Kardinal Christoph Schönborn warnte beim Gebet im Stephansdom vor der Gefahr einer Spaltung des Kontinents. Europa habe in seiner Geschichte viele Wunden erlitten aber auch schon Heilung erfahren.
Kardinal Christoph Schönborn warnte beim Gebet im Stephansdom vor der Gefahr einer Spaltung des Kontinents. Europa habe in seiner Geschichte viele Wunden erlitten aber auch schon Heilung erfahren.
Kardinal Schönborn: "Von uns Christen wird nicht erwartet, dass wir in Europa herrschen, sondern dienen".
Zu einem ökumenischen "Gebet für Europa" haben sich am Donnerstagabend, 9. November 2017 zahlreiche Christen unterschiedlichster Konfessionen aus ganz Europa im Wiener Stephansdom versammelt. Anlass war ein Treffen des internationalen Christen-Netzwerks "Miteinander für Europa", zu dem Führungskräfte der rund 300 christlichen Gemeinschaften des Netzwerks in der österreichischen Bundeshauptstadt zusammengekommen waren.
Geleitet wurde das Gebet von Kardinal Christoph Schönborn, der in seiner Ansprache die Initiative würdigte. Zugleich warnte er vor der Gefahr einer Spaltung des Kontinents. Europa habe in seiner Geschichte viele Wunden erlitten aber auch schon Heilung erfahren, so Kardinal Schönborn. Er erinnerte an die Religionskriege aber auch an positive Ereignisse wie den Fall der Berliner Mauer.
In besonderer Weise gedachte der Wiener Erzbischof der Opfer der Novemberpogrome von 1938, die sich am Donnerstagabend zum 79. Mal jährten. Diese seien der Beginn einer der schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte gewesen, letztlich auch ermöglicht durch einen tief im Christentum verwurzelten Antijudaismus, so der Kardinal.
Kardinal Schönborn sprach weiters von der "giftigen Saat des Ersten Weltkriegs", die schließlich im Nationalsozialismus und im Kommunismus aufgegangen sei. Beide seien "mörderische Ideologien".
Der Kardinal warnte zugleich davor, die angestrebte christliche Einheit in Europa als eine Einheit in Stärke nach weltlichen oder gar politischen Maßstäben zu sehen. "Wir dürfen nicht davon träumen, wieder ein Europa der Christenheit wie früher zu erreichen." Diese Christenheit habe viele Schattenseiten gehabt und sei auch von vielen Missverständnissen geprägt gewesen. "Von uns wird nicht erwartet, dass wir in Europa herrschen, sondern dienen", hielt Kardinal Schönborn dem wörtlich entgegen.
Neben dem Wiener Erzbischof nahmen u.a. auch die Weihbischöfe Stephan Turnovszky und Franz Scharl, der syrisch-orthodoxe Chorepiskopos Emanuel Aydin, der evangelische Altbischof Herwig Sturm, der anglikanische Bischofsvikar Rev. Patrick Curran sowie zahlreiche Vertreter der Freikirchen in Österreich teil.
Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), richtete ein Grußwort an die Teilnehmer. Die Kirchen in Europa müssten für Menschenwürde, Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit, den Schutz des menschlichen Lebens und der Schöpfung stehen; weiters für eine gerechte Wirtschaft und Solidarität mit Bedürftigen und Ausgegrenzten. "Das alles ist nicht selbstverständlich und muss bewahrt werden", sagte Hennefeld wörtlich.
Er verwies zugleich auf Papst Franziskus, der vor kurzem bei einer internationalen Tagung in Rom darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Gemeinschaft das stärkste Gegengift gegen die Individualismen der Gegenwart sei. Hennefeld: "Gemeinschaft und Vernetzung von Menschen guten Willens ist heute wichtiger denn je, wo die Fliehkräfte stärker werden und die Polarisierung in den europäischen Gesellschaften zunimmt, die Egoismen und Selbstinszenierungen einen immer höheren Stellenwert gewinnen."
Dabei müssten die Christen aber stets darauf Bedacht nehmen, sich nicht als Gegenüber zu andere Religionen oder Kulturen zu verstehen und so neue Feindbilder aufzubauen. Vielmehr gelte es, "im Geist Jesu, im Geist des Friedens und der Versöhnung zusammenzuarbeiten und Demokratie und Pluralismus zu fördern". Wachsamkeit und Sensibilität seien dort gefordert, "wo diese Konzeption Europas bedroht ist von kleingeistigen, engstirnigen machtverliebten Ungeistern", so der ÖRKÖ-Vorsitzende.
Pastor Thomas Römer und Chiarina Marent von der Fokolar-Gemeinschaft unterstrichen in ihren einleitenden Worten zum Gottesdienst die Ausrichtung der ökumenischen Initiative "Miteinander für Europa". Es gehe um ein Europa, das geprägt sie durch Einheit in Vielfalt und Gerechtigkeit.
Das ökumenische Netzwerk "Miteinander für Europa" ist 1999 anlässlich der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" des Lutherischen Weltbundes und der Führung der katholischen Weltkirche entstanden. Die Initiative verbindet katholische, evangelische, anglikanische und orthodoxe Christen ebenso wie Mitglieder von Freikirchen und neuen Gemeinden. Anliegen des Netzwerks ist der Einsatz für die Einheit und Versöhnung der verschiedenen Konfessionen und Kulturen sowie für Solidarität, Frieden und Toleranz in Europa.
Miteinander für Europa:
www.together4europe.org