Kardinal Christoph Schönborn am Palmsonntag in der ORF-Pressestunde.
Kardinal Christoph Schönborn am Palmsonntag in der ORF-Pressestunde.
Breite Themenpalette: u.a. Europäische Union, Botschaft des Kreuzes, Migration, Kirche und Religion für junge Menschen, Papst Franziskus.
Kardinal Christoph Schönborn plädiert mit dem Verweis auf die inhaltliche Botschaft des christlichen Kreuzes für dessen Hängenbleiben im öffentlichen Raum. Das Kreuz sei nicht nur ein Zeichen der mehrheitlichen Kultur und Religion in Österreich, wo die Christen nach wie vor gemeinsam 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten, sagte er in der ORF-"Pressestunde" am Palmsonntag, 9. April 2017. Für den Kardinal drückt das Kreuz auch aus, "dass alle Menschen gleich sind, dass alle vor Gott gleich sind, und dass wir darüber beurteilt werden, ob wir gerecht sind".
Es sei daher "kein Schaden, wenn wir auch in der Öffentlichkeit an diese fundamentalen Werte erinnert werden", fügte Kardinal Schönborn hinzu. Niemand könne sich einen völlig religionsfreien öffentlichen Raum wünschen. Die religiösen Zeichen im öffentlichen Raum vollständig zu entfernen, hieße etwa "alle Kirchtürme abzuschneiden", sagte der Kardinal; dies wäre "absurd".
Angesprochen auf die sinkende Bedeutung der Kirchen und den Rückgang beim Messbesuch verwies Kardinal Schönborn auf den "christliche Grundwasserspiegel" in Österreich. "Ich glaube, der ist in unserem Land nicht so tief wie manche annehmen, und er kann wieder steigen." Gleiches gelte für eine christlich fundierte humane Grundstimmung. Es gebe in Österreich viel Großherzigkeit und Hilfsbereitschaft, auch wenn sich dies nicht immer im Kirchenbesuch ausdrücke, "aber die Grundwerte sind doch bei vielen das, was im Evangelium steht", sagte der Kardinal. Solange er bei vielen Menschen diese Haltung feststellen könne, sei es um die christlichen Grundwerte nicht so schlecht bestellt. Kirchenbindung sei aber nicht deckungsgleich mit persönlichem religiösen Bedürfnis oder dem religiösen Suchen von Menschen.
Der Wiener Erzbischof berichtete auch, dass der Kirchenbesuch in der Stadt Wien durch die in den vergangenen Jahrzehnten zugezogenen katholischen Immigranten - darunter etwa viele Filipinos, Kroaten, Polen oder Inder - wieder steigt. "Gehen sie einmal in die albanische Gemeinde in Wien am Sonntag, da finden sie eine rappelvolle Kirche und eine unglaublich lebendige katholische Gemeinde", gab Schönborn ein Beispiel. Migration sei ein "spannender belebender Faktor für die katholische Kirche".
Stellung nahm der Kardinal auch erneut zur sich durch den wachsenden muslimischen Bevölkerungsanteil verändernden religiösen Landschaft in Österreich. 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung wünschten sich, dass Österreich ein christliches Land bleibt, zitierte er aus einer Umfrage. "Die Frage ist natürlich: Und was tun wir dafür?", ermunterte der Wiener Erzbischof, dass Christen anderen Menschen ihre Religion und christliche Werte vorleben.
Er fürchte sich nicht vor dem Islam, mache sich aber "Sorgen wegen dem schwächelnden Christentum", sagte Kardinal Schönborn. Christen sollten sich die Frage stellen, was sie mit dem christlichen Erbe machen. Hingegen könne man nicht den Muslimen den Vorwurf machen, dass sie ihre Religion verbreiten wollen. Dies sei deren Recht, sofern fundamentale Grundbedingungen wie Respekt vor dem Gewissen, der Freiheit und der Religionsfreiheit beachtet werden, so der Wiener Erzbischof. In manchen vor allem mehrheitlich islamischen Ländern der Welt müsse jedoch in Erinnerung gerufen werden, das Religionsfreiheit ein fundamentales Menschenrecht sei.
Grundsätzlich plädierte der Kardinal im Verhältnis von Christentum und Islam für den Dialog. "Ich weiß, ich werde dafür kritisiert, aber ich glaube nach wie, der Weg des Dialogs ist der Weg auch im konkreten Zusammenleben." Ausdrücklich würdigte Kardinal Schönborn in dieser Hinsicht die "sehr guten Kontakte" der Katholischen Jugend mit der Muslimischen Jugend in Österreich.
