Kreuzweg-Meditation
Erste Station
Jesus wird zum Tode verurteilt
Aus dem Lukasevangelium . (Lk 23,22-25)
Zum dritten Mal sagte er zu ihnen: Was für ein Verbrechen hat er denn begangen? Ich habe nichts feststellen können, wofür er den Tod verdient. Daher will ich ihn auspeitschen lassen und dann werde ich ihn freilassen. Sie aber schrien und forderten immer lauter, er solle Jesus kreuzigen lassen, und mit ihrem Geschrei setzten sie sich durch: Da entschied Pilatus, dass ihre Forderung erfüllt werden solle.
Ich sehe dich, Jesus, vor dem Statthalter, der dreimal versucht, dem Willen des Volkes zu widerstehen, und sich schließlich dafür entscheidet, sich nicht zu entscheiden.
Und ich sehe dich vor der Menschenmenge, die dreimal befragt wird und sich immer gegen dich entscheidet. Untergetaucht in der Masse verliert der Mensch seine eigene Persönlichkeit; er sagt das Gleiche wie tausend andere. Dennoch ist er verantwortlich.
Auf diesem überfüllten Platz hätte es gereicht, wenn nur ein einziges Herz gezweifelt hätte, wenn sich auch nur eine einzige Stimme gegen die tausend Stimmen des Bösen erhoben hätte. Lassen wir unsere Herzen zweifeln und verpflichten wir uns dazu, unsere Stimme zu erheben.
Ich bitte dich, Herr, wache über unsere Entscheidungen,
erhelle sie mit deinem Licht,
wecke in uns die Fähigkeit Dinge zu hinterfragen
und gib uns den Mut, unsere Stimme zu erheben
gegen ungerechte Entscheidungen.
Zweite Station
Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
Aus dem Markusevangelium (Mk 8,34-35)
Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.
Ich sehe dich, Jesus, mit Dornen gekrönt, während du dein Kreuz auf dich nimmst. Du nimmst es an, wie du immer alles und jeden angenommen hast. Sie beladen dich mit dem schweren rauen Holz, aber du lehnst dich nicht auf, du nimmst es auf deine Schultern und gehst los.
Wie oft habe ich rebelliert, wie oft war ich verärgert über die Aufgaben, die ich erhalten habe und die ich als schwierig oder ungerecht empfunden habe. Du tust das nicht. Dank dir verstehe ich, dass dies ein Kreuz des Heils und der Befreiung ist, ein Kreuz, das Halt gibt in der Not.
Ich bitte dich, Herr,
da das Kreuz das Zeichen unseres Glaubens ist,
lass uns in seinem Licht unsere Leiden akzeptieren
und hilf uns, durch deine Liebe erleuchtet,
unsere Kreuze auf uns zu nehmen
im Glauben an deine und unsere Auferstehung.
Dritte Station
Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
Aus dem Buch Jesaja (Jes 53,4)
Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt.
Ich sehe dich leiden, Jesus, als du mit unserer Sünde beladen den Weg zum Kalvarienberg hinaufgehst. Und ich sehe dich fallen, schmerzhaft, mit Händen und Knien auf dem Boden. Als du auf den Boden fällst, hilft dir keiner, im Gegenteil, die Menschen treiben ihren Spott mit dir, sie lachen beim Anblick eines fallenden Gottes. Vielleicht sind sie enttäuscht, vielleicht haben sie sich eine falsche Vorstellung von dir gemacht.
Manchmal denken wir, dass der Glaube an dich bedeutet, nie im Leben zu fallen. Zusammen mit dir falle auch ich, und mit mir meine Vorstellungen, die ich von dir und von mir hatte: Wie zerbrechlich waren sie!
Ich sehe dich, Jesus, wie du die Zähne zusammenbeißt und wieder aufstehst um deinen Weg fortzusetzen. Mit deinem Mut lehrst du uns, dass Misserfolge und Stürze uns niemals davon abhalten sollen, unseren Weg zu gehen, und dass wir immer vor der Wahl stehen: aufzugeben oder mit dir wieder aufzustehen.
Ich bitte dich, Herr,
erwecke in uns den Mut, nach jedem Sturz wieder aufzustehen
– so wie du auf deinem Weg ans Kreuz.
