Dienstag 23. April 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zum Ostersonntag 2018

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn, zum Ostersonntag am 1. 4. 2018, im Dom zu St. Stephan, im Wortlaut:

Liebe Brüder und Schwestern!

 

Schnell sind sie vergangen, die drei Tage, das Triduum Paschale, vom Gründonnerstagabend bis zum heutigen Ostermorgen. Oder kommt es nur mir so vor, dass sie schnell vergangen sind? Eben war doch erst Karfreitag, das ernste Gedenken des Kreuzestodes Jesu. Und schon einen Tag später singen wir fröhlich in der Osternacht: „Drei Tage hielt ihn nur das Grab, freu dich und singe, er warf des Todes Fesseln ab, Halleluja, singt fröhlich: Halleluja“ (GL 337).

 

Ist das nicht alles ein bisschen schnell? Springen wir da nicht vorschnell vom Karfreitag und dem Tag der Grabesruhe, dem Karsamstag, zum fröhlichen Oster-Halleluja? Vielleicht ist mir das heuer gerade in diesem Osterfest so stark aufgefallen, weil ich selber nicht recht fröhlich diesen Schritt nachvollziehen konnte. Es ging mir einfach zu schnell. Wenn die Trauer echt ist, kann man dann schon am nächsten Tag Halleluja singen?

 

Ich muss Ihnen gestehen, Brüder und Schwestern, dass mir das nach so vielen Jahren, die ich über das Osterfest gepredigt habe, heuer erstmals etwas bewusst geworden ist, was ich viele Jahre lang so nicht gesehen habe. Ich finde es sehr spannend, dass wir im Laufe unseres Lebens in der Heiligen Schrift immer wieder Neues entdecken können. Es ist nie ausgeschöpft! Ich habe plötzlich zu spüren begonnen, wie schrecklich lang diese drei Tage waren. Nicht für uns vielleicht, sondern für die Freunde und Jünger Jesu. Unerträglich lang, was uns so kurz erscheint. Schauen wir kurz hin auf diese langen drei Tage.

 

Nach dem Abendmahl im Abendmahlsaal begann das Drama. Im Garten Gethsemani, Jesus wird festgenommen, abgeführt, gefangen, die Jünger flüchten, verstecken sich. Es beginnt die erste Nacht. Was für eine schreckliche Nacht! Was tun sie mit Jesus? Die Angst! Was passiert uns? Werden sie auch uns abholen und verhaften? Ich glaube nicht, dass die Jünger in dieser Nacht viel geschlafen haben. Dann der qualvolle Morgen am Karfreitag. Sie erfahren von dem nächtlichen Prozess, den man Jesus gemacht hat. Man hat ihn frühmorgens zu Pilatus geschleppt, und dann von Pilatus zu Herodes und wieder zurück zu Pilatus. Und dann immer noch am frühen Morgen geschieht das Unfassbare. Jesus wird zum Kreuz verurteilt, zum schrecklichsten Tod, den die Antike gekannt hat und den heute noch manche praktizieren. Zum Kreuz verurteilt, können wir uns vorstellen, wie die Jünger, auch die Mutter Jesu war dabei, was es bedeutet hat, diese langen Stunden, von neun Uhr früh bis drei Uhr Nachmittag, sechs Stunden, unentwegt daran denken zu müssen: Was geschieht da? Wie leidet er? Wie lange dauert dieses Leiden? Und die Hilfslosigkeit, das Denken an die unbeschreiblichen Qualen des Kreuzes. Diese Stunden sind eine gefühlte Ewigkeit. Bis die Nachricht um drei Uhr Nachmittag kommt: er ist tot!

