Der Theologe Paul Zulehner warnt vor einer von Angst dominierten Politik und Gesellschaft.
Der Theologe Paul Zulehner warnt vor einer von Angst dominierten Politik und Gesellschaft.
Wiener Pastoraltheologe in "Christ&Welt": Heilung für eine "von Angstfurcht bedrängte Gesellschaft" kann aus Sicht Zulehners eine umfassende Bildung sein.
Der Theologe Paul Zulehner warnt vor einer von Angst dominierten Politik und Gesellschaft: "Keine Frage, für die einzelnen Menschen wie für die Politik wäre es ein Segen, würden die Ängste schrumpfen und das Vertrauen wachsen", schreibt Zulehner in einem Beitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ&Welt", Ausgabe, Donnerstag, 18. August 2016. Dabei könnten Religionen mithelfen. "An die Stelle der 'Heidenangst', die viele moderne Menschen erfasst hat, könnte Gottvertrauen treten."
Angst und Furcht seien "gewaltige politische Kräfte", so Zulehner. "Das derzeitige hohe Potenzial an Ängsten und Befürchtungen begünstigt eine 'Politik der Angst' mehr als eine 'Politik des Vertrauens'." Eine Politik der Angst bedeute zum Beispiel, Zäune zu errichten, Europa zu einer Festung auszubauen oder einen "Kampf für die kulturelle Reinheit des Abendlandes und damit gegen die Islamisierung".
Einen langen Atem habe dagegen eine Politik des Vertrauens. Sie kümmere sich "um einen baldigen Waffenstillstand, unterbindet Waffenlieferungen, richtet schon jetzt einen Marshallplan für Syrien oder für afrikanische Länder ein", so Zulehner. Sie setze "viele Mittel ein für Deutschkurse, noch mehr für eine Wohnbauoffensive gleichermaßen für Einheimische wie Schutzsuchende, stärkt und differenziert die Arbeitsmärkte." Eine Politik der Angst bearbeite lediglich Symptome, eine Politik des Vertrauens "Ursachen der weltpolitischen Herausforderungen durch Kriege und himmelschreiende Hoffnungslosigkeit und Armut".
Heilung für eine "von Angstfurcht bedrängte Gesellschaft" kann aus Sicht Zulehners eine umfassende Bildung sein. Dazu gehörten die Bildung starker Persönlichkeiten, politische und interreligiöse Bildung. Wichtig seien auch Begegnungen mit Schutzsuchenden, die ihre Fluchtgeschichten erzählten. Der Theologe wirft die Frage auf, ob es gläubige Menschen leichter haben, sich einzusetzen - "in einer eigenartigen Allianz von politischem Verstand und Gottvertrauen"? Zulehner meint: "Wer sich heute in der politischen Szene umsieht, könnte zu einer solch zuversichtlichen Annahme gelangen."
Die wöchentliche "Zeit"-Beilage "Christ&Welt" wird ab Oktober nicht mehr vom Bonner katholischen Medienhaus herausgegeben, sondern von der Hamburger Zeitung "Die Zeit" selber. Neuer Name wird "Zeit: Credo" sein. Die Redaktion übersiedelt von Bonn nach Berlin. Neuer Redaktionsleiter wird Raoul Löbbert, der seit 2010 zum Redaktionsteam gehört. "Christ&Welt" ging 2010 aus der traditionsreichen deutschen Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" hervor. Die zuletzt im Eigentum von acht katholischen Diözesen der Deutschen Bischofskonferenz befindliche Zeitung war 2010 eingestellt worden.
In der "Süddeutschen Zeitung" wurde die Entwicklung kritisiert und auf den durch den Weggang verursachten Bedeutungsverlust des Bonner Katholischen Medienhauses hingewiesen: "Im Medienhaus in Bonn verbleiben die Katholische Nachrichtenagentur, der Internetauftritt katholisch.de, der Filmdienst, der Mediendienst. Doch ausgerechnet 'Christ&Welt' bricht nun weg, der Platz für die intellektuellen Debatten."