Kardinal Christoph Schönborn bei seiner Fronleichnamspredigt.
Kardinal Christoph Schönborn bei seiner Fronleichnamspredigt.
Wiener Erzbischof fordert bei Fronleichnamsprozession Mitgefühl mit Flüchtlingen.
Echtes Mitleid mit Flüchtlingen und echtes Interesse für jene, die bei der Bundespräsidentenwahl den je anderen Kandidaten gewählt haben. - Das hat Kardinal Christoph Schönborn in seiner Fronleichnamspredigt am Donnerstag, 26. Mai 2016 in Wien eingemahnt.
Es geht nach Ansicht des Wiener Erzbischofs nach der Wahl nicht so sehr um das vielfach geforderte "Zuschütten von Gräben", sondern darum, "die Anderen in ihrer Andersheit wahrzunehmen und auf sie zuzugehen". Die derzeit im Land so stark spürbare "Selbstbezogenheit, an der wir kranken und die für unser Land eine Gefahr ist", müsse überwunden werden, betonte der Kardinal. Österreich stehe vor der Wahl, ob es noch ein Land sein wolle, "wo die Anderen auch ihren Platz haben".
Der Kardinal rief die Österreicher auf, jenen 50 Prozent genau zuzuhören, die den jeweils anderen Hofbug-Kandidaten gewählt hatten. Es gelte, deren Beweggründe und Sorgen ernst zu nehmen. "Das kann dem Land helfen, nicht Gräben zuzuschütten, sondern den Anderen zu achten", so Schönborn wörtlich.
Er ging in seiner Predigt auch auf den im Wahlkampf viel strapazierten Begriff der "Heimat" ein. Natürlich dürfe man die eigene Heimat lieben, für Christen sei die eigentliche Heimat freilich im Himmel bei Gott, "und deshalb muss es möglich sein, auch mit Fremden zusammenzuleben und unsere Heimat mit jenen zu teilen, die ihre Heimat verloren haben". Eine christliche Gemeinschaft müsse immer auch eine solidarische Gemeinschaft sein.
Scharf kritisierte der Wiener Erzbischof Tendenzen, das Leid der Flüchtlinge zu verdrängen. "Hauptsache, sie leiden nicht mehr vor unserer Haustür, damit wir es nicht sehen müssen", brachte der Kardinal diese Stimmung auf den Punkt. Dazu habe aber niemand das Recht. Hinsichtlich der Flüchtlingsfrage gehe es nicht darum, "das Problem zu lösen, das wir mit den Flüchtlingen haben, sondern darum, das Problem zu lösen, das die Flüchtlinge haben".
Jeder im Land sollte zumindest einem Flüchtling persönlich zuhören und dessen Schicksal erfahren. Das Zuhören sei ein wesentlicher Teil gelingender Integration, so der Kardinal: "Wir können nicht alle Probleme löse, aber es tut gut zu wissen, dass die Probleme lösbar sind."
Am Fronleichnamsgottesdienst im Stephansdom und der traditionellen Fronleichnamsprozession durch die Wiener Innenstadt nahmen u.a. auch der Apostolische Nuntius Erzbischof Peter Stefan Zurbriggen und der designierte Nuntius in Weißrussland, Erzbischof Gabor Pinter teil. Von Seiten der Politik nahm u.a. Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz teil.
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Wortlaut der Predigt von Kardinal Schönborn zu Fronleichnam:
"Schick die Leute weg!": Zweimal haben wir das jetzt gehört, in der Evangeliumsfassung vom heiligen Lukas und jetzt vom heiligen Markus. "Schick die Menschen weg." (Lk 9,12) Ich kann mich genau erinnern: Vor vielen Jahren, als ich einmal in einer einfachen Morgenmesse dieses Evangelium zu verkünden hatte, hat mich dieses Wort im Herzen getroffen. Wie ist das möglich? Da kommen die Menschen in riesigen Scharen, um Jesus zu sehen, zu hören, um bei ihm zu sein - und seine eigenen Apostel sagen: "Schick die Menschen weg"?! Das geht doch nicht. Da ist etwas falsch.
Wohin sollen sie denn gehen? Sie sollen weggehen. Vermutlich waren die Apostel einfach müde und wussten, dass sie kaum etwas mithatten, und dass es ja kaum für sie selber gereicht hat. Also sagten sie: Schick die Leute weg! Dann ist auch das Problem weg, das wir mit ihnen haben.
Jesus gibt darauf die Antwort: Gebt ihr ihnen selber zu essen. Man versteht die Reaktion der Jünger: Unmöglich. Was willst Du? Machst Du Dich lustig über uns? Wie sollen wir für 5.000 Menschen Brot herschaffen, an diesem einsamen Ort? Was soll das?
Eines berührt mich an diesem Wort der Apostel: Sie machen einen Unterschied zwischen "uns" und "denen": "Wir" wollen unter uns sein, "die" sollen jetzt endlich weggehen. Das gilt in vielen Lebenssituationen, und ich nenne zwei besonders, die uns in diesem Land in den letzten Monaten sehr beschäftigt haben und wohl auch noch weiter beschäftigen werden: Das gilt für die "Lager" in Österreich, man hat von tiefen Gräben, von zwei Hälften von Österreich gesprochen; ich habe noch nie eine so knappe Wahl erlebt wie die, die wir vergangenen Sonntag erlebt haben. Und das gilt auch für das große, schwierige, unausweichliche Thema der Flüchtlinge.