 

Ich habe noch nie darüber so nachgedacht, wie lange und qualvoll so ein hilfloses Warten dauern kann. Obwohl wir das alle erfahren haben, qualvolles, hilfloses Warten. Sechs Stunden am Kreuz, endlos lange sechs Stunden! Und dann schnell die Grablegung, denn es wird schon Abend und dann ist Sabbat, und dann darf man nichts mehr arbeiten. Also wird er schnell ins Grab gelegt. Dann beginnt der große Sabbat mit dem Sonnenuntergang des Freitags. Das jüdische Fest, der Sabbat des Paschafestes. Ganz Jerusalem ist in Feststimmung. Es ist doch Ostern, Pessach!

 

Da beginnt für die Freunde Jesu diese schreckliche zweite Nacht. Alles ist zusammengebrochen. Jesus ist tot! Diese Nacht ist ein Albtraum und das Erwachen am Morgen, falls sie überhaupt geschlafen haben, ist wie eine Wunde. Es gibt ein Aufwachen, wenn man schwer schläft, das dann wie eine Wunde ist. Das Schreckliche ist wahr, er ist tot! Sie sind hilflos, alles ist leer und trostlos. Dann beginnt dieser endlos sich hinziehende Sabbat, an dem alle ruhen, nichts arbeiten dürfen, aber feiern, Sabbatfreude. Und wie geht es den Jüngern an diesem Sabbat, dem Karsamstag? Er ist tot. Er ist im Grab. Es sind endlose Stunden dieses Karsamstags.

 

Dann beginnt die dritte qualvolle Nacht. Die Frage: müssen sie sich damit abfinden, dass alles aus ist, mit dem Unausweichlichen? Er ist tot! Was reden sie miteinander? Was verfolgt sie in ihren Schlaf, an Angst, an Albträumen, an Hoffnungslosigkeit? Nach dieser dritten Nacht, ganz früh noch, solange es noch finster ist, schleichen sich ein paar Frauen durch die leeren Gassen von Jerusalem hin zu dem Grab, ganz nahe zu der Stätte, wo sie ihn gekreuzigt haben und sie finden den Stein weggewälzt. Das Grab ist leer. Und trotz der guten Nachricht, die ein Engel ihnen da sagt, heißt es beim Evangelisten Markus, dass sie schnell weglaufen von Schrecken und Entsetzen erfüllt. Nein, Brüder und Schwestern, so schnell kommen wir nicht beim Osterhalleluja an. Zu tief sitzt der Schrecken und die Not dieser drei langen Nächte und Tage. Es ist kein Wunder, dass die Apostel das, was die Frauen von dem leeren Grab berichten, „für Geschwätzt“ (Lk 24,38) halten und dass jenen, denen der Auferstandene erschien, nicht gleich der Jubel gekommen ist, sondern Bestürzung. Jesus sagt zu ihnen: „Warum lasst Ihr in euren Herzen solche Zweifel aufkommen?“ (Lk 24,38).

 

Brüder und Schwestern, Zweifel am Ostersonntag statt Freude. Und selbst, als es schon wirklich klar war, dass Jesus lebt, gibt es noch immer einige, die zweifeln, berichtet uns Matthäus (Mt 28,17).

 

Warum hat mich diese Einsicht heuer so bewegt? Ich muss ehrlich sagen, so habe ich es noch nie selber betrachtet. Weil auch uns das Halleluja nicht immer so leicht kommt. Ich gestehe, heute Nacht habe ich eine ganze Weile gebraucht, bis das Halleluja so richtig gekommen ist. Weil wir manchmal selber lange, überlange Karfreitage erleben, da ist der Ostermorgen nicht gleich da.

 

Manchmal braucht es einfach Zeit, bis das Osterhalleluja durch die Tränen, die Zweifel, die Ängste, die Verzagtheit sich einen Weg gebannt hat. Ein allzu laut gesungenes Halleluja kann nicht immer übertönen, dass es Zeit braucht, dass wir Zeit brauchen, um die gute Nachricht, das Evangelium von der Auferstehung ganz in unserem Herzen ankommen zu lassen. Dann aber kann es zu einer stillen, festen, und dann auch fröhlichen Gewissheit werden, dass der Herr auferstanden ist. Ja, er ist wahrhaft auferstanden!

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