Lass uns erfahren, dass Misserfolge und Stürze nie ein Grund sind aufzugeben
Zeige uns, dass wir im Vertrauen auf dich wieder aufstehen können
und lass uns in dir die Kraft finden weiterzugehen.
Vierte Station
Jesus begegnet seiner Mutter
Aus dem Lukasevangelium (Lk 2,34-35)
Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, – und deine Seele wird ein Schwert durchdringen. So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.
Ich sehe dich, Jesus, wie du deine Mutter triffst. Maria ist da, sie geht die überfüllte Straße entlang, wie viele andere Menschen auch. Das Einzige, was sie von den anderen unterscheidet, ist, dass sie dort ist, um ihren Sohn zu begleiten - auf dem Weg zum Sterben.
Ich sehe dich, Maria, wie du deinen armen Sohn ansiehst: er ist gezwungen, die Last des Kreuzes auf seinem von der Geißelung zerschlagenen Rücken zu tragen, wahrscheinlich wird er bald vor Erschöpfung zusammenbrechen. Du wusstest wohl, dass dies früher oder später geschehen würde, denn es war dir prophezeit worden, aber jetzt, da es geschehen ist, ist es ganz anders....
Dennoch: Bei aller Verzweiflung strahlst du Hoffnung aus, als wüsstest du, dass dein Sohn nicht für immer weggeht und dass du ihn bald wiedersehen wirst.
Ich bitte dich, Herr,
führe uns stets das Beispiel Marias vor Augen,
die den Tod ihres Sohnes als großes Heilsgeheimnis
angenommen hat.
Lass uns in der Hoffnung auf die Auferstehung sterben,
in der Gewissheit, dass wir nie allein sind,
weder von Gott verlassen,
noch von Maria, der guten Mutter, die ihre Kinder immer liebt.
Fünfte Station
Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
Aus dem Lukasevangelium (Lk 23,26)
Als sie Jesus hinausführten, ergriffen sie Simon, einen Mann aus Kyrene, der gerade vom Feld kam. Ihm luden sie das Kreuz auf, damit er es hinter Jesus hertrage.
Ich sehe dich, Jesus, niedergedrückt unter der Last des Kreuzes. Ich sehe, dass du es nicht allein schaffst. Gerade im Moment der größten Beschwernis bist du allein; die, die sich deine Freunde nannten, sind nicht da: Judas hat dich verraten, Petrus hat dich verleugnet, die anderen haben dich verlassen. Aber da kommt es zu einer unerwarteten Begegnung mit jemand, irgendeinem Unbekannten, der anpackt und bereit ist, einen Teil deiner Last zu übernehmen.
Manchmal fühlen wir uns wie du, Jesus: verlassen von denen, die wir für unsere Freunde gehalten hatten, bedrückt von schwerer Last. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass es Menschen wie Simon von Zyrene gibt, die bereit sind, unser Kreuz auf sich zu nehmen. Und aus diesem Bewusstsein können wir auch die Kraft schöpfen, das Kreuz unseres Nächsten mitzutragen.
Herr, ich bitte dich für uns alle
um den Mut eines Simon von Zyrene,
der bereit ist, das Kreuz eines Anderen mitzutragen.
Schenke uns die Fähigkeit, in jedem Menschen das Gute zu sehen,
und bei aller Verschiedenheit offen zu sein für jede Begegnung.
denn jeder von uns könnte sich unerwartet an deiner Seite wiederfinden.
Sechste Station
Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
Aus dem Buch Jesaja (Jes 53, 2-3)
Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.
Ich sehe dich, Jesus, erbärmlich, fast unkenntlich; man hat dich behandelt wie den geringsten aller Menschen. Mühevoll gehst du auf den Tod zu mit deinem blutenden und entstellten Gesicht. Eine Frau bahnt sich den Weg durch die Menge. Sie sieht dein leidendes Gesicht und will helfen und sie schafft es für einen Moment, dich mit ihrem Schleier zu berühren. Ihre Kraft ist die Kraft der Zärtlichkeit. Eure Blicke begegnen sich für einen Moment von Angesicht zu Angesicht.
Veronika, diese Frau, von der wir nichts wissen und deren Geschichte wir nicht kennen, sie erlangt das Paradies mit einer einfachen Geste der Nächstenliebe. Sie trocknet mit ihrem Schleier dein zerschundenes Gesicht und erkennt darin deine unendliche Liebe.
