Zeichen der Anteilnahme nach dem Amoklauf in München.
Zeichen der Anteilnahme nach dem Amoklauf in München.
Wie Stadt, Kirchen und Menschen auf den Amoklauf reagieren. Ein Korrespondentinnenbericht von Barbara Just.
Ein weiß-blauer Himmel wie auf den Tourismus-Prospekten strahlt über der bayerischen Landeshauptstadt. Am Sonntagvormittag, 24. Juli 2016 kurz vor elf Uhr stehen Touristen aus aller Welt am Marienplatz, um dem gleich beginnenden Glockenspiel im Rathausturm zu lauschen. Auf den ersten Blick scheint alles wie immer - wären da nicht die sechs Fahnen der Stadt, Bayerns und Deutschland an der Fassade des neugotischen Baus. Sie tragen Trauerflor, wie überhaupt alle Flaggen auf Halbmast gesetzt sind.
Der Amoklauf eines 18-Jährigen, der am Freitagabend kurz vor 18 Uhr im Olympia-Einkaufszentrum neun Personen tötete und 27 verletzte, bevor er sich selbst umbrachte, hat Spuren hinterlassen. Nach einer Nacht im Ausnahmezustand ist die Stimmung in der Stadt auch am Sonntag noch gedämpft, die Polizei nach wie vor stark präsent. Vor der Mariensäule, wo mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. schon zwei Päpste beteten, liegen Blumen und brennen Kerzen. "Im Gedenken an die Opfer vom 22.7.2016" ist auf einem Blatt zu lesen. In noch größeren Lettern steht dort: "Liebe ist stärker als Hass."
Als Bilderbuch-Paradies, wo Tradition, Frömmigkeit und Feiern zusammengehört, hätte sich die Weltstadt mit Herz an diesem Sonntag wieder präsentieren wollen. "500 Jahre Bayerisches Reinheitsgebot" galt es zu feiern. Bayerische Brauereigespanne wären durch die Altstadt gezogen hin zum Odeonsplatz. Dort war am Freitagnachmittag das Festival des Bayerischen Brauerbunds eröffnet worden. Stände und Bierbänke standen einladend für Besucher übers Wochenende bereit. Doch wie alle anderen Festivitäten wurde auch diese abgesagt - aus Respekt vor den Opfern.
Trotzdem stattgefunden hat der dazu angesetzte Gottesdienst im Alten Peter. Dafür hatten sich aus den fünf noch Bier brauenden bayerischen Klöstern Weltenburg, München und Andechs, Scheyern, Ettal und Mallersdorf deren Äbte und Vertreter eingefunden. Eigentlich sollte das Polizeiorchester die für Blasinstrumente geschriebene "Gambrinus-Messe" spielen, stattdessen gab es eine ruhige lateinische Feier mit Orgel. "Ein frohes Fest hatte begonnen, doch dann hat sich vieles verändert", sagt der Weltenburger Abt Thomas Maria Freihart. Nun gelte es den Schmerz vor Gott zu tragen.
In der Predigt spricht der Abt von München und Bonifaz, Johannes Eckert, aus, was viele Menschen umtreiben mag nach den Bildern aus Orlando, Nizza, der Türkei, Würzburg und nun München: "Was ist los mit dieser Welt?" Er zitiert den vor 40 Jahren gestorbenen Münchner Kardinal Julius Döpfner (1913-1976): "Erst wenn wir uns dem Dunkel stellen, wird uns das Licht geschenkt." In diesem Vertrauen gelte es für die Opfer und Angehörigen, aber auch für den Täter und seine Familie zu beten, "weil wir ausnahmslos alle auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind".
Einige Kirchen wie die Jesuitenkirche Sankt Michael zeigten bereits am Freitag ihre Fürsorge. Nachdem die Nachricht von der Schießerei und von drei flüchtigen Tätern über Smartphones die Runde gemacht hatte, liefen die Leute aus dem Gotteshaus. Eine Familie griff nur noch ihr Kind und ließ den Buggy samt großer Einkaufstüte zurück. Nun steht er in der Sakristei und wartet auf seine Besitzer.
Als in der Nacht auch noch der Nahverkehr eingestellt worden war, klingelten an die 40 Leute beim Pfarrzentrum der Jesuiten und baten um Zuflucht. Mit seinem Mitbruder Karl Kern kümmerte sich Gunnar Bauer um die Gäste: "Wir haben den Leuten Essen gebracht und Wasser." Die einen hätten die Ereignisse weiter auf ihren Handys verfolgt, mit anderen fingen die Ordensleute zu beten an. Schnell sei klar geworden, dass die Sache länger dauere und so stellten die Jesuiten Decken und Kissen zur Verfügung. Die gute Nachricht von der Entwarnung gegen 2 Uhr konnte Pater den Gästen nicht mehr überbringen: "Die haben alle geschlafen."
Am Samstagabend boten die Jesuiten eineinhalb Stunden der Einkehr mit Orgelmusik und meditativen Texten. "Vieles können wir nur schweigend verkraften", sagte Pater Kern im Schein der Osterkerze. Hätten dies doch auch die vor der Kirche postierten Pegida-Leute an diesem Abend einmal getan.