Raising a wild one – Lebhafte Kinder durchs Leben begleiten

Wie die meisten “modernen” Mütter habe ich mir ein wildes Kind gewünscht. Ich war verzaubert von den vielen Bildern von braungebrannten, schlammverschmierten Kindern mit wilden Haaren und breitem Lachen. Genau das habe ich mir gewünscht! Und bekommen. 

Wilde Kinder erfordern Mut – auch von den Eltern

Allerdings im nicht hochglanztauglichen Gesamtpaket. Wilde Kinder sind aktiv (und zwar durchgehend) und vor allen Dingen gefühlsstark. Sie erleben alle Gefühle intensiver – sie lachen mit allem, was sie sind und weinen aus tiefstem Herzen. Sie bekommen Wutanfälle und trotzen. Sie nehmen mit allen Sinnen stärker wahr – sie riechen intensiver, hören extrem gut, empfinden Berührungen stark. Und sie bringen Willensstärke mit. Meine jetzt zweieinhalbjährige Tochter hat einen Willen aus Stahl. Sie hat sehr früh zu sprechen begonnen – mit dem Ergebnis, dass ich mit ihr bereits im zarten Altern von zwei Jahren über so ziemlich alles diskutieren musste – was sie anzieht, was sie isst, wann wir wohin gehen. Einfach immer.

Alles nur schlechte Erziehung?

Und da ist auch schon die Aufgabe, die wir Eltern wilder Kinder haben: wilde Kinder haben von vielem mehr. Mehr Energie, mehr Lautstärke, mehr Enthusiasmus – aber auch mehr Wege, ihre Gefühlswelt und schlimmstenfalls ihr Selbstwertgefühl zu stören. Oft wird die Wildheit dieser Kinder als schlechte Erziehung wahrgenommen – denn „gut“ erzogene Kinder sind ruhig, beschäftigen sich gern alleine, beobachten lieber als sich selbst zu Wort zu melden und schreien keinesfalls.

Liest man die Kommentare zu Artikeln zum Thema „wilde bzw. gefühlsstarke Kinder“ dann bekommt man das drastisch vor Augen geführt: in fast allen wird ausgedrückt, dass die Eltern ja wohl nur zu faul waren, ihr Kind zu erziehen; dass diese Kinder eine Zumutung an pädagogisches Personal, ja die gesamte Gesellschaft sind und – der Klassiker darf natürlich nicht fehlen – dass es das früher selbstverständlich nicht gegeben hätte, denn da hätte es einfach das wunderbare Mittel der körperlichen Züchtigung gegeben, das hat uns ja auch nicht geschadet, jawohl! Nun – ich würde es niemals versuchen – aber ich bin sicher, dass man bei meiner Tochter mit Gewalt absolut nichts erreichen, sondern nur mehr Trotz und Wut ernten würde. Was aber fast immer hilft ist Zuwendung. Sie braucht viel Kuscheln, Liebe und Zuwendung – so findet sie auch immer zurück zu der inneren Ruhe und Selbstsicherheit, die sie schon als Baby ausgestrahlt hat. 

 Kinderfüße- und Hände im Gatsch

„Im Leben stehen“ will geübt sein

Wichtig ist es, die „Besonderheit“ gefühlsstarker Kinder nicht zu werten. Wilde Kinder sind sensibel und spüren, wenn man ihnen negativ voreingenommen begegnet. Das menschliche Gehirn hat leider die Angewohnheit, Negatives viel stärker zu bewerten als Positives. Und egal mit welchem Temperament ein Kind geboren wurde – alle Menschen wollen sich angenommen fühlen als genau die Person, die sie sind. Viel besser ist es, sich auf die Aspekte zu konzentrieren, die unseren wunderbaren Kindern später im Leben helfen werden: ihre Freude an Bewegung, am Draußen-sein, ihre Resilienz und Sensibilität, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre sensiblen Sinneswahrnehmungen. Alle diese Eigenschaften kann man nicht später „einschalten“, sie müssen sich entwickeln und „geübt“ werden. Auch wenn es für uns Eltern manchmal anstrengend ist.

 

Deshalb, liebe Eltern wilder Kinder: ich weiß, wie Ihr Euch fühlt. Man lernt, dass man erschöpft, stolz, frustriert und erstaunt gleichzeitig sein kann. Und trotzdem – unsere wunderbar wilden Kinder sind alles das wert. Denn es gibt sie, diese Tage, wo sie braungebrannt, schlammverschmiert, mit zerzausten Haaren und einem breiten Lächeln im Gesicht nach Hause kommen. Was kann man sich als Eltern mehr wünschen?

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