Interview mit Petra Ramsauer
„Angst ist ein Knotenpunkt unserer Seele“

Petra Ramsauer: "Die Angst ist ein guter Begleiter, der einen führen kann, von dem man sich aber nicht blind führen lassen sollte." | Foto: privat
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  • Petra Ramsauer: "Die Angst ist ein guter Begleiter, der einen führen kann, von dem man sich aber nicht blind führen lassen sollte."
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Petra Ramsauer war jahrelang in Krisenregionen als Reporterin unterwegs. Gegenüber dem SONNTAG schildert die Buchautorin, wie man in Zeiten von Corona und Attentaten mit Angst umzugehen lernt und wie sie eine schwere Krankheit bewältigte.

Wir treffen uns in Zeiten des Lockdown mit Mundnasenschutz und führen das Gespräch mit genügend Abstand bei geöffneten Fenstern. Denn eines haben wir gemeinsam: Respekt vor Corona.

Petra Ramsauer war über 20 Jahre lang in Krisenregionen der Welt als Reporterin unterwegs. Syrien, Libyen oder der Irak als Beispiel. Sie kennt die Gefahren und hat mit ihnen beruflich umzugehen gelernt. Dass sie in diesem Job landete, war einer Krankheit geschuldet.

  • DER SONNTAG: Sie hatten im Alter von 27 Jahren eine lebensgefährliche Tumorerkrankung. Was haben Sie aus dieser schwierigen Zeit für sich mitgenommen?

Petra Ramsauer: Das hat mich sehr geprägt und mich früh im Leben mit der Frage konfrontiert, was meine Sterblichkeit bedeutet. Wie gehe ich mit lebensbedrohlichen Situationen um und was ist eigentlich in diesem Leben wirklich wichtig?

  • Haben Sie für sich Antworten darauf gefunden?

So viel Zeit zum Denken habe ich nicht gehabt, da ich einige Wochen in Todesangst gelebt habe. Was dann geblieben ist, war die Überzeugung, dass das Leben sehr wertvoll ist. Ich habe es empfunden wie ein zweites geschenktes Leben, als ich eine entwarnende Diagnose erhielt, das war ein Wunder. Denn es hat eigentlich niemand mehr daran geglaubt, dass ich das überlebe.

Ich habe dann das Gefühl gehabt, meinem Leben etwas schuldig zu sein, weil es nicht selbstverständlich war, dass ich noch lebe. Das empfinde ich bis heute so.

  • Das war aber sprichwörtlich der Startschuss für eine gefährliche journalistische Tätigkeit. Warum?

Es war eine Zugabe in meinem Leben. Ich habe meinen Job als Redakteurin für Bildung und Gesundheit gekündigt und beschlossen, mich in Paris zur Krisenreporterin ausbilden zu lassen. Das wollte ich immer schon machen.

  • Sie bewältigen eine schwere Gesundheitskrise und begeben sich freiwillig in Gefahr?

Ich stellte mir die Frage: Wofür steht denn das Leben? Gilt es jedes Risiko auszuschalten, um jeden Preis? Nur um dieser Sterblichkeit ohnehin nicht zu entkommen. Oder kann man im Leben das verwirklichen, was man sich wünscht, auch mit einem großen Risiko? Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, meine Reisen in Krisenregionen so sicher wie möglich zu gestalten. Daher war ich gegen Gefahren auch gewappnet.

  • Wie haben sie gelernt mit Angst umzugehen?

Angst erfüllt die verschiedensten Aufgaben. Das sehen wir auch in der christlichen Philosophie, zum Beispiel bei Augustinus, da gibt es viele Auseinandersetzungen mit der Frage nach Angst. Sie ist ein Knotenpunkt unserer Seele. Natürlich hat sie eine Schutzfunktion. Diese habe ich auch gebraucht. Es kann auch passieren, dass die Angst einen vor jeder Kleinigkeit lähmt. Aber sie ist auch ein Signal dafür, dass ich mich aus meiner Komfortzone hinauswage. Ich glaube, die Angst ist ein guter Begleiter, der einen führen kann, von dem man sich aber nicht blind führen lassen sollte.

