Pompeo Batonis „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ (1773) im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Pompeo Batonis „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ (1773) im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Malerei, Fotografie und Film lenken den Blick auf Menschen am Rand der Gesellschaft. Selbst Architektur kann Barmherzigkeit ausdrücken. "Der SONNTAG" berichtet.
Ein Gang durch das Kunsthistorische Museum (KHM) in Wien zeigt: Zahlreiche Künstler haben Barmherzigkeit ins Bild gebracht und waren von Szenen, in denen Liebe, Vergebung, Beistand oder Freigiebigkeit ausgeübt werden, fasziniert.
Ein Beispiel ist die berührende Darstellung der „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ durch den Maler Pompeo Batoni (1708-1787). Der barmherzige Vater hüllt den soeben heimgekehrten, halbnackten Sohn in seinen (königlichen erscheinenden) Mantel. Eine weise, gelassene Liebe, die nicht rechnet, drückt sich im Gesicht des Vaters aus.
Im Bild „Hagar und Ismael in der Wüste“ vermittelt Paolo Veronese (1528-1588) Gottes barmherziges Wirken durch einen Engel: Dieser zeigt Hagar einen Brunnen und rettet so Ismael vor dem Verdursten.
Auch bei der Entstehung von (heute unschätzbar wertvollen Gemälden) spielte Barmherzigkeit eine Rolle, so bei Albrecht Dürers „Landauer Altar“, ebenfalls zu sehen im KHM: Der Nürnberger Kaufmann Matthäus Landauer hatte das Bild einst für den Neubau der Kapelle des Zwölfbrüderhauses, eines Altersheims für zwölf unschuldig in Not geratene Handwerker, in Auftrag gegeben.
Es zeigt die Anbetung der Heiligen Dreifaltigkeit durch die Gemeinschaft der Heiligen mit allen Christen.
„Bei der Vermittlung und Realisierung der Botschaft der göttlichen Barmherzigkeit können alte wie zeitgenössische Kunstwerke zuweilen sprechender als Worte sein“, findet Bernhard Kirchgessner, Priester und Autor im Buch „Barmherzigkeit hat ein Gesicht. Bildbetrachtungen zu Festen im Kirchenjahr“ (Herder Verlag).
Die künstlerische Wahrnehmung von Menschen am Rand und in Notlagen, das Sich-Berühren-Lassen von der Not anderer sei eines der großen Themen der Kunst im 20. Jahrhundert gewesen, sagt der Wiener Künstlerseelsorger und Jesuit Gustav Schörghofer.
Beispiele dafür seien Josef Koudelkas Serie über Roma, die zu den bedeutendsten Fotobüchern überhaupt zählten oder der Blick des US-Starfotografen Richard Avedon auf Bewohner im Westen der USA am Rande der Gesellschaft.
Auffallend sei dasselbe Hinwenden des Blickes auf den Rand auch in Dokumentarfilmen, wie etwa in Michael Glawoggers Werken über die Gefährdung der Welt durch das aktuelle Wirtschaften und den Konsumismus.
Das Thema der Barmherzigkeit – nach der biblischen Vorlage des Mannes, der unter die Räuber fiel und ausgeplündert halbtot am Boden lag, während ein anderer vorbei kam und sich von der Not berühren ließ – werde hier aufgegriffen und umgesetzt, so der Kunstexperte.
Durchaus sei das biblische Anliegen mittlerweile „in das allgemeine Bewusstsein hineingewandert“, regt Gustav Schörghofer eine positive Sichtweise an: „Der Barmherzige Samariter wird nun nicht dargestellt, sondern vollzogen: Man verhält sich wie er.
Das ist erstaunlich.“ Kunst komme hier einer wesentlichen Aufgabe nach, die Welt zu verbessern – nicht im politischen oder sozialen Sinn, sondern durch ein Verfeinern des Bewusstseins und das Eröffnen einer Möglichkeit, sich anders zu verhalten.
„In der christlichen Bildkultur herrscht grundsätzlich eine Passionstendenz vor. Diese wurde zwar als eine Heroisierung des Leids nicht zu Unrecht kritisiert, umgekehrt hat sie aber auch die Empathiefähigkeit eines und einer jeden Einzelnen geformt und gesteigert“, sagt Johannes Rauchenberger, Leiter des Kulturzentrums der Minoriten in Graz, dem SONNTAG.
Der Theologe und Kunsthistoriker meint: „Ohne das Motiv des Mitleids ist eigentlich die christliche Bildkultur nicht zu erklären.“
Dabei sei die Kirche keineswegs nur die Anwältin der Armen oder der Barmherzigkeit. „Dass der gegenwärtige Papst nun so stark dieses Thema bearbeitet wissen will, hat natürlich eine nicht zu unterschätzende Konsequenz im Bild der Kirche.“
Auch in der Kirchenarchitektur kann sich Barmherzigkeit ausdrücken, so war partizipative Architektur ein Leitmotiv im modernen Kirchenbau.
Johannes Rauchenberger: „Am Höhepunkt kirchlicher Macht – im Barock – hat Gianlorenzo Bernini jedenfalls mit seinen Kollonaden am Petersplatz ein architektonisches Bild von Kirche mit weiten Armen gezeigt, und zwar so, dass diese offenen Arme auch eine Form hatten.
Ich kann mir nicht ganz vorstellen, dass unser gegenwärtiger Papst seine barocken Vorgänger im Petrusamte mag, aber dass sie eine derartige Architektur ermöglicht haben, dafür bin ich dankbar.“
Auf den Schultern einer derartigen symbolischen Architektur könne man umso deutlicher symbolische Gesten setzen wie z. B. Duschen für Obdachlose aufstellen. Johannes Rauchenberger: Ich finde, was sich am derzeitigen Pontifikat abspielt, ist schon wirklich atemberaubend.“
Bernhard Kirchgessner
Bildbetrachtungen zu Festen im Kirchenjahr
2016, Verlag Herder
Auflage: 1. Auflage
Fester Einband
208 Seiten
ISBN: 978-3-451-34780-1
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