Jesus, ich bitte dich, gib mir die Kraft,
auf andere Personen zuzugehen,
Lass mich in ihren Gesichtern dein Antlitz erkennen.
Lass mich meinem Nächsten, in dem du selbst zugegen bist,
ohne Zögern beistehen,
so wie Veronika dir auf dem Kreuzweg zu Hilfe eilte.
Siebte Station
Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
Aus dem Buch Jesaja (Jes 53, 8.10)
Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Vergehen meines Volkes zu Tode getroffen. […] Doch der Herr hat Gefallen an dem von Krankheit Zermalmten.
Ich sehe dich, Jesus, wie du vor meinen Augen wieder hinfällst. Dadurch, dass du wieder fällst, zeigst du mir, dass du Mensch bist, ein wahrer Mensch. Und ich sehe, dass du wieder aufstehst, entschiedener als vorher.Und indem du deinen Weg fortsetzt, indem du nach jedem Fall wieder aufstehst, kündigst du deine Auferstehung an, zeigst du dich bereit, das Gewicht der Sünde des Menschen noch einmal und für immer auf deine blutenden Schultern zu laden.
Jesus, du wolltest so werden wie wir, und jetzt zeigst du dich uns nahe, mit der gleichen Erschöpfung, den gleichen Schwächen, mit dem gleichen Schweiß auf der Stirn. Aber du hast die Kraft, weiterzugehen, und du weißt um das Paradies am Ende aller Not. Du erhebst dich, um uns die Türen deines Königreiches zu öffnen. Ein seltsamer König bist du, ein König im Staub.
Ich bitte dich, Herr, lass uns nach jedem Hinfallen wieder aufstehen,
Wenn wir Fehler machen und fallen, so erinnere uns daran,
dass wir zusammen mit dir und an deiner Hand,
etwas lernen und wieder auf die Beine kommen können.
Stärke unser Vertrauen, dass am Ende der Not dein Paradies steht.
Achte Station
Jesus begegnet den weinenden Frauen
Aus dem Lukasevangelium (Lk 23,27-31)
Es folgte ihm eine große Menge des Volkes, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: Töchter Jerusalems, weint nicht über mich; weint vielmehr über euch und eure Kinder! Denn siehe, es kommen Tage, da wird man sagen: Selig die Frauen, die unfruchtbar sind, die nicht geboren und nicht gestillt haben. Dann wird man zu den Bergen sagen: Fallt auf uns! und zu den Hügeln: Deckt uns zu! Denn wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren werden?
Ich sehe dich und höre dir zu, Jesus, wie du zu den Frauen sprichst, denen du auf deinem Weg zum Tode begegnest. Alle Tage bist du umhergewandert und hast viele Menschen getroffen, du bist auf sie zugegangen und hast mit allen gesprochen. Nun sprichst du mit den Frauen von Jerusalem, die dich sehen und weinen.
Auch ich bin eine dieser Frauen. Aber, Jesus, du benutzt bei deiner Ermahnung Worte, die mich treffen; es sind konkrete und direkte Worte; auf den ersten Blick mögen sie hart und streng erscheinen, weil sie unverblümt sind. Sie haben nur ein Ziel: Sie wollen korrigieren, nicht aber verurteilen.
In dieser Begegnung, der letzten vor dem Kreuz, wird noch einmal deine Liebe zu den Geringsten und Ausgegrenzten sichtbar; tatsächlich hielt man damals Frauen einer Unterredung nicht für würdig.
Ich bitte dich, Herr,
lass mich zusammen mit den Frauen und Männern dieser Welt
immer liebevoller zu den Bedürftigen sein,
so wie du es uns vorgelebt hast.
Gib uns die Kraft, gegen den Strom zu schwimmen
und echten Kontakt mit anderen aufzunehmen.
Neunte Station
Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
Aus dem Buch Jesaja (Jes 53,5-6)
Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr ließ auf ihn treffen die Schuld von uns allen.
