Samstag 20. April 2024
Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht
Joh. 12, 24
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zu Mariä Empfängnis

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn, zum Fest Mariae Empfängis, am Samstag, 8. Dezember 2018, im Dom zu St. Stephan, im Wortlaut:

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Das heutige Fest ist tief verwurzelt in der Geschichte Österreichs. Die größte Volksabstimmung, die es in Österreich gab, war die nach dem Krieg in den späten 50er Jahren, als viele Menschen in Österreich das von den Nazis abgeschaffte „Fest der Unbefleckten Empfängnis“ wieder zu einem Fest, auch einem staatlichen Feiertag wird. So ist es dann auch wieder geworden und geblieben bis dann vor einigen Jahren der drängende Geschäftssinn des Weihnachtsgeschäftes den Feiertag zwar nicht ganz abgeschafft, aber so durchlöchert hat, dass er nur mehr ein halber Feiertag ist. Aber das vielleicht auch damit zu tun, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, was das für ein Fest ist, das wir heute feiern. Ich bin sicher, wenn wir auf der Straße fragen: Was ist das, das „Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens“? werden die meisten Leute den Kopf schütteln und sagen: Das weiß ich nicht. Ich frage jetzt nicht auch hier im Dom.

 

Was bedeutet dieser rätselhafte Namen dieses Festes? Schon das Evangelium von heute trägt dazu bei, dass viele ein Missverständnis haben und sie denken das ist das Fest der Empfängnis Jesu. Maria habe Jesus eben ohne Erbsünde empfangen. Nein, es geht um die Empfängnis Mariens durch ihre Eltern Joachim und Anna. In neun Monaten werden wir das Fest ihrer Geburt am 8. September feiern, Mariä Geburt.

 

Aber was bedeutet dieser Name der Immaculata Conceptio, der Unbefleckten Empfängnis? Ich möchte Ihnen dazu eine Geschichte erzählen, die Sie vielleicht auch schon kennen, von einem 14jährigen Mädchen aus einer ganz armen Familie, einer Notstandsfamilie, so arm, dass man sie im Ortgefängnis als Notquartier untergebracht hatte. Dieses Mädchen geht mit zwei anderen Mädchen Brennholzsammeln, es ist Winter, es ist kalt und es gibt zu wenig, um das arme Quartier zu heizen. Sie kommen am Flussufer an eine Grotte, um dort am Rand des Flusses Holz zu sammeln. Plötzlich sieht das eine Mädchen eine Gestalt, eine Frau in einer Felshöhle. Und diese Frau lächelt ihr zu und dieses Mädchen beginnt spontan ihren Rosenkranz herauszuziehen und zu beten. Dann verschwindet diese Frau wieder. Dieses Mädchen glaubte, dass auch die beiden anderen Mädchen sie gesehen hätten und fragt sie: Habt ihr was gesehen? Nein. Und dann vertraut sie doch dem einen Mädchen an, dass sie eine Frau gesehen hat. Das andere Mädchen verspricht, es nicht weiter zu erzählen. Aber natürlich erzählt sie es weiter, und in kürzester Zeit verbreitet sich das Gerücht, diese Erscheinung wird wohl Maria gewesen sein.

 

Achtzehn Mal hat dieses Mädchen dann immer wieder angezogen, hingezogen zu dieser Grotte „Aquerò“ gesehen. Sie nannte sie „aquerò“ in ihrem Dialekt. Diese da! Immer wieder hat sie gefragt: Wer bist du? Inzwischen war ein großer Auflauf, Scharen an Menschen sind gekommen und wollten das erleben, wenn dieses Mädchen Aquerò, d.h. dieses da, sieht.