  • Wie geht man mit Gefahrenmomenten und Angst um?

Wir bringen uns laufend in Gefahr. Wenn wir unser Leben analysieren, was wir alles tun, dann sind da sehr viele Gefahrenmomente dabei. Auto fahren ist wahrscheinlich eines der gefährlichsten Dinge, die man tun kann.

Wenn man sich, so wie ich, bewusst in Gefahr begibt, dann muss man sich vorher exakt überlegen: Wie groß sind meine Chancen das zu überleben? Ist es die Geschichte wert? Was kann ich tun, um die Gefahr zu minimieren?

Gleichzeitig denke ich, ist es wichtig, dass wir in unserer Welt Menschen haben, die auch etwas erforschen, etwas riskieren, damit wir bessere, klare Informationen zur Verfügung haben.

  • Angst begleitet die Menschheit von Beginn an. Ist sie auch Motor der Fortentwicklung?

Wenn wir uns die Kirchengeschichte ansehen, dann denke ich, die vielen Heiligen, die wir verehren, waren ja Menschen, die die Angst vor dem Tod überwunden haben für ein höheres Gut. Das würde ich für mich nicht beanspruchen. Es ist auch ein Leitmotiv des Glaubens, nicht nur der christlichen Gläubigkeit, dass das Drüberstehen über die Angst vor dem Tod sehr wohl auch etwas Erstrebenswertes sein kann. Ich sehe das nicht als Lebenshilfe, sondern als Grundaxiom des Denkens.

  • Das Attentat in Wien am Allerseelentag hat uns aus dem Gefühl von Sicherheit gerissen. Wie sehen Sie das?

Das Attentat war eine schreckliche und potentiell traumatisierende Erfahrung für uns. Ich möchte hier die Betonung auf potentiell legen und nicht auf traumatisierend. Eine Traumatisierung entsteht ja dann, wenn das nicht gut abgelegt wird in der Erinnerung. Und da haben wir die Aufgabe, diese Erfahrung gemeinsam zu bewältigen. Ich habe gespürt, dass die Menschen sehr mutig und auch widerstandsfähig damit umgegangen sind.

Ich bin jetzt nicht so glücklich mit dem Begriff, die Krise als Chance zu sehen. Das ist einfach zu traurig, um hier ständig diesen Versuch zu starten, alles positiv zu sehen. Nein, es gibt Dinge, die sind durch und durch traurig und negativ. Und so sollen sie auch sein und nicht umgedeutet werden. Das tut Trauerarbeit nicht gut.

Trotzdem: Dieser Bruch, wo das Licht reinkommt, hat uns doch auch gezeigt, dass wir viel mehr aushalten können, als wir geglaubt haben. Auch als Gesellschaft.

  • Warum haben Sie ein Buch über Angst geschrieben?

Ich verändere mich derzeit beruflich in Richtung Trauma- und Psychotherapie. Das Heilen von Gesellschaften nach Kriegen und von Individuen ist mein Schwerpunkt. Ich habe immer 140 Prozent gearbeitet, keine Urlaube gehabt.

Ich wollte mich kennenlernen, wie ich bin, wenn ich keine Krisenreporterin bin, einfach nur ich. Dann kam Corona. Ich hatte den Eindruck, durch einige Tweets in den Sozialen Medien, dass Menschen plötzlich ganz intensiv meine Erfahrung im Umgang mit Angst gesucht haben und wissen wollten, wie ich das schaffe.

  • Was macht die Coronapandemie mit uns?

Wir erleben gerade jetzt die Dramatik der zweiten Welle, die uns vielleicht noch mehr fordert als die erste. Aber auch das werden wir bewältigen. Es ist wie ein Gewitter, dass sich lang aufgebaut hat. Jetzt blitzt, donnert und regnet es. Ich hoffe, dass wir durch die Resilienz, die wir aus der Überwindung der Pandemie mitnehmen, auch zukünftige Herausforderungen bewältigen, wie die Klimakrise.


Buchtipp
Petra Ramsauer. Angst. Kremayr & Scheriau Verlag. 125 Seiten. ISBN: 978-3-218-01238-6

Autor:

Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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