Freundschaften sind eine Form von Liebe. Und wenn man sich drauf einlässt, sieht man das auch. Und das ist ein Wunder!
Freundschaften sind eine Form von Liebe. Und wenn man sich drauf einlässt, sieht man das auch. Und das ist ein Wunder!
Es geht um das Wunder der Freundschaft. Sie ist lebensnotwendig, aber höchst gefährdet. Ein wundersamer Gedankenanstoß
Während ich das rote Büchlein lese, sind sie sofort präsent: die Freunde, bei denen ich mich lange nicht gemeldet habe; und die, mit denen ich viel Kontakt habe.
Ein wohliges Gefühl macht sich breit, Dankbarkeit. Und ich erinnere mich an ein Treffen mit einer Freundin, und an den Satz, den ich ihr danach schrieb: „Als Gott dem Menschen eine Gefährtin erschuf, dachte er da an die beste Freundin?“ Die Autorin Angelika Walser würde das wohl den Sonnenblumen-Augenblick nennen.
Angelika Walser: Ja. Ich habe entdeckt, dass es Freundschaften gibt, von denen man gar nicht weiß, dass man sie hat. Und wenn man das bemerkt, ist es ein besonderer Moment.
Warum ich das den Sonnenblumen-Augenblick nenne? Ich hatte mit einem Kollegen schon lange zusammengearbeitet, so ganz selbstverständlich. Eines Morgens stand eine Sonnenblume auf meinem Schreibtisch.
Ich dachte, was ist das jetzt? Ich wusste, er ist verheiratet, und zwar glücklich, ich war es auch. Ich sagte: Ist die für mich? - Ja, die ist für dich, weil du Sonnenblumen sicher magst, sagte er. Stimmt! Aber darüber hatten wir nie gesprochen. Ich habe mich schrecklich gefreut, und dachte, er ist ziemlich mutig.
Ab dann war klar, dass wir nicht nur eine Zweckbeziehung haben. Da war auch Sympathie, Gefühl, und eben Freundschaft!
Was macht eine gute Freundschaft aus?
Das ist sehr individuell. Wir haben unterschiedliche Erwartungen, über die wir normalerweise nicht sprechen. Das ist der Grund, weshalb Freundschaften misslingen können…
Man fragt nicht, was erwartest du dir eigentlich...
Nein, das wäre ja total verkrampft! Die Kriterien, die ich entwickelt habe, sind daher mein Freundschaftskonzept: Erstens das wechselseitige Geben und Nehmen. Bereits bei Aristoteles geht es um den Austausch. Es funktioniert nicht, wenn immer nur eine nachfragt, oder nur einer hilft.
Zweitens ist Freundschaft ein Raum, wo man seine Verletzlichkeit zeigen kann. Man muss nicht immer perfekt sein und wird trotzdem akzeptiert. Das Dritte ist das Wohlwollen. Ich will, dass es dir gut geht. Ohne dass ich etwas davon habe.
Haben Sie eine beste Freundin?
Nein. Es gibt mehrere, die ich als meine besten Freundinnen und Freunde bezeichnen würde. Mit einem meiner besten Freunde bin ich verheiratet. Mit einer besten Freundin gibt es die totale Nähe, man kann ihr alles anvertrauen. Grundsätzlich: Wenn man eine Hand voll „beste“ Freunde hat, ist das schon viel.
Hunderte Freunde auf Facebook. Erstrebenswert?
Nein. Die Philosophie quer durch die Geschichte sagt: Es sind einige wenige, denen man in so hohem Maß vertrauen kann.
Warum fühlt man sich nur zu bestimmten Menschen hingezogen?
Letztendlich kann man das nicht sagen! Ähnlichkeiten in den Interessen und Lebensumständen muss es nicht unbedingt geben.
Freundschaft ist etwas Erstaunliches. Kann man sagen, ein Wunder?
Auf jeden Fall!
Wie die Liebe?
Ja! Denn man kann sie nicht machen. Man kann sie nur finden. Man trifft oft Leute mit ähnlichen Interessen, die dieselben Bücher daheim stehen haben, und trotzdem springt nichts über. Dann trifft man jemanden, dem man gerne mehr erzählen würde. Wenn das Wunder geschieht, ist es umgekehrt genauso.