Kardinal Christoph Schönborn hat den wachsenden Nationalismus in den EU-Staaten verurteilt, der auch eine gemeinsame europäische Lösung beim Thema Flucht und Migration verhindere. In der ORF-"Pressestunde" sprach er sich am Palmsonntag dafür aus, geordnete Resettlementprogramme - also die dauerhafte direkte Neuansiedlung von Flüchtlingen in einem Drittland - und die Idee "humanitärer Korridore" für Flüchtlinge wieder verstärkt aufzugreifen. Dies sei jedoch nur möglich, wenn die europäischen Staaten gemeinsam handelten. Genau hier aber stoße man derzeit "auf den Widerstand eines wachsenden Nationalismus und eines wachsenden Populismus, wo jedes Land versucht, noch schrecklicher zu sein, statt dass man gemeinsam zum Beispiel humanitäre Korridore macht", kritisierte der Wiener Erzbischof.
Er könne die Entscheidung von Politikern, die Balkanroute zu schließen, verstehen, eben weil es zuvor keine andere europäische Einigung in dieser Frage gegeben habe. Schönborn ergänzte aber, dass mit der Schließung der Fluchtstrecke nach Westeuropa allein das Thema nicht beendet sei. "Was macht Griechenland mit den vielen Menschen die dort angekommen sind, was macht Italien?", fragte er. "Es geht nur wenn Europa eine gemeinsame Lösung findet."
Der Kardinal sieht diese in einem Resettlementprogramm, wie jenes, mit dem Österreich vor zwei Jahren 2.500 Flüchtlinge direkt aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten aufgenommen hatte. Diese Menschen hätten sich mittlerweile gut in Österreich integriert. Resettlement wäre "der ideale Weg, wie man das Flüchtlingsproblem humanisieren könnte, damit nicht Menschen mit dem Boot ihr Leben riskieren und über schreckliche Routen und Schlepper versuchen nach Europa zu kommen", sagte Kardinal Schönborn. Zu einer solchen Vorgehensweise fehle jedoch ein entscheidendes Element: "Es ist dramatisch, dass es uns in Europa nicht gelingt, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu haben", kritisierte er.
Solange nationale Regierungen lieber auf Brüssel schimpften, um von den eigenen Problemen abzulenken, werde man keine gemeinsame Linie finden, meinte der Kardinal. Auch in Österreich, wo man im Zuge des EU-Beitritts mit großen Enthusiasmus in das gemeinsame europäische Projekt gegangen sei, spüre man jetzt "die Mühen der Ebene". Die Lage sei schwieriger geworden, die politisch Verantwortlichen müssten jedoch bedenken, was denn die Alternative zum europäischen Einigungsprozess wäre, sprach sich der Kardinal ausdrücklich gegen eine Rückkehr zur "Kleinstaatlerei" aus.
Angesprochen auf Ängste und Sorgen in der österreichischen Bevölkerung im Zusammenhang mit Migration, bestätigte Schönborn, dass die Bandbreite der Sichtweisen hier auch in der Kirche sehr groß sei. Aus der Erfahrung mit der Integration von Flüchtlingen in den Pfarren der Erzdiözese Wien könne er aber sagen, dass "jene Menschen, die ganz konkret mit Flüchtlingen zu tun haben, fast immer weniger Probleme mit den Flüchtlingen haben als die, die nie mit Flüchtlingen in Berührung kommen". Abstrakte Größen wie "Die Flüchtlinge" machten Menschen Angst, so der Erzbischof. Wenn man aber konkreten Menschen begegne und ihre Schicksale und Fluchtgeschichten höre, "dann sieht das meistens schon sehr anders aus".
Kardinal Schönborn verwies auch auf Positivbeispiele in Pfarren, wo Geflüchtete bereits gut integriert seien. "Wenn sie ein Netzwerk finden, wo sie dazukommen können, ist die Integration natürlich viel besser, als wenn man sie in ein großes Flüchtlingsheim steckt."
Gleichzeitig wolle er beim Flüchtlingsthema "nicht naiv sein", hob der Wiener Erzbischof hervor. Das Thema sei aber "nicht einfach schwarz oder weiß". Österreich könne sicherlich nicht einfach alle Flüchtlinge aufnehmen und habe - wie auch Deutschland und Schweden - im Vergleich mit anderen Staaten zuletzt bereits "ein Übersoll erfüllt". Andererseits hätte es im Jahr 2002 in Österreich 40.000 Asylwerber gegeben, im Jahr 2016 36.000. "2002 war das kein dramatisches Thema", sagte Schönborn und rief dazu auf, das Flüchtlingsthema auf der politischen Agenda nicht allein zu stellen.
