Sie hat ihre Mutter sehr früh verloren und hat immer wieder betont, dass sie diesen Schmerz, diesen Verlust kaum verkraften konnte. Und aus dieser Verwundung heraus, hat sie dann ja auch ihr Leben gelebt, ihre Handlungen gesetzt.
Zu den ersten Dingen, die sie gemacht hat, gehörte zum Beispiel, dass sie sich um werdende Mütter gekümmert hat und sichergestellt hat, dass es denen gut geht, damit sie leben, überleben können und ihre Kinder nicht den Schmerz ertragen müssen, ihre Mutter zu verlieren.
Das berührt mich immer wieder: Anna Dengel war einfühlsam für die Nöte der Menschen aufgrund eigener Verwundungen.
Und das versuche ich in meinem Leben auch: hellhörig zu bleiben auch aufgrund eigener Erfahrungen. Denn dort kann ich ja auch richtig fruchtbar sein, weil ich dort die Menschen zutiefst verstehe und dort auch Gott ganz anders wirken lassen kann.
Und das ist ja dann auch missionarisch, ich bin nicht nur ich, sondern ich entdecke Gott in meinem Leben und dem der anderen.
Eine Biographie über die Ordensgründerin der Missionsärztlichen Schwestern.
Ingeborg Schödl
Anna Dengel - Ärztin, Missionarin, Ordensgründerin
2014, Tyrolia
Fester Einband
168 Seiten
ISBN: 978-3-7022-3327-3
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien