Mittwoch 24. April 2024
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Predigt zu Allerheiligen 2019

Predigt von Kardinal Christoph Schönborn, zur Allerheiligen, am Freitag, 1. November 2019, im Dom zu St. Stephan im Wortlaut:

Liebe Brüder und Schwestern!

 

In der ersten Lesung, die wir gehört haben, aus der Offenbarung des Johannes geht es in dieser Szene um eine Verzögerung. Denn unmittelbar davor schaut Johannes das Buch mit sieben Siegeln, das niemand öffnen kann. Bis dann das Lamm erscheint und ihm das Buch übergeben wird und das Lamm beginnt die sieben Siegeln zu öffnen. Die ersten vier Siegeln sind die vier Pferde, Rosse, das weiße, das feuerrote, das schwarze und das fahle Ross, und sie bringen mit sich die Nöte über die Welt, den Hunger, den Krieg und schließlich wird das fünfte Siegel geöffnet und es werden sichtbar die Seelen der Märtyrer, derer, die hingeschlachtet wurden um des Lammes willen. Und schließlich das sechste Siegel mit der großen kosmischen Katastrophe. Die Sterne fallen vom Himmel und große Erdbeben erschüttern die Erde. Dann entsteht plötzlich eine Pause. Die heutige Lesung ist genau diese Pause, ehe das siebte Siegel geöffnet wird. Und der Engel erscheint, spricht mit lauter Stimme: „Fügt dem Land, dem Meer und den Bäumen keinen Schaden zu, bis wir den Knechten unseres Gottes das Siegel auf die Stirne gedrückt haben“ (Offb 7,2ff). Eine Verzögerung. Noch gibt es sozusagen eine Chance. Noch einmal wartet Gott zu. „Schont derweil die Erde, bis die Erwählten besiegelt sind. Jene große Schar, die kein Mensch zählen kann, aus allen Stämmen, Sprachen und Nationen, die vor dem Thron und dem Lamm stehen“.

 

Brüder und Schwestern, dieses Thema des Aufschubs ist in der Bibel sehr häufig. Es hat etwas zu tun mit der Geduld Gottes. Gott gewährt noch eine Frist. Wir haben das Gleichnis Jesu etwa von dem Feigenbaum, der schon drei Jahre keine Frucht bringt. Der Besitzer sagt zum Gärtner: Schneid ihn um! Der sagt nein, Meister, lass ihn noch ein Jahr stehen. Ich will noch einmal umgraben und düngen, vielleicht bringt er doch Frucht.  Verzögerung, noch eine Frist.

 

Brüder und Schwestern, ich durfte in den letzten drei Wochen im Oktober in Rom an der Amazonien-Synode teilnehmen. Dieses Thema der Verzögerung ist mir sehr gegenwärtig geworden durch diese vielen Wortmeldungen, die ich hören durfte von den Bischöfen, den Experten, den Betroffenen aus Amazonien. Verzögerung. Einer hat gesagt: Später ist zu spät. Noch ist es Zeit, dann wird es zu spät sein. Wenn Sie in den Medien die Nachrichten verfolgt haben, dann hat man den Eindruck, es gab bei dieser Synode nur ein Thema: Wird der Zölibat abgeschafft oder nicht. Ich finde das eigentlich empörend, dass der Notschrei nicht gehört wurde, aber vielleicht will man ihn nicht hören, dass es wirklich noch eine Chance gibt, aber dass die Zeit knapp ist. Ein großer Klimaexperte hat zu uns allen in der Synode gesagt: Der Tod des Amazonaswaldes ist der Tod der Welt! Manche haben dann gleich gesagt: Das ist übertrieben, das ist Panikmache! Ich kann es nicht beurteilen, aber die Sorge ist groß. Es ist das größte Waldgebiet der Welt, so groß wie ganz Europa bis zum Ural, und es ist bedroht. Aber nicht so sehr bedroht durch die Eingeborenen, die Indiovölker, die dort leben, sondern durch unsere Lebensweise. Ein Bischof hat gesagt: „Ihr wollt, dass wir den Amazonaswald erhalten, aber ihr wollt eure Lebensweise nicht ändern“. Ich werde jetzt nicht weiter darauf eingehen, was das alles bedeutet. Aber unser Lebensstil ist nicht zukunftsfähig. Noch haben wir Zeit, aber später ist zu spät.

 

Natürlich geht es in der Synode auch um die Seelsorge, um die Seelsorge an den Menschen, die in diesem riesigen Gebiet leben und die in vieler Hinsicht bedroht sind, die indigenen Völker, aber auch die vielen Immigranten durch die viele Armut und wirtschaftliche Not, und natürlich die Frage nach genügend Priestern. In diesem Zusammenhang ist es auch berechtigt die Frage zu stellen, ob es auch möglich wäre, eines Tages verheiratete, im Leben bewährte Männer zu Priestern zu weihen für die Menschen in diesen entlegenen Gegenden. Aufschub, Verzögerung.

 

Heute feiern wir Allerheiligen. Wer hält eigentlich das Unheil auf? Denn wir wissen gar nicht, wieviel Unheil uns dadurch erspart wird, dass Gott Geduld hat. Aber dass es auch Menschen gibt, die diese Verzögerung des Unheils bewirken. Wer sind die? Eben die Heiligen. Was macht sie aus? Sie bringen in diese Welt dieses Element, dass das Böse zurückhält, das den Sieg des Bösen aufhält, gewissermaßen einen Schutzwall bildet gegen das Anströmen und Anfluten des Bösen, der Zerstörung, des Hasses. Das sind die Menschen der Seligpreisungen, von denen Jesus heute spricht und es sind nicht die großen und mächtigen, es sind die vielen, vielen einfachen Menschen, die die Seligpreisungen leben. Dadurch, dass sie sie leben, verbessern sie die Welt und verhindern, dass diese Welt bergabgeht. Selig, die arm sind vor Gott, bescheiden, einfach, demütig. Selig die Sanftmütigen, die nicht Gewalt ausüben, die sich nicht rächen. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die nicht mit allen Wölfen mitheulen, sondern bereit sind für die Gerechtigkeit einzustehen. Selig die Barmherzigen, die ein Herz für die anderen haben, die die Not der anderen sehen und nicht wegschauen. Selig, die reinen Herzens sind, die Geraden, die Aufrechten. Das sind die Menschen, die das Böse aufhalten, das sind die, die die Welt im Lot halten. Selig, die Frieden stiften.

 

Brüder und Schwestern, heute feiern wir nicht nur die Heiligen des Himmels, sondern wir danken Gott auch für die vielen, vielen, die nur Gott kennt, die vielen, vielen, die die Seligpreisungen jetzt leben. Ihnen verdanken wir, dass die Welt nicht im Bösen und im Hass und im Unheil versinkt.

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