.... es geht doch ums Christsein IM Abendland. Es kann nicht sein, dass Menschen, die aus einem gewissen Milieu kommen, nicht die Chance haben, sich zu verändern.
.... es geht doch ums Christsein IM Abendland. Es kann nicht sein, dass Menschen, die aus einem gewissen Milieu kommen, nicht die Chance haben, sich zu verändern.
Die Armen sind die Lieblingskinder Gottes, sagt Theologin Gabriele Kienesberger, und gerade in Wahlkampfzeiten müssen wir die Schwächsten im Blick behalten. Warum der Sozialstaat nicht ausgehöhlt werden darf und Konflikte mit „selbsternannten Christen“ anstehen, erklärt die Koordinatorin der Initiative „Christlich geht anders“ im SONNTAG-Interview.
Die Kirchen haben schon oft einen langen Atem bewiesen, wenn es um soziale Themen geht, und sie scheuen sich nicht, unpopuläre Dinge anzusprechen.
So wird auch die Kampagne „Christlich geht anders“ Durchhaltevermögen beweisen. Davon ist Gabriele Kienesberger, Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs und Koordinatorin der Kampagne, überzeugt.
Die Initiative wird u.a. von der Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, Sr. Beatrix Mayrhofer, der Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, und dem Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Landessuperintendent Thomas Hennefeld, unterstützt und möchte daran erinnern, worum es eigentlich gehen sollte: um ein gutes Leben für alle Menschen und sozialen Frieden.
SONNTAG: Die Kampagne „Christlich geht anders“ ist im Herbst 2016 entstanden. Was sind die Gründe?
Gabriele Kienesberger: Es gab mehrere Auslöser. Zum einen wurde die Kürzung der Mindestsicherung diskutiert, das hat Menschen aus den christlichen Kirchen angeregt, dem etwas entgegenzusetzen. Es geht nicht an, bei denen, die ohnehin am Minimum leben, noch mehr zu kürzen.
Andererseits sind aus Pfarren und Dekanaten immer mehr Anfragen gekommen, wie sie mit dem Populismus umgehen und darüber auf einem guten Fundament diskutieren können.
Jetzt, in Zeiten des Wahlkampfes, geht es darum, genauer hinzuschauen: Wo ist die Weiterentwicklung der Demokratie ein Thema, wie schaut es mit unserem Sozialstaat aus, geht es darum, ihn immer mehr herunterzufahren und schlecht zu reden, oder sollte er nicht weiterentwickelt werden? Das ist ein großes Anliegen, mit dem die Kampagne verbunden ist.
Die Kampagne möchte die soziale Gerechtigkeit wieder ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatten rücken. Erreicht werden soll das u. a. durch politisches Engagement. Wie könnte das konkret aussehen?
Gabriele Kienesberger: Wir wissen, dass sich Christinnen und Christen politisch engagieren – gesellschaftspolitisch oder auch parteipolitisch. Sie sind aufgefordert, ihre Positionen in die Parteien, in denen sie aktiv sind, einzubringen. Es geht nicht darum, eine Partei besonders hervorzuheben oder besonders zu kritisieren, sondern bei allen nachzufragen:
Im Herbst werden wir einen neuen Nationalrat wählen. Sehen Sie die aktuellen politischen Umbrüche als Chance oder Risiko für die soziale Gerechtigkeit?
Gabriele Kienesberger: Es ist fast eine Verpflichtung, gerade in diesen Zeiten auf diese Themen einzugehen. Denn, wenn ich auf die Grundsätze des Christlichseins eingehe – Gottes- UND Nächstenliebe, das muss gleich gesetzt werden –, dann gilt es zu schauen, wie das in unseren politischen Systemen gut umgesetzt werden kann. Wir haben in Österreich gute Erfahrungen mit dem Sozialstaat, aber natürlich darf er sich weiterentwickeln.
Kirchen wird häufig die Rolle der Almosengeber zugeschoben. Da sind sie sehr wohl auch dran und sind „Seismographen“, die oft als Erste Probleme wahrnehmen. Aber wie Abtpräses Christian Haidinger, ein Unterstützer der Kampagne, sagt: Ordensgemeinschaften können kein Ersatz für den Sozialstaat sein.
Gerechte Verteilung muss organisiert werden, und zwar so, dass man Menschen nicht zu Bittstellern macht, sondern sie einen Anspruch auf gutes Leben, auf Zugang zum Arbeitsmarkt, zu guter Gesundheitsversorgung und Bildung haben. In Österreich ist das grundsätzlich gut verankert, aber wo es Verbesserungsbedarf gibt, muss man es aufzeigen.
Sie fordern, den Sozialstaat aus- und nicht abzubauen. Man hört immer wieder den Vorwurf, die Sozialleistungen des Staates würden ausgenutzt werden.
Gabriele Kienesberger: Das zentrale Menschenbild im Christlichen heißt: Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten. Das gilt es, erneut in den Mittelpunkt zu stellen. Es kann nicht sein, dass Menschen, die aus einem gewissen Milieu kommen, niemals eine Chance haben dürfen, sich zu verändern. Das gilt gerade für Kinder, egal aus welchem Hintergrund sie kommen. Da braucht es Institutionen und den Willen, dort mehr zu investieren, als vielleicht in anderen Gesellschaftsschichten, die ohnehin gut aufgestellt sind.
