Wenn man glaubt, dann sieht man auch in der Krankheit und in den negativen Seiten des Lebens die Präsenz Gottes.
Wenn man glaubt, dann sieht man auch in der Krankheit und in den negativen Seiten des Lebens die Präsenz Gottes.
Was glaube ich, was hoffe ich? Auskunft darüber zu geben, ist jedem Christen aufgegeben. Ein spezielles Zeugnis dieser Art hat der schwer an Krebs erkrankte griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos im Juli 2011 im ORF abgelegt. Er starb am 18. Oktober 2011.
Wie haben Sie den Zeitpunkt der Diagnose erlebt?
Metropolit Michael Staikos: Ich habe bemerkt, dass es nur eine Sekunde dauert, bis das Leben des Menschen sich ändert. Natürlich, man spricht sehr oft davon, dass man sich Krankheiten und Verwandte nicht aussuchen kann, aber trotzdem es war ein Schicksalsschlag für mich als Menschen.
Viele Menschen, die einen ähnlichen Schicksalsschlag erleiden, hadern mit Gott. Es fällt ihnen schwer, am Glauben festzuhalten. Wie bewahrt man sich die Hoffnung?
Metropolit Michael Staikos: Es ist eine Frage des Glaubens. Wenn man nicht glaubt, kann man auch keine christliche Hoffnung haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass man in einem solchen Zustand etwas mehr braucht, als nur die Betreuung der Ärzte. Und dieser Glaube an Christus hat mir sehr viel Kraft gegeben. Es ist einfach etwas anderes, wenn man weiß, dass man nicht verlassen ist, sondern dass man jemanden hat, der uns unterstützt.
Wie äußert sich diese Hoffnung konkret im Umgang mit der Krankheit?
Metropolit Michael Staikos: Ich glaube, dass die Ärzte für die Medizin sorgen, aber für die Seele und den Geist ist der Glaube an Gott sehr wichtig. Dann nimmt das Leben eine größere und die Krankheit eine kleinere Dimension an.
Wenn man in der Hand Gottes lebt, egal ob man fällt, man ist immer in dieser Hand drinnen. Natürlich, das letzte Wort hat Gott, der uns keine Rechenschaft schuldig ist.
Wir sagen sehr oft beim Vaterunser „Dein Wille geschehe“. Aber wie oft geschieht der Wille Gottes und nicht unser Wille? ...
„Dein Wille geschehe“ – viele Menschen, die krank werden, fragen sich: Warum ausgerechnet ich? Warum ist das Dein Wille? Was sagen Sie diesen Menschen?
Metropolit Michael Staikos: Ich habe eine einfache Antwort darauf: Warum soll es nicht ich, sondern der andere sein? Der Heilige Geist weht, wo er will. Wenn man glaubt, dann sieht man auch in der Krankheit und in den negativen Seiten des Lebens die Präsenz Gottes.
Wenn wir sagen „Dein Wille geschehe“, dann bedeutet das, der Wille Gottes soll in unserem Sinn geschehen. Wenn der Wille Gottes mit meinem Willen identisch ist, dann ist das gut. Sollte es etwas Negatives sein, dann wollen wir davon Abstand nehmen.
Aber in einer solchen Situation wie bei mir, glaube ich, dass der Wille Gottes eine große Lektion für den Menschen sein kann. Der Mensch glaubt, dass er Herr über sein Leben ist. Aber es dauert nur eine Sekunde, damit man sieht, dass in Wirklichkeit jemand anderer, Gott, Herr über Geist und Fleisch ist.
Die Nebenwirkungen der Chemotherapie sind bei Ihnen deutlich sichtbar. Ihre Dankesrede bei der Verleihung des „Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich“ im Mai dieses Jahres haben Sie mit den Worten begonnen: „Fürchtet Euch nicht, ich bin es.“
Wie sehr macht Ihnen diese äußerliche Veränderung zu schaffen?
Metropolit Michael Staikos: Das ist vielleicht sogar das Ärgste, was ich erlebe, seelisch gemeint. Bart und Haare gehören zur Identität eines orthodoxen Priesters.
Diese äußere Entstellung macht mir sehr zu schaffen. Aber mit der Zeit verkrafte ich das auch.
Ich bin froh und Gott dankbar, dass ich bald 65 Jahre am Leben bin, dass aus mir ein Metropolit geworden ist. Bei mir ist die schwere Krankheit in einem reiferen Alter gekommen, und ich kann mit einem Wort sagen, dass ich mich mit dem Tod versöhnt habe.
Ich will leben, das steht ohne Zweifel, aber ich habe nicht die Angst, die ich in den ersten Stunden und in den Tagen bis zur Operation gehabt habe.
Wie wichtig ist Ihnen das Feiern der Liturgie mit dem Volk, auch in diesem schwierigen gesundheitlichen Zustand?
Metropolit Michael Staikos: Das liturgische Leben ist für mich das Wichtigste, weil ich nicht mir selbst oder meinen Familienangehörigen, sondern der Gemeinde gehöre.