Ich sehe dich, Jesus, wie du zum dritten Mal fällst. Zweimal bist du schon gefallen und zweimal bist du wieder aufgestanden. Deine Erschöpfung und deine Schmerzen sind unermesslich, du scheinst endgültig besiegt bei diesem dritten und letzten Sturz. Wie oft im täglichen Leben fallen wir! Wir fallen so oft, dass wir nicht mitzählen können, aber wir hoffen jedes Mal, dass es das letzte Mal war, denn es braucht den Mut der Hoffnung, um gegen das Leid anzukämpfen. Wenn man so oft fällt, brechen die Kräfte schließlich zusammen und alle Hoffnung schwindet.
Ich stelle mir vor, Jesus, wie ich dich auf deinem Weg zum Tod begleite. Manche haben bereits versucht, dir zu helfen, aber inzwischen bist du am Ende; du bist regungslos, gelähmt, und es scheint, dass du nicht mehr weiterkommst. Aber dann sehe ich plötzlich, dass du dich wieder erhebst, deine Beine und deinen Rücken wieder streckst, soweit das mit einem Kreuz auf den Schultern überhaupt möglich ist, und weitergehst. Ja, du gehst auf den Tod zu, aber du willst deinen Weg bis zum Ende gehen.
Ich bitte dich, Herr,
gib uns jeden Tag den Mut,
auf unserem Weg weiterzugehen.
Lass uns die Herausforderungen des Lebens angehen
mit derselben Kraft und demselben Glauben,
aus dem du in diesen letzten Momenten deines Kreuzweges gelebt hast.
Zehnte Station
Jesus wird seiner Kleider beraubt
Aus dem Johannesevangelium (Joh 19,23)
Nachdem die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen Teil, und dazu das Untergewand. Das Untergewand war aber ohne Naht von oben ganz durchgewoben.
Ich sehe dich nackt, Jesus, wie ich dich noch nie zuvor gesehen habe. Sie haben dich deiner Kleider beraubt, Jesus, und sie würfeln darum. In den Augen dieser Menschen hast du das letzte bisschen Würde verloren, das dir geblieben war, das einzige, was du auf diesem Leidensweg noch besessen hast.
Ich sehe dich, Jesus, und ich sehe einen jungen Migranten, einen kaputten Körper, der in einem Land ankommt, das allzu oft grausam ist und wo man soweit geht, ihm seine Kleidung, sein einziges Hab und Gut, wegzunehmen und zu verkaufen; so lässt man ihn allein mit seinem Kreuz – so wie dich, allein mit seiner geschundenen Haut – so wie dich, allein mit seinen großen Augen des Schmerzes – so wie dich.
Ich sehe dich, Jesus, und verstehe die Größe und den Glanz deiner Würde, der Würde eines jeden Menschen, die niemand je vernichten kann.
Ich bitte dich, Herr,
lass uns die unserer Natur innewohnende Würde erkennen,
auch dann, wenn wir entblößt und einsam vor den anderen dastehen.
Lass uns die Würde unserer Mitmenschen wahrnehmen,
achten und beschützen.
Elfte Station
Jesus wird an das Kreuz genagelt.
Aus dem Lukasevangelium (Lk 23,33-34)
Sie kamen an den Ort der Schädelhöhe heißt; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den anderen links. Jesus aber betete: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Ich sehe dich, Jesus, aller Dinge beraubt. Sie wollten dich, den Unschuldigen, bestrafen, indem sie dich ans Holz des Kreuzes nageln. Du hast die Kraft gehabt, die Last eines Kreuzes zu tragen, die Last des dir entgegengebrachten Unglaubens, die Last für deine unbequemen Worte verurteilt zu werden.
Du hast dich nicht einmal im Sterben aufhalten lassen, du hast zutiefst an deine Sendung geglaubt und deinem Vater vertraut. Du hast uns vergeben, du hast keinen Groll gehegt, du hast uns gelehrt, die andere Wange hinzuhalten, und du bist noch darüber hinausgegangen, bis zur völligen Hingabe deines Lebens.
Ich schaue auf deine Wunden und mir wird jetzt bewusst, dass ich deine Kraft nicht gehabt hätte. Aber ich sitze hier zu deinen Füßen und auch ich lege alles Zögern ab, ich erhebe mich vom Boden, um dir ein wenig näher zu sein, wenn es auch nur ein paar Zentimeter sind.
Ich bitte dich, Herr,
schenke mir einen wachen Geist, damit ich das Gute erkenne.