Menschen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn in dieser Neiddebatte geht es immer darum, jene an den Pranger zu stellen, die auf der Skala eh schon unten sind. Und was heißt denn: „den Sozialstaat auszunützen“? Es gibt Regelungen und Maßnahmen, wie man damit umgehen kann, da sind dem Staat nicht die Hände gebunden.
Wenn es aber darum geht, Zugang zu Sozialleistungen zu schaffen, die allen zustehen sollen, darf man nicht plötzlich anfangen, bei denen, wo es ums Mindeste geht, noch etwas runterzukürzen.
Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Armut lastet die Kampagne dem Neoliberalismus an. Kann der wirklich für all das verantwortlich gemacht werden?
Gabriele Kienesberger: Da zitiere ich gerne Bischof Alois Schwarz, der den Slogan der Wirtschaftskammer umgedreht hat und sagt: „Gehts den Menschen gut, gehts der Wirtschaft gut.“ Also: Der Mensch und seine Würde stehen im Mittelpunkt und daraus muss sich alles andere ableiten. Es kann nicht umgekehrt gehen, denn dann würde der Mensch nur Mittel zum Zweck sein und das ist er vom christlichen Standpunkt her nicht.
Oft werden Individuum und Gesellschaft gegeneinander ausgespielt. Papst Franziskus weist immer wieder daraufhin, dass es wohl eine Erneuerung des Individuums braucht, aber das Gemeinwohl steht auf gleicher Ebene – jeder ist auch für die Gemeinschaft verantwortlich.
Die Kampagne fordert einen „aktiven Sozialstaat“. Was verstehen Sie darunter?
Gabriele Kienesberger: Das lässt sich am besten an Beispielen festmachen: Das christliche Wohnprojekt „B.R.O.T.“ hat auch Wohnraum für Flüchtlinge geschaffen. In der Erzdiözese Wien gibt es das Projekt „Pfarrgemeinde FairWandeln“, das sich für Schöpfungsverantwortung, gerechtes Wirtschaften und Soziales einsetzt. In der „Allianz für den freien Sonntag“ versuchen alle christlichen Kirchen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft eine Antwort zu finden, warum es den freien Sonntag braucht.
Diese Beispiele zeigen, dass sich Menschen etwas einfallen lassen und nicht sagen, der Sozialstaat muss mir zufallen. Es ist klar: Man muss da aktiv mittun. Der verstorbene griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos hat gesagt: „Unser Platz ist nicht in den Sakristeien.“ Wir müssen bei und mit den Menschen sein und mitmischen, um etwas im christlichen Sinn zu verändern.
Im Grundsatztext der Kampagne heißt es, im Bemühen um soziale Gerechtigkeit seien „Konflikte mit selbsternannten ChristInnen“ auszutragen. Wer ist damit gemeint?
Gabriele Kienesberger: In den letzten Jahren wird vermehrt das christliche Abendland beschworen. Dabei werden jene ausgegrenzt, die nicht zu diesem Kulturkreis gehören. Das ist ein seltsamer Ansatz, denn es geht doch eher ums Christsein IM Abendland. Das ist etwas fundamental anderes. Da kann ich nicht auf Gegensatz aussein, sondern ich muss fragen: Wer ist mein Nächster? Das kann ich nicht an Hautfarbe, Nationalität oder Kulturkreis festmachen. Es geht darum, Menschen als Menschen zu sehen.
Die Initiative „Christlich geht anders“ möchte das Ziel der sozialen Gerechtigkeit ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Debatten rücken. Versucht wird das über einen „Prozess des Suchens, der gelebten Solidarität, aber auch des politischen Engagements“.
Im Herbst 2016 wurde die Kampagne mit rund 100 Erstunterzeichnern präsentiert.
Der Grundtext ist wesentlich vom Ökumenischen „Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich“ (2003) inspiriert, sowie vom Projekt „Solidarische Gemeinde“, in dem die Ergebnisse des Prozesses „sozialwort 10+“ im Jahr 2013 zusammengefasst wurden.
Eingang fanden außerdem Worte von Papst Franziskus, zum Beispiel:
„Mir ist eine verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straße hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die auf Grund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“
(Evangelii Gaudium 49)
Die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe steht im Zentrum des christlichen Glaubens. ... Wer sich auf den christlichen Gott beruft und dabei auf den Nächsten vergisst, verkehrt die christliche Botschaft in ihr Gegenteil.
Christlicher Glaube macht Mut und Hoffnung. Wer Ängste schürt und Menschen gegeneinander ausspielt, zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
ChristInnen sind solidarisch mit den Schwachen. Wie wir den Geringsten einer Gesellschaft begegnen, so begegnen wir Gott selbst (Mt. 25,40). Wer Arme bekämpft, bekämpft das Christentum.
Kirchen fordern einen aktiven Sozialstaat. Ein Sozialstaat ist organisierte Solidarität.
Ein gerechtes und soziales Steuersystem ist im Sinne der Kirchen. Wir lehnen daher eine Steuerpolitik ab, die viele übermäßig belastet, Vermögen und hohe Einkommen aber schont.
Als ChristInnen fordern wir angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen ein Gutes Leben für alle in Frieden und sozialer Gerechtigkeit.
Wer die Kampagne „Christlich geht anders“ unterschreiben will, kann das online tun: www.christlichgehtanders.at
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E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at