Der Pager Theologe und Soziologe Tomas Halik: "Putins Regime hat das ganze System von internationaler Sicherheit und Ordnung, das nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, zerstört."
Der Pager Theologe und Soziologe Tomas Halik: "Putins Regime hat das ganze System von internationaler Sicherheit und Ordnung, das nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, zerstört."
Prager Theologe und Soziologe im Interview mit der Kirchenzeitung der Diözese Linz: "Leider sehe ich keine Hoffnung, mit diplomatischen Verhandlungen Frieden zu schaffen"
Der Pager Theologe und Soziologe Tomas Halik ist empört, "dass viele Leute im Westen bis heute die Gefahr von Putins Regime unterschätzen". Im Interview mit der Kirchenzeitung der Diözese Linz sagte Halik wörtlich: "Putins Regime hat das ganze System von internationaler Sicherheit und Ordnung, das nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, zerstört." Putin wolle das alte sowjetische Imperium erneuern "und er will mit diesem Imperium die größte internationale Macht werden". Das sei zwar eine verrückte Idee, aber sehr gefährlich. Halik: "Wenn der Westen nicht jetzt den Ukrainern hilft - und das muss eine Waffenhilfe sein -, dann wird dieser Prozess weitergehen und andere Länder, wie zum Beispiel Moldawien und Litauen, erfassen.
" Man müsse realistisch sein: "Hier ist kein Platz für Neutralität. Man kann nicht mit Putin tanzen. Leider sehe ich keine Hoffnung, mit diplomatischen Verhandlungen Frieden zu schaffen. Es liegen schwere Zeiten vor uns."
Halik sprach zudem die negativen Seiten der Globalisierung an: etwa Gewalt oder der immer tiefere Graben zwischen den reichen und armen Ländern. Dieser Schattenprozess der Globalisierung wecke nun "den Populismus, den neuen Nationalismus, religiösen Fundamentalismus, politischen Extremismus". Deshalb müsse der Prozess der Globalisierung tiefgehend erneuert werden. "Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit. Wir brauchen einen neuen Ökumenismus", mahnte Halik ein.
Die Kirche sollte in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. Die christliche Liebe sei die einzige Kraft, "die vereinigt, ohne zu zerstören". Diesen Weg der christlichen Liebe sollte die Kirche gehen, "die Grenzen der Vorurteile abschaffen und eine Kultur der Nähe schaffen". Allerdings: "Die katholische Kirche hat sich aus Angst vor der Französischen Revolution und den anderen Revolutionen verschlossen und ist zum Katholizismus geworden. Es ist notwendig, aus dem Katholizismus wieder zur Katholizität überzugehen", so die Forderung Haliks. Die Kontra-Kultur gegen die Moderne sei ein großer Fehler.
Es habe verschiedene Versuche gegeben, aus dieser Getto-Mentalität auszubrechen, erläuterte der Theologe. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) sei ein solcher Versuch gewesen. Aber: "Das Konzil kam ein bisschen zu spät. Es führte einen Dialog mit der Moderne zu einer Zeit, als die Moderne schon am Ende war."
Bereits 1969 habe eine neue Ära mit der Erfindung von Mikroprozessoren begonnen. Das sei der Anfang des Internetzeitalters, das eine neue Zivilisation und Kultur, die postmoderne Kultur, gebracht habe. Und "darauf hat uns das Zweite Vatikanische Konzil nicht wirklich vorbereitet. Wir müssen uns nun mit einer radikal pluralistischen, differenzierten und auch gespaltenen Gesellschaft auseinandersetzen."
Er kenne dafür auch keinen anderen Weg als die Spiritualität," aus der Tiefe zu schöpfen, auf das Evangelium zu hören". Die Präsenz der Kirche in der Gesellschaft und theologische Vertiefung und spirituelle Erneuerung müssten zusammengehen. "Wir brauchen ein neues Begreifen von Gott als dynamischen Gott, der in der Geschichte wirkt, und eine neue Sicht des Menschen. Das ist der neue Wein, von dem Jesus spricht - für den man natürlich auch neue Schläuche braucht. Ich bin grundsätzlich aber mehr am neuen Wein interessiert. Der neue Wein ist Inspiration, neue Schläuche zu finden. Andersherum, glaube ich, funktioniert es nicht: Neue Schläuche schaffen keinen neuen Wein." Ohne neue Schläuche gehe es freilich nicht, doch er sei besorgt, dass man sich beispielsweise beim weltweiten Synodalen Prozesses zu sehr auf die Frage der Erneuerung der Institutionen konzentriere.
Die synodale Reform müsse dennoch ein nächster Schritt sein, und zwar in dezentraler Form, wie Halik betonte. Bei der jüngsten synodalen Kontinentalversammlung in Prag sei ihm klar geworden, "dass in vielen postkommunistischen Ländern das Zweite Vatikanische Konzil nicht wirklich verstanden wurde". In den kommunistischen Zeiten hätten die Mehrheit von Priestern und Laien keine Möglichkeit gehabt, den theologischen Hintergrund des Konzils zu studieren. Aber ohne diesen Hintergrund könne man das Konzil nicht wirklich verstehen. "Die Umsetzung blieb formal: Wir drehen den Altar um und wir verwenden in der Liturgie die Volkssprache. Das war alles", so der Befund Haliks.
Als Reaktion auf diese "oberflächliche Modernisierung" sei in diesen Ländern ein sehr "oberflächlicher Konservativismus" entstanden, erläuterte der Theologe: "Das wurde jetzt in Prag ganz klar: dass viele Lokalkirchen in den postkommunistischen Ländern nicht bereit für den nächsten Schritt sind."
Die Kirchen im Westen hätten hingegen schon so viele Erfahrungen mit der säkularen Welt, dass sie für Veränderungen bereit sind. Aber: "Auch wenn wir verheiratete Priester und Frauen als Priester haben, kann das die Kirche als solche nicht retten. Wir dürfen darin nicht das ganze Heil sehen." Veränderungen seien zudem eher ein psychologisches als ein theologisches Problem. Zum Beispiel sei die Frauenordination mehr eine psychologische Frage, zeigte sich Halik überzeugt. Nachsatz: "Sie wird dann theologisiert." Grundsätzlich müsse gelten, dass man die Strukturen dahingehend verändert, "dass sie ein vertieftes Glaubensleben nicht verhindern".