Hilf mir, mich von meinen Ängsten zu befreien,
die mich wie Nägel blockieren
und mich von dem Leben fernhalten,
das du für uns erhofft und das du uns bereitet hast.
Zwölfte Station
Jesus stirbt am Kreuz
Aus dem Lukasevangelium (Lk 23,44-47)
Es war schon um die sechste Stunde, als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach – bis zur neunten Stunde. Die Sonne verdunkelte sich. Der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus. Als der Hauptmann sah, was geschehen war, pries er Gott und sagte: Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter.
Ich sehe dich, Jesus, und diesmal möchte ich dich eigentlich nicht sehen. Du ringst mit dem Tod. Du warst schön anzusehen, als du zur Menge gesprochen hast, aber jetzt ist alles vorbei.
Dein Schrei am Kreuz ist laut, herzzerreißend: Wir waren nicht bereit für so viel Qual, wir sind es nicht und werden es nie sein. Wir fliehen instinktiv und panisch vor Leid und Tod. Wir ziehen es vor, woanders hinzuschauen oder die Augen zu verschließen. Du hingegen bleibst dort am Kreuz, du erwartest uns mit offenen Armen.
Es ist ein großes Geheimnis, Jesus: Sterbend liebst du uns, von allen verlassen, indem du uns deinen Geist schenkst, den Willen des Vaters erfüllst und dich zurückziehst. Du bleibst am Kreuz, das ist alles. Du versuchst nicht, das Geheimnis des Todes und der Vergänglichkeit aller Dinge zu erklären, du tust mehr: Du selbst machst dieses Geheimnis an Leib und Seele durch.
Ich bitte dich, Herr,
öffne meine Augen, dass ich dich auch im Leiden erkenne,
im Tod, am Ende, das nicht das wirkliche Ende ist.
Hinterfrage mich stets mit deinem schockierenden Geheimnis,
das den Tod überwindet und Leben schenkt.
Dreizehnte Station
Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt
Aus dem Johannesevangelium (Joh 19,38-40)
Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu, aber aus Furcht vor den Juden nur im Verborgenen. Er bat Pilatus, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen, und Pilatus erlaubte es. Also kam er und nahm den Leichnam ab. Es kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und wickelten ihn in Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist.
Ich sehe dich, Jesus, immer noch dort am Kreuz. Einen Menschen von Fleisch und Blut, mit seinen Schwächen und seinen Ängsten. Wie sehr hast du gelitten! Es ist eine unerträgliche Szene, vielleicht gerade auch, weil sie so von Menschlichkeit durchdrungen ist.
Ich sehe dich, Jesus: Jetzt bist du dorthin zurückgekehrt, wo du hergekommen bist, auf dem Schoß der Erde liegend, auf dem Schoß deiner Mutter. Jetzt ist das Leiden vorbei, dies ist die Stunde des Mitgefühls.
In den Augen derer, die noch da sind, spiegelt sich der Sinn wieder, den du ihrem Leben gegeben hast. Sie sind bei dir geblieben und werden immer an deiner Seite bleiben, in empfangener und gebender Liebe. Ein neues Leben öffnet sich für dich, für uns, ein neues, himmlisches Leben im Zeichen der Liebe, die allem standhält und auch durch den Tod nicht zerstört wird.
Ich bitte dich, Herr,
halte in uns die Hoffnung
und den Glauben an deine bedingungslose Liebe immer lebendig.
Schenke uns immer einen lebendigen und wachen Blick auf das ewige Heil,
und lass uns auf unserem Weg Erfüllung und Frieden finden.
Vierzehnte Station
Der heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegt.
Aus dem Johannesevangelium (Joh 19,41-42)
An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war. Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei.
Ich sehe dich nicht mehr, Jesus, jetzt ist es dunkel. Die Hügel werfen lange Schatten. Dieser Tag stirbt, und du bist eingeschlafen. Schläfst du? Und auf welcher Liegestatt? Was für eine Decke verbirgt dich vor der Welt?