Dieser Tage las ich einen etwas bösen Spruch: "100 Prozent der Österreicher halten die anderen für dumm." Ich weiß, das ist ein journalistischer Spruch, aber ein Körnchen Wahrheit ist an dieser boshaften Bemerkung: Wie könnt ihr den, und wie könnt ihr den wählen? Man hat von tiefen Gräben gesprochen und hat gesagt, man müsse sie zuschütten. Ich glaube eher, es geht um etwas anderes: Es geht um die anderen. Es geht um das Anerkennen, dass es andere gibt, und nicht nur uns. Uns, die wir uns in unserem Kreis, in unserem Milieu, in unserer Kirche, in unserer Partei, in unserer Gruppierung unter uns fühlen und "die anderen" als "die anderen" sehen.
Jetzt ist die Herausforderung, dass wir die anderen sehen, wahrnehmen, auf sie zugehen - auch in ihrer Andersheit.
Jesus nahm die fünf Brote, segnete sie, brach die Brote, reichte sie den Aposteln, sie teilten aus - und es reichte für alle, ja, es gab Überfluss. Wir stehen, Brüder und Schwestern, vor der Wahl: Entweder wir sagen, "Wir und die anderen" oder wir sind eine Gesellschaft, in der die anderen auch einen Platz haben.
Der große Schuhhandelsunternehmer Heinz-Horst Deichmann (1924-2014) - ein großer Wohltäter, ein Mäzen - hat seine Memoiren unter dem beeindruckenden Titel "Mir gehört nur, was ich verschenke" veröffentlicht. Jesus hat seine Jünger nicht gesammelt, damit sie einen abgeschlossenen Klub bilden.
"Wir und die anderen": Wie überwinden wir diese Selbstbezogenheit, an der wir kranken und die für unser Land eine Gefahr ist? Jesus zeigt es uns: Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe ohne Hirten. Haben wir echtes Mitleid. Nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Geht es bei der Flüchtlingsfrage darum, das Problem zu lösen, das wir mit den Flüchtlingen haben oder geht es darum, das Problem zu lösen, das die Flüchtlinge haben - das ist die Frage. Und sie passt auf alle unsere Lebensbereiche.
Das Problem, das die Flüchtlinge haben, gilt es zu lösen. Natürlich sagt Papst Franziskus jetzt in einem Interview zurecht: Man kann nicht auf irrationale Weise die Türen sperrangelweit öffnen. Das wissen wir. Aber gibt uns das das Recht, das Leid der Flüchtlinge zu verdrängen, Hauptsache sie leiden nicht mehr vor unserer Haustür, damit wir es nicht sehen müssen?
Brüder und Schwestern, das Wort Heimat hat in der letzten Zeit eine große Rolle gespielt. Von allen Seiten wurde es bemüht und stark strapaziert im Wahlkampf. Wir dürfen sie lieben, unsere Heimat. Aber wo ist meine Heimat? Als Christen können wir das eigentlich recht entspannt sehen. Denn für uns gilt das Wort, das der Apostel Paulus gesagt hat: "Unsere Heimat aber ist im Himmel." (Phil 3,20) Und der Apostel Petrus hat gesagt: Wir sind Fremdlinge und Pilger hier auf Erden (vgl. 1 Petr 2,11). Also muss es doch möglich sein, als Fremde mit Fremden zusammen zu leben. Pilger sind wir. Deshalb sollte es uns Christen leichter fallen, unsere Heimat mit denen zu teilen, die ihre Heimat verloren haben.
Zum Schluss: Eucharistie ist eine Lebensform. Es gibt Eucharistie nicht nur für den kleinen abgeschlossenen Kreis von uns. Eucharistie ist das Brot für das Leben der Welt. So hat es Jesus genannt. Für die Solidargemeinschaft, für die, mit denen wir das Brot teilen.
Daher zum Schluss drei ganz praktische Vorschläge, wie wir in diesem Jahr der Barmherzigkeit und darüber hinaus Barmherzigkeit leben können:
- Jeder und jede von uns sollte wenigstens ein Flüchtlingsschicksal aus direktem Zuhören kennen. Wir können nicht alle Probleme lösen, aber es tut uns gut zu wissen, dass die Probleme von Flüchtlingen zu lösen sind. Und dieses Zuhören ist ein wesentlicher Teil der Integration. So kann sie gelingen.
- Ein zweiter praktischer Vorschlag: ein ehrliches Interesse für die 50 Prozent jener "anderen", die anders gewählt haben als ich, die anders gewählt haben als "wir". Ihnen wirklich zuzuhören, ihre Sorgen zu hören, warum sie so gewählt haben, was sie bewegt, das kann unserem Land helfen, nicht Gräben zuzuschütten, sondern die anderen zu achten.
- Und schließlich ein dritter Vorschlag: Viele von uns dürfen, wollen die Kommunion empfangen. Ich empfange Jesus, das heißt, nicht nur Ihn, sondern auch Sein Wort, Seinen Wunsch, Seinen Willen - ich empfange Sein Wort: "Gebt ihr ihnen zu essen" (LK 9,13). Das scheint uns unmöglich. Das Evangelium zeigt uns heute: Es ist möglich. Und es macht glücklich.