Freilich sei die Integration "ein großes Thema", fügte der Kardinal hinzu. Das aktuelle Integrationsgesetzespaket enthalte dazu "vielen gute und vernünftige" Ansätze, meinte er ohne auf Details einzugehen. Zum geplanten Burka-Verbot befragt, verwies Schönborn auf die entsprechende Stellungnahme bei der jüngsten Bischofskonferenz. "Vollverhüllung ist sicher nicht wünschenswert, wir glauben nur nicht, dass es sinnvoll ist, das durch ein Generalgesetz zu regeln." Jener Gesetzestext, der nach der Begutachtungsphase nun im Parlament verhandelt werde, sei jedoch "sehr viel differenzierter als der erste Regierungsentwurf", so Schönborn. Er könne dem Entwurf, so wie er jetzt im Parlament liegt, zustimmen.
Skeptisch zum geplanten Heimopferrentengesetz durch das misshandelte Heimkinder künftig eine zusätzliche Rente in Höhe von 300 Euro pro Monat erhalten sollen, äusserte sich Kardinal Christoph Schönborn. Das von der Regierung eingebrachte Gesetz sei "ein Schnellschuss" und seines Erachtens "noch völlig unausgegoren", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
"Auf der Grundlage von außergerichtlichen Verfahren einen Rentenanspruch zu generieren, das bedarf noch mancher rechtlicher Klärungen wie das funktionieren soll", gab Kardinal Schönborn zu bedenken. Er erinnerte daran, dass die entsprechenden Kommissionen der Bundesländer sowie die Opferschutzanwaltschaft (Klasnic-Kommission) für den kirchlichen Bereich finanzielle Hilfen oder Therapiekosten alle in außergerichtlichen Verfahren zuerkannt haben. Die geplanten Rentenzahlungen bräuchten einen gesetzlichen Rahmen. "Wie soll die staatliche Pensionsversicherung das handhaben?", fragte der Kardinal.
Ausdrücklich kritisierte Kardinal Schönborn, dass die Regierung den Gesetzesentwurf ohne den sonst üblichen vorherigen Begutachtungsprozess etwa mit Kirchen und der Zivilgesellschaft in das Parlament eingebracht hat. "Es ist in keinerlei Konsultation gegangen, was entgegen den Usancen in unserem Land ist", hielt der Kardinal fest.
Kardinal Christoph Schönborn sieht bei Papst Franziskus keinerlei Anzeichen für einen Rücktritt vom Papstamt. "Ich erlebe ihn voller Energie und habe ganz und gar nicht den Eindruck, dass er zurücktreten will", beantwortete Kardinal Schönborn in der ORF-"Pressestunde" eine entsprechende Journalistenfrage. Franziskus wolle seine Reformpläne in Rom und seine Erneuerungsideen für die Kirche noch weiter umsetzen, zeigte sich der Wiener Erzbischof überzeugt.
Kardinal Schönborn bestätigte, dass es in der Kirche auch jene gibt, die gegen den Papst Opposition machen. Beharrende Kräfte gäbe es jedoch überall, und: "Die Zustimmung zum Weg des Papstes und vor allem zu der glaubwürdigen Art wie er sein Amt lebt, ist bei den Menschen enorm groß", sagte der Kardinal.
Er selbst habe viel Freude in seinem Amt als Wiener Erzbischof, meinte Schönborn über seine eigene Zukunft. Er "denke natürlich daran", dass er in drei Jahren mit 75 wie alle Bischöfe dem Papst den Rücktritt anbieten werde, "und durchaus dankbar sein werde, wenn das auch angenommen wird". Gleichzeitig betonte der Kardinal und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, dass er den momentanen Teil seiner Amtszeit "sehr viel friedlicher" erlebe als seine ersten Bischofsjahre. "Damals ist in der Kirche in Österreich sehr viel Unruhe gewesen, sehr viele Konflikte und ich kam da hinein, schon auch ein bisschen mit der Aufgabe zu schauen, wie Brücken zu bauen sind und Versöhnung wieder möglich ist."
Befragt, ob für ihn ein Wechsel in den Vatikan, über den immer wieder spekuliert wird, in Frage komme, sagte Kardinal Schönborn: "Für mich sicher nicht."