Josef von Arimathäa nimmt dich auf seine Schultern, aber wie leicht du bist: An dir ist nichts von der Schwere des Todes, des Hasses und des Grolls. Du schläfst, wie damals, als du ins warme Stroh gehüllt warst und ein anderer Josef dich im Arm hielt. Wie es damals keinen Platz für dich gab, so hast du auch jetzt keinen Platz, wo du dein Haupt niederlegen kannst. Aber ganz in der Nähe ist ein Garten, in dem noch nie jemand beigesetzt wurde. Hier wirst du zur Ruhe gebettet.
Du schläfst nun, aber ich möchte bei dir sein, doch ich muss nicht hinausgehen, um nach dir zu suchen, denn du suchst nach mir und klopfst an meine Tür.
Ich bete zu dir, Herr,
der du dich nicht in deiner Herrlichkeit gezeigt hast,
sondern in der Stille einer dunklen Nacht.
Du, der du nicht auf die Oberfläche achtest,
sondern das Verborgene siehst und in die Tiefe gehst,
höre auf unsere Stimme aus der Tiefe
Lass uns, wenn wir müde sind,
Ruhe finden in deiner Liebe.
Vater unser…
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Die Texte der Meditationen zu den vierzehn Stationen des diesjährigen Kreuzweges wurden von fünfzehn Jugendlichen im Alter von 16 bis 27 Jahren verfasst.
Mit der für ihr Alter typischen Begeisterung nahmen sie diese Herausforderung an, vor die sie der Papst in diesem generell der jüngeren Generation gewidmeten Jahr 2018 gestellt hatte. Sie taten dies mit einer präzisen Arbeitsmethode. Sie versammelten sich um einen Tisch und lasen die Texte der Passion Christi nach den vier Evangelien. Sie führten sich die Szenen der Via Crucis vor Augen und „sahen“ sie. Nach der Lektüre und einer gewissen Zeit des Nachdenkens brachten die Jugendlichen dann zum Ausdruck, welches Detail der Szene sie jeweils besonders berührt hatte. So ergab sich die Zuteilung der einzelnen Kreuzwegstationen auf recht einfache und natürliche Weise.
Drei Schlüsselwörter, drei Verben, kennzeichnen die Ausarbeitung dieser Texte: zunächst, wie schon erwähnt, sehen, dann begegnen und schließlich beten.
Wenn man jung ist, will man sehen, die Welt sehen, alles sehen. Die Szene des Karfreitags ist gewaltig, auch in ihrer Grausamkeit: Sie zu sehen kann zu Abscheu oder zu Barmherzigkeit und damit zur Begegnung führen. Genauso, wie Jesus es im Evangelium tut, jeden Tag, auch an diesem letzten. Er trifft auf Pilatus, Herodes, die Priester, die Soldaten, seine Mutter, Simon aus Zyrene, die Frauen von Jerusalem, die beiden Verbrecher, die seine letzten Weggefährten sind. Wenn man jung ist, bietet sich täglich die Gelegenheit, jemanden zu treffen, und jedes Treffen ist neu und überraschend. Man wird alt, wenn man niemanden mehr sehen will, wenn ängstliche Verschlossenheit die vertrauensvolle Offenheit verdrängt. Meist steckt dahinter die Angst vor Veränderung, denn Begegnung bedeutet Veränderung, die Bereitschaft, sich mit neuen Augen wieder auf den Weg zu machen. Das Sehen und die Begegnung führen schließlich zum Gebet, weil das Sehen und die Begegnung Barmherzigkeit hervorrufen, auch in einer Welt, die gnadenlos erscheint, und an einem Tag wie diesem, an dem sinnloser Zorn, Feigheit und die gedankenlose Trägheit der Menschen den Ton angeben. Folgen wir Jesus mit dem Herzen, auch auf dem geheimnisvollen Weg des Kreuzes. Dann können Mut und Vertrauen wieder neu erstehen, und nachdem wir gesehen und uns der Begegnung geöffnet haben, werden wir die Gnade des Gebetes erfahren, nicht mehr allein, sondern gemeinsam.
Betrachtungen und Gebete verfasst von
Valerio De Felice, Maria Tagliaferri, Margherita Di Marco, Caterina Benincasa,
Ignese Brunetti, Chiara Mancini, Cecilia Nardini, Francesco Porceddu
Sofia Russo, Chiara Bartolucci, Greta Giglio, Greta Sandri, Dante Monda
Flavia De Angelis, Marta Croppo