Samstag 20. April 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Lieber Herr Generalvikar! Lieber Herr Dompfarrer!
Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst!
Liebe Seminaristen! Liebe Mitbrüder aus dem Deutschen Orden!
Liebe Brüder und Schwestern!

Es ist eigenartig, aber es gibt nur zwei Feste, aber immerhin, an denen die Kirche nicht die Geburt, sondern die Empfängnis eines Menschen feiert. Es ist das heutige Fest "Maria Empfängnis" durch ihre Eltern Joachim und Anna, und es ist der 25. März, die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist in Maria, der Jungfrau. Zwei Feste der Empfängnis. Normalerweise feiern wir nur den Geburtstag. Wir werden bald den Geburtstag Jesu am 25. Dezember feiern. Am 8. September haben wir den Geburtstag Mariens gefeiert.

Wir alle haben unsere eigenen Geburtstage. Die wenigsten, so vermute ich, feiern den Tag ihrer Empfängnis, sofern die Eltern ihnen das verraten oder anvertraut haben. Der Lebensanfang beginnt in dem Moment, wo Eizelle und Samenzelle verschmelzen, dann bin ich. Das ist der neue Mensch, der Moment seiner Empfängnis, seines Entstehens, seines Daseins. Natürlich braucht es viele Rahmenbedingungen, dass dann das "Menschlein" im Mutterschoß sich bis zur Geburt entfalten kann. Über die Geburt hinaus brauchen wir so viel, damit das Menschenleben existieren kann. Und doch ist von diesem ersten Moment an diese meine Identität da, bin ich ich, bis in Ewigkeit. Denn wir alle haben einen Anfang, aber kein Ende. Wohl das Ende eines irdischen Lebensweges, aber nicht ein Ende unserer Existenz. Denn wir sind einmal empfangen worden, um für immer zu leben, um ewig zu leben.

Darum ist der Anfang des Lebens etwas so Einmaliges, so Heiliges. An diesem Tag, in dieser Nacht habe ich, haben Sie, haben wir alle zu existieren begonnen, nicht eine Idee und auch nicht nur einfach ein Zellhaufen, sondern wir, ich, du, jede, jeder von uns. Niemand hat uns gekannt, auch nicht unsere Eltern. Sie haben wohl wahrgenommen, früher oder später, dass ein Kind unterwegs ist. Aber wer das ist, der da im Schoß der Mutter zu leben begonnen hat, das wussten auch unsere Eltern nicht. Wir selber kannten uns noch nicht. Nur einer kannte uns bereits. ER, von dem der heilige Paulus heute in der zweiten Lesung sagt, dass ER uns erwählt hat vor der Erschaffung der Welt. ER hat uns bereits gekannt, und zwar so, wie wir uns selber nie, nie kennen werden. Selbst wenn wir uns noch so gut kennen nach einem vielleicht schon langen Leben, nie werden uns die anderen, die uns manchmal besser kennen, als wir uns selber, nie werden die anderen uns so kennen, wie ER uns kennt. ER kennt uns durch und durch, ganz und gar. ER hat mich schon gekannt, ehe ich wurde. ER weiß um mich, um jeden meiner Tage, sie alle sind schon in seinem Herzen, in seinem Wissen verzeichnet.

Heute, Brüder und Schwestern, dürfen wir diesen Gedanken auf Maria hin wenden. Ich liebe diese Betrachtung des Anfangs im Leben Marias. Denn als sie von ihren Eltern Joachim und Anna empfangen wurde, da begann etwas ganz Einzigartiges. Die Geschichte, das Leben eines Menschen, der, wie Elisabeth zu ihr gesagt hat "gesegnet ist vor allen Frauen". Gesegnet bist du unter allen Frauen. Da hat das Leben dieses Kindes begonnen, das für alle Menschen so unglaublich nahe und so bedeutend geworden ist. Heute beginnt das Leben dieses wunderbaren Menschen. In Tausend Liedern wird sie in der ganzen Welt besungen, geliebt und verehrt wie kein anderes Menschenkind. Ich liebe es zu betrachten, diesen Moment, den wir heute feiern, als ihr Leben begonnen hat.

Niemand wusste, was Gott mit diesem Menschenkind vorhatte. Sie selber musste es ja erst Schritt für Schritt lernen auf dem Weg ihres Lebens und ihres Glaubens. Aber ER, ER hat sie erwählt vor der Grundlegung der Welt, vor der Erschaffung der Welt. ER hatte schon, ehe sie empfangen war, einen unvergleichlichen Plan mit ihr, einen Auftrag, eine Lebensaufgabe und sie ist dieser Lebensaufgabe gerecht geworden. Sie hat zu ihr Ja gesagt, mit ihrem ganzen Leben, mit ihrem ganzen Wollen, mit ihrem ganzen Empfinden entsprochen. Weil sie diesen Auftrag erfüllt hat, wird sie heute in der ganzen Welt geliebt und verehrt. Mit welcher Kraft und Entschiedenheit hat sie Ja gesagt zu diesem Lebensauftrag! Darum ist dieser Tag ein so hoffnungsvolles Fest.

Jetzt aber noch die Frage: warum dieses seltsame Wort "unbefleckte Empfängnis"? Es ist Quelle so vieler Missverständnisse. Ich vermute, wenn Sie heute in den Shoppingzentren fragen: Was bedeutet das "Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens", werden Sie sehr seltsame Antworten bekommen. Was sagt dieses Wort? Es erinnert uns daran, dass wir alle, ausnahmslos, in eine Schuldgeschichte eingebunden sind. Nicht dass die Eltern das Böse weitergeben, - das Böse ist nicht vererbbar -, aber jedes Menschenleben ist geprägt von Verletzungen und vom Verletzen, das wir anderen zufügen. Wir alle sind in einer Kette von Gut und Böse. Aber Maria sollte ja ein Neuanfang sein, so wie es im Buch Genesis in der ersten Lesung hieß: "Eva ist die Mutter aller Liebenden", so soll Maria die Mutter aller Neugeborenen, aller Wiedergeborenen, aller sein, deren Leben neu begonnen hat. Maria hat gewissermaßen vorweg die Befreiung geschenkt bekommen, die für uns alle bestimmt ist, die Befreiung aus der Verstrickung in das Böse, aus der Erbschuld, der Erbsünde. Sie war davon frei vom Moment ihrer Empfängnis an. Deshalb ist so viel Freude über Maria, deshalb ist so viel Nähe Mariens zu uns Menschen. Vielleicht auch ein Anlass, heute für unser eigenes Dasein zu danken, für den Moment unserer Empfängnis, für unser Leben bis in Gottes Ewigkeit.

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