Ich bin ein Hirte, ich bin ein Vater, und diesen Forderungen muss man entsprechen können.
Ein Bischof ohne liturgisches Leben ist mehr oder weniger ein amputierter Bischof. Ich habe zum Beispiel die ganze Karwoche mitgemacht, das sind Gottesdienste in einer Woche von etwa 50 Stunden. Ich war daraufhin ein bisschen schwach, und die Ärzte waren auch nicht begeistert, aber ich habe gesagt: „Es ist mir lieber, dass ich geistig und spirituell ausgeglichen bin, als nur auf die Gesundheit zu schauen.“ Ich glaube, ohne diese Karwoche wäre mein Leben ärmer gewesen ...
Glauben Sie, dass Sie als Priester und Bischof anders mit einem Schicksalsschlag wie diesem umgehen können als ein „einfacher Gläubiger“?
Metropolit Michael Staikos: Ja, weil für mich als Hirte einer Diözese wesentlich mehr Leute beten.
Natürlich kann man sich nicht allein auf das Gebet der Menschen verlassen und sich nicht operieren lassen oder nicht die Behandlungen machen, das wäre mehr oder weniger ein Selbstmord. Das liegt auch nicht im Sinne unseres Glaubens. Trotzdem:
Wenn ich mich von Leuten verabschiede, füge ich – seit ich krank bin – hinzu: „Auf Wiedersehen und beten Sie für mich!“.
Sie haben die Kraft des Gebets angesprochen. Haben Sie das Gefühl, dass die Kraft des Gebets in unserer Gesellschaft unterschätzt wird?
Metropolit Michael Staikos: Nicht nur das Gebet. Alles, was mit Gott zu tun hat, ist heute nicht „in".
Für mich ist es zum Beispiel eine große Frage, warum man etwas Positives, Spirituelles findet, wenn man Weihrauchstäbchen anzündet, und gleichzeitig unter Atemnot leidet, wenn in einer Kirche der Priester den Altar, oder bei uns die Ikonen und das Volk beweihräuchert.
Man sieht, dass es ein Bedürfnis nach dem Religiösen gibt, zum Beispiel an der großen Zahl der Sekten, die heute vorhanden ist. Das bedeutet, dass der Mensch das Bedürfnis hat, sich irgendwo anzulehnen.
Natürlich liegt es an der Kirche, zu zeigen, warum man sich an ihr anlehnen soll.
Was kann die Kirche hier tun?
Metropolit Michael Staikos: Man darf nicht vergessen, dass die Kirche zwar eine Gott-gestiftete Institution ist, aber von Menschen geleitet wird.
Die Frage ist nicht, ob das Volk betet. Die Frage ist, ob wir Priester beten. Die Erhabenheit des Gottesdienstes liegt an der inneren Anteilnahme des Priesters, des Liturgen.
Wenn er ein überzeugter Priester ist, feiert er einen ganz anderen Gottesdienst als jemand, der einfach von 9 bis 10 Uhr einen Gottesdienst hält. Diese Verarmung der Kirche überträgt sich auch auf die Leute.
Man betet oft, wenn man in einer schwierigen Situation ist, und man findet dann den Weg zur Kirche. Die Frage ist: Wie viele von jenen, die um Besserung beten, finden anschließend wieder den Weg, um Dankeschön zu sagen?
In der Gesellschaft und im Leben für jede Kleinigkeit, die uns angeboten wird oder gegeben wird, sagen wir Dankeschön, und was machen wir mit Gott? Wir beten um etwas, aber wir danken nicht immer.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie Änderungsbedarf bei den Priestern in der Orthodoxie sehen?
Metropolit Michael Staikos: Ich sehe das bei allen Kirchen. Das Priesteramt ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann handelt man anders.
Die Kirche trägt hier einen großen Teil der Schuld. Man kann nicht alles auf die Gläubigen schieben, und wir sind die Heiligen. Wenn wir Heilige sind, dann haben wir die Pflicht, diese Art und diesen Weg der Heiligkeit auch den Leuten zu zeigen. Es können nicht nur Priester und Kleriker und Nonnen und Ordensbrüder heilig werden und das Volk schwimmt in der Sünde.
Abschließend: Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Metropolit Michael Staikos: Dass ich in den Jahren – es können auch Monate sein –, die mir Gott schenken wird, in einer solchen gesundheitlichen Verfassung bin, dass ich weiter der Kirche und den Menschen, die mir anvertraut sind, dienen kann.
Weil ehrlich gesagt: Ich möchte nicht nur atmen, sondern auch leben können.
Und das Leben für einen Priester hat nur einen relativen Sinn, wenn er nicht seinen Funktionen entsprechen kann. Das wünsche ich mir von Gott.
Michael Staikos (*22.11.1946 - † 18.10.2011)
griechisch-orthodoxer Metropolit
Griechisch-orthodoxe Metropolis von Austria
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