Was ist ein Wunder?
Ein Wunder ist nicht das, was gegen die Naturgesetze verstößt. Ein Wunder ist ein Zeichen. Es ist so: Unsere Wirklichkeit ist von etwas durchlaufen, etwas, das ohnehin schon da ist. Wenn ich es sehe, ist ein Wunder geschehen.
Wann haben Sie so etwas erlebt?
Neulich war ich eingeladen. Während des Abends wird mir klar, die Gastgeberin ist die Biografin des Seligen Franz Jägerstätter, dem Wehrdienstverweigerer, der 1943 hingerichtet wurde... Kurz darauf werde ich zu einem Vortag über Jägerstätter angefragt.
Ich dachte: Aha, anscheinend muss ich mich gerade jetzt mit dieser Persönlichkeit befassen. Ich kannte ihn schon vorher, aber erst jetzt sehe ich, wie wichtig er für mich ist, für die theologische Ethik, für das Thema Gewissen etc. Das ist ein Wunder.
Ihre beiden Töchter sind Teenager. Sind Freundschaften wichtig für deren Entwicklung?
Ja! Die Große ist teilweise nur in die Schule gegangen, um ihre Freundinnen zu treffen. Kinder lernen Vertrauen zu riskieren, aber auch dass Vertrauen enttäuscht werden kann. Sie lernen Differenz aushalten.
In einer Liebesbeziehung ist es anders, da gibt es das Begehren… In einer Freundschaft herrscht normalerweise eine gewisse Distanz, so lernt man schneller auszuhalten, dass der andere einfach anders ist.
Sie behaupten, Freunde sind für die Gesellschaft wichtiger als Familie und Ehe. Warum?
Ich will das nicht gegeneinander ausspielen. Ich will auch nicht schwule Paare, Ehe etc. in einen Topf werfen. Das hat man mir jetzt vorgeworfen. Freundschaft ist die Grundlage für alle diese Beziehungsformen.
Ich sehe aber, dass die katholische Ehe heute in einem pluralen Umfeld steht. Manche können sich nicht dafür entscheiden, warum auch immer. Ich will ihnen nicht unterstellen, sie hätten keinen Ernst dabei. Echte Freundschaft – um des anderen willen –, sollte unserer Gesellschaft viel wert sein.
In der Soziologie ist Freundschaft seit kurzem ein großes Thema. Warum?
Die Welt ist so unüberschaubar geworden. Die kleinen face to face-Beziehungen helfen uns. Wir denken, wenigstens da funktioniert alles.
Was gefährdet Freundschaft heute?
Unverbindlichkeit und Oberflächlichkeit. Wir stehen alle unter einem großen Zeitdruck. Man ist versucht Freundschaften nicht mehr zu pflegen. Auch die Ökonomisierung ist eine Gefahr. Man braucht etwas, ruft an: Wie geht’s, wie schön… Das war’s, für die nächsten fünf Jahre.
Können Freundschaften auch auslaufen?
Ja – oder es gibt einen Bruch, wie ich es auch schon erlebt habe. Vielleicht ist das sogar ehrlicher.
Was haben Ihre Freunde zu ihrem Buch gesagt?
Manche haben gesagt, es ist wunderbar sonnig, aber es fehlen die Brüche, wie Verrat oder Enttäuschung etc. Für mich steht das zwischen den Zeilen.
Ich sehe, Freundschaft betrifft uns total. Das hat man dem Thema bisher nicht zugetraut. Man redet immer von Liebe. Aber Freundschaften sind eine Form von Liebe. Und wenn man sich drauf einlässt, sieht man das auch. Und das ist ein Wunder!
Programmtipp „Wunder“ auf radio klassik Stephansdom
Montag, 11. Dezember, 17:30 Uhr:
„Friends will be friends“ – über das Wunder der Freundschaft.
Autorin Angelika Walser im Gespräch mit Stefanie Jeller.
Mittwoch, 13. Dezember, 17:30 Uhr:
„Unglaublich, aber wahr“
Franziska Libisch-Lehner über die Blüten des religiösen Wunderglaubens.
Freitag, 15. Dezember, 17:30 Uhr:
„Vom Wunder, hören zu können“ Petