Samstag 20. April 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zu Pfingsten, am 9. Juni 2019 im Stephansdom

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn Pfingstsonntag am 9. Juni 2019  im Wortlaut:

Liebe Brüder und Schwestern!

 

Leider kann ich Sie nicht in allen Sprachen begrüßen, aber ich hoffe, wir alle verstehen die Sprache des Herzens. Vor wenigen Tagen rief mich der Herr Oberrabbiner Ari Folger an, um mir zu danken, dass ich ihm und der israelitischen Kultusgemeinde zum Pessachfest gratuliert hatte und er wollte mir zu Schawuot gratulieren, zum Pfingstfest. Er hat daran erinnert, dass wir in diesem Jahr dasselbe Datum haben, was nicht immer der Fall ist, weil die Berechnung des Osterdatums unterschiedlich ausfallen kann.


Schawuot, das Pfingstfest. Schwestern und Brüder, lasst uns einen Moment hinschauen auf die gemeinsamen Wurzeln. Paulus sagt: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!“ (Röm 11, 18). Das sagt er den Heidenchristen und erinnert daran, dass Israel, das jüdische Volk, der jüdische Glaube unsere Wurzel ist. Das sieht man gerade an Pessach, an Ostern, und an Pfingsten. Was feiern die Juden an Schawuot, am Wochenfest? Denn es sind sieben Wochen plus ein Tag seit Ostern, Pentekoste, 50 Tage, für die Juden wie für uns. Was feiern sie am Wochenfest? Wie so oft haben jüdische, aber auch christliche Feste einen ganz bodenständigen Wurzelboden. Ursprünglich war Schawuot ein Erntedankfest, das Erntedankfest für die Weizenernte, die natürlich im Heiligen Land, in Israel viel früher stattfindet als bei uns hier im Norden. Erntedank bleibt für alle Zeiten einer der tiefsten Wurzelböden unseres religiösen Lebens. Gerade in Zeiten des Klimawandels werden wir daran erinnert: der Dank für die Schöpfung, der Dank an den Schöpfer, der in den Erntedankfesten zum Ausdruck kommt. Das bleibt für uns alle als Auftrag: Pfingsten, das Erntedankfest, Dank für den Schöpfergeist, der die Welt erfüllt, die Schöpfung. „Der Geist des Herrn erfüllt das All“. Im 2. Vers der Bibel steht: „Der Geist Gottes brütete über den Wassern“, heißt es wörtlich, er schwebte über den Wassern. Ohne den Geist wäre die Schöpfung nicht, rein materiell ist sie nicht zu erklären.


Schawuot hat aber auch einen zweiten Sinn, einen sehr freudigen, wie schon das Erntedankfest: Der Dank für die Gabe des Gesetzes auf dem Berg Sinai. Mose hat auf dem Berg die Tafeln mit den Zehn Geboten empfangen, der Zusammenfassung der Gesetze Gottes, der Tora. Das Geschenk der Tora und des Bundes. Gott hat mit seinem Volk, mit den Menschen einen Bund geschlossen, eine Verbindung. Der Ausdruck dieser Verbundenheit ist das Gesetz. Das ist nicht etwas Äußerliches und Kaltes, wie wir oft glauben, denn gerade an Schawuot, das ja ein Freudenfest ist, dankt das jüdische Volk Gott für diese wunderbare Gabe der Tora.
Schwestern und Brüder, was wäre eine Welt ohne Menschen, die sich an die Zehn Gebote halten? Stellen Sie sich das vor, eine Welt, in der Lügen, Stehlen, Morden selbstverständlich ist, eine Hölle! Warum feiern die Juden ein eigenes Fest, das Fest Simchat Tora? Es ist das Fest der Freude über das Gesetz Gottes, das uns gegeben worden ist, damit wir mit Gott im Bund leben und damit wir untereinander wirklich als Brüder und Schwestern leben können. Deshalb tanzen die Juden mit der Torarolle im Arm wie mit einer Braut, das Gesetz Gottes im Arm, so tanzen sie in der Synagoge am Fest Simchat Tora.


Aber Brüder und Schwestern, was hat das Ganze mit dem Heiligen Geist zu tun? Hat das christliche Pfingstfest etwas völlig Neues gebracht? Diese Erfahrung des Heiligen Geistes, die uns beschrieben worden ist in den Worten der Apostelgeschichte, dieses Stürmen und Brausen und die Feuerflammen, diese Erfülltheit mit dem Geist, ist das etwas Neues, das nur die Christen kennen und nicht auch die Juden?


Ich erinnere uns alle an diesen Moment, wo Mose ausruft: „Ach, wäre doch das ganze Volk vom Geist erfüllt!“ Es ist die Sehnsucht, die Mose hatte, dass der Geist Gottes uns alle erfüllt. Wir erinnern uns an die Propheten, an Jeremia, den großen Propheten, der gesagt hat: „Im Namen Gottes, ich werde euer Herz aus Stein herausnehmen und euch ein Herz aus Fleisch geben“ und ich werde meinen Geist über euch ausgießen (Jer 17,9), Die Sehnsucht, dass wir nicht nur Buchstaben haben im Gesetz, sondern den Geist des Gesetzes, den Geist, den Gott uns geben will. Joel, der Prophet, den Petrus am Pfingstfest zitiert hat, sagt: „Ich werde meinen Geist ausgießen über alle Völker“. So ist das Pfingstfest die Erfüllung einer tiefen Sehnsucht. Möge doch der Geist Gottes über uns alle kommen! Er ist nicht reserviert für einige wenige Propheten oder geistliche Menschen, sondern er ist für uns alle: Der Geist des Herrn erfüllt das All. Der Geist des Herrn erneuert die Welt, erneuert die Schöpfung, erneuert die Herzen. Er heilt, er tröstet, er gibt Kraft. Die Sehnsucht nach diesem Geist, Schwestern und Brüder, das verbindet uns mit unserem Wurzelboden, der uns trägt.


So wollen wir heute Schawuot im Gedenken im Gedenken an unsere jüdischen Schwestern und Brüder im Herzen mitfeiern und ihnen und uns allen die Freude des Heiligen Geistes, seine Kraft, seine lebensspendende Gegenwart wünschen. Amen.

 

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