Andreas Schicker freut sich, dass er im Alltag wieder alle Bewegungen machen kann, dank seiner Prothese am linken Arm.
Andreas Schicker freut sich, dass er im Alltag wieder alle Bewegungen machen kann, dank seiner Prothese am linken Arm.
Mit unbändigem Ehrgeiz und dem Einsatz einer Prothese kämpfte sich Andreas Schicker zurück in den Profifußball. Der Fußballer vom SC Wiener Neustadt im Interview mit dem „SONNTAG“.
DER SONNTAG: Wie sind Sie Fußballer geworden?
ANDREAS SCHICKER: Das war eigentlich nicht typisch, weil ich auf einem Bergbauernhof in der Steiermark auf knapp 1.000 Metern Seehöhe aufgewachsen bin. Dadurch, dass mein Vater und mein Onkel immer wieder Fußball gespielt haben, habe ich das extrem gern gemacht. Mit vier Jahren habe ich meinen ersten Ball bekommen und immer zum Heustadltor hin geschossen. Ich habe mehrere Bälle verschossen, wenn man nicht schnell genug ist, rollt der 300 Meter den Berg hinab. Dann habe ich wieder einmal, ein, zwei Wochen keinen Ball gehabt, bis ich ihn irgendwann wieder gefunden habe. Das hat mir geholfen, weil ich sehr bodenständig aufgewachsen bin. Ich bin sehr gerne zu Hause und habe mit meinem Bruder zusammen eine Almhütte.
Wie hat man Ihr Talent als Fußballer erkannt?
Mit sieben bin ich zum Verein in Oberaich gekommen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich sehr viele Tore erzielt habe bei den Schülern und auch schneller als die anderen war. Meine Karriere hat ihren Lauf genommen über Kapfenberg und die Akademie bei Austria Wien.
Bei der Wiener Austria hatten Sie dann in der Saison 2003/04 Ihr Bundes-ligadebüt?
Ich war der erste Akademiespieler, der in die Kampfmannschaft kam. Mein Trainer war Jogi Löw, der heutige deutsche Nationalteamtrainer. Damals gab es einen großen Mangel an Linksverteidigern. In der Akademie wurde das forciert, da sind neben mir auch Markus Suttner und David Alaba auf der Position rausgekommen. Der Kader war sehr groß. In der Folge bin ich nach Ried verliehen worden, in die Erste Liga.
Ihr Leben hat sich am 23. November 2014 völlig verändert?
An dem Abend war ich mit einem Freund zu Hause in meiner Hütte. Dann sind wir nach Bruck an der Mur gefahren. Gegen zwei Uhr früh ist ein Böller aufgetaucht. Ich hatte den Böller ein Jahr zuvor für Silvester 2014 gekauft. Zwei hatten wir zu Silvester geschossen, einer war übrig geblieben. Da habe ich gesagt, den zünden wir heute noch. Ich wollte ihn zünden, aber ohne Erfolg. Ich habe mir nichts dabei gedacht und ihn noch einmal gezündet, dann hat es einen Riesenknall gemacht. Im ersten Moment habe ich nicht mitbekommen, wie schlimm es ist. Ich hatte dann ein Riesensurren im Ohr und den Geruch von Schwarzpulver in der Nase. Ich habe gleich gemerkt, irgendetwas passt nicht. Dann bin ich zur Polizei, die war in der Nähe. Ich wollte anläuten, habe aber gesehen, das dass nicht geht, weil die linke Hand nicht mehr da war. Ich war Linkshänder. Dann ist mein Freund gekommen, der ein paar Meter von mir entfernt war, als der Böller losging. Ich wurde sehr gut erstversorgt. Die Notärztin hat mich gleich nach Graz gebracht. Ich weiß, dass es ein Blödsinn war. Jeder, der meine Karriere vorher kannte, wunderte sich, dass ich so etwas mache, weil ich schon ein Vorzeigeprofi war.
Wie ging es weiter?
Ich habe große Unterstützung von meiner Freundin Vroni und der Familie erhalten. Ich war immer ein positiver Typ. Das hat mir in dieser Phase enorm geholfen. Mein erstes Ziel war, dass die rechte Hand, wo am Zeigefinger und am Daumen die Endglieder fehlen, so gut wie möglich wieder wird. Gott sei Dank kann ich heute meinen Alltag selber meistern. Ich denke, dass ich fast alle Ziele, die ich mir am Anfang gesetzt habe, erreicht habe. Es waren kleine Ziele, aber das ist in so einer Situation ganz wichtig. Am Anfang habe ich überhaupt nicht ans Fußballspielen gedacht, weil es für mich nicht wichtig war, ob ich wieder kicken kann oder nicht. Es ist alles gut ausgegangen.