 

Der Pfarrer des Ortes war äußerst skeptisch. Er hat geglaubt, das Mädchen hat Illusionen, phantasiert und hat sie immer gedrängt: Sag doch, wie sie heißt! Erst bei der 16. Erscheinung hat dieses Mädchen dreimal gedrängt: Sag mir deinen Namen! Und schließlich hat Aquerò, dieses da, im Dialekt des Mädchens gesagt: „Que soy era Immaculada Councepciou“, Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Das Mädchen hat seine ganze Kraft zusammengenommen, sie wusste nicht, was das heißt. Aber sie hat es sich eingeprägt und ist so schnell sie konnte zum Pfarrer gelaufen, stürzt bei ihm in den Pfarrhof und sagt: „Que soy era Immaculada Councepciou“ - Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Da hat der Pfarrer gesagt: Bist du verrückt? Aber dann ist ihm bewusst geworden, dieses Mädchen, die Analphabetin war aus ärmsten Verhältnissen, konnte das nicht erfunden haben. Da ist die Skepsis dieses Pfarrers zusammengebrochen. Er hatte mit den Tränen zu kämpfen, hat sich umgedreht, um nicht zu zeigen, wie sehr ihn das berührt hat, es war ihm klar: Das war Maria! Diese Erscheinungen ist sie selber.

 

Sie haben erraten, welche Geschichte ich erzählt habe, es ist die Geschichte von Bernadette, am 11. Februar 1858 zum ersten Mal und zum letzten Mal am 16. Juli 1858. 18 Mal ist Maria nur ihr erschienen. Heute gehen Millionen von Menschen jedes Jahr nach Lourdes und sehen diese Statue, unter der jetzt auf Französisch steht: Je suis l‘Immaculée Conception – Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.

 

Was bedeutet dieser Namen? Bernadette hatte nicht verstanden, was es ist. Sie hat sich nur den Namen gemerkt. Heute sind viele, viele wie Bernadette, die kaum eine Ahnung haben, was dieser Namen bedeutet. Maria ohne Makel der Erbsünde von ihren Eltern Joachim und Anna empfangen. D.h. vom ersten Moment ihrer Empfängnis an, ihres Lebens an ohne den Makel der Erbsünde.

 

Ich war im vergangenen Jänner wieder einmal in Lourdes. Es zieht mich immer wieder dorthin zu diesem so ganz besonderen Ort der Gnade, wo so viele Kranke Trost und Menschen Stärkung finden. Ich habe in der winterlichen Stille bei der Grotte immer wieder nachgedacht: Was ist das Geheimnis dieser Frau Aqueró, dieser da, Menschen aus der ganzen Welt anzieht? Ich glaube es ist das: Was macht einen Menschen anziehend? Je weniger ein Mensch auf sich selber konzentriert ist, nein, je mehr er offen ist für Gott und für den Nächsten, desto anziehender ist er oder sie. Das Geheimnis Mariens, warum alle Menschen in dieser Welt ein solches Vertrauen zu dieser Frau haben, ist, dass sie frei von sich selber ist. Wir alle, die wir die Folgen der Erbsünde tragen, wir alle haben zu kämpfen damit, dass wir im Mittelpunkt stehen. Mein Ich. Wir sind hineingebunden in eine Kette von viel Gutem, aber auch viel Unheil, Familiengeschichten, Lebensgeschichten, Lebensdramen. Wir sind Verwundete und verwunden, wir sind Verletzte, und deshalb oft auch so sehr verletzend. Maria ist allein durch die Gnade Gottes frei von dieser Verkettung. Sie ist ein ganz normaler Mensch, aber frei von dieser Verkettung in die tragischen Geschichten unserer Sünden, Verfehlungen, unserer Defizite und Mängel, aber auch des Bemühens um das Gute.

 

Deshalb ist Maria so anziehend, deshalb kommen Millionen von Menschen an ihre Heiligtümer überall in der Welt. Was bedeutet dieser geheimnisvolle Namen? Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Ich deute es so, wie es der Bernadette ergangen ist: sie war unwiderstehlich hingezogen zur Begegnung mit dieser Frau. Sie hat dort unvergleichlichen Trost erfahren, Stärkung, Freude. Das ist es, was Maria ausstrahlt bis heute und für uns alle.

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