Der Gedanke an den Profifußball hat Sie begleitet?
Im Laufe der Rehabilitation in Tobelbad bei Graz ist bei mir schon der Gedanke gekommen. Im Frühjahr 2015 kam der Anruf von Günther Kreissl, ob ich ihn nicht im Trainerteam vom SC Wiener Neustadt unterstützen will. Ich habe sofort zugesagt, aber auch darum gebeten, irgendwann wieder die Möglichkeit zum Mitspielen zu bekommen. Und dass wir schauen, ob das vielleicht noch funktioniert. Ich habe dann auch einen Spieler- und keinen Trainervertrag unterschrieben.
Im Laufe des vergangenen Herbstes gab es ein Herantasten an die Mannschaft?
Wenn ich jetzt gleich als Spieler in die Mannschaft gegangen war, wäre es nicht so einfach geworden, weil da steht man zu sehr in der Beobachtung: Schafft er es oder nicht? Hat er Angst? Als Co-Trainer war das perfekt. Schritt für Schritt habe ich mich herangetastet. Ich habe schnell bemerkt, dass Profifußball wieder möglich ist. Vom Tempo, Schuss- und Passtechnik passte alles. Die große Frage war aber: Wie ist es, wenn ich hinfalle? Wie ist es im Zweikampf? Mit Ende des Herbstes habe ich gewusst, das könnte etwas werden.
Grundbedingung für ein Antreten als Spieler ist die Verwendung einer speziellen Prothese für den linken Arm?
Mir fehlen die linke Hand und das untere Drittel des Arms. Für den Alltag habe ich eine andere als für den Sport. Eines ist klar: Eine Prothese ersetzt nie eine normale Hand. Ich bin sehr geduldig, setze mir kleine Ziele. Teilweise bin ich selber überrascht, was ich alles wieder schaffe. Ich bin ein kleiner Handwerker und kann wieder einen Kasten aufbauen. Das macht mich stolz.
Wie schwierig war es, eine Genehmigung für die Prothese zu erhalten?
Mit Orthopädietechnikern wurde die Prothese „Michelangelo“ entwickelt. Sie ist ohne Funktion und sehr weich. Sie wurde von den Schiedsrichtern des Österreichischen Fußballbundes erlaubt und von der FIFA genehmigt.
Wie steuern Sie Ihre normale Prothese?
Das geht über die Muskeln. Sie lässt sich schnell und langsam drehen. Der Impuls an den Muskel kommt vom Gehirn und der Muskel übt dann die Bewegung aus. Meine rechte Hand ist natürlich nun das Wichtigste, da passe ich schon sehr gut auf. Wenn man acht Monate auf Rehabilitation ist mit einer schwerverletzten rechten Hand, einer verlorenen linken, und man ist trotzdem ein „Leichtverletzter“, dann weiß man, wie es vielen anderen Menschen geht.
Sie haben kein Problem über Ihr Schicksal zu sprechen?
Es war immer mein Zugang, dass man auf die Leute zugehen muss. Bei einem Trainerkurs, wo alle Teilnehmer ehemalige Fußballprofis waren, mit denen ich zum Teil früher zusammengespielt habe, haben sie mir gegenüber sehr viel Respekt gehabt und kaum etwas gesprochen. Da habe ich gewusst, da muss ich was machen. Als wir beim ersten Training Handball zum Aufwärmen spielten und ich zum Ausbildner sagte „Na super, jetzt hast du dir den perfekten Sport für mich ausgesucht“ haben alle gelacht, das Eis war gebrochen.
Früher waren Sie Linkshänder, wie ist es Ihnen gelungen umzulernen?
Ich schreibe nun rechts nicht schlechter als früher mit links. Durch die Trainerarbeit muss ich viel dokumentieren. Ich glaube, mittlerweile schreibe ich schöner als früher. Ein Uhrmacher werde ich aber nicht mehr werden, das ist mir zu fein.
Welche sportlichen Ziele haben Sie noch?
Ich werde bald 30, da geht mein Blick ins Trainerdasein, auch wenn ich nach wie vor sehr gerne spiele.
Ist Glaube für Sie wichtig?
Neben unserem Bauernhof gibt es eine sehr schöne Kapelle. Nach dem Unfall bin ich immer wieder zu dieser Kapelle gegangen und habe gedankt, das nicht mehr passiert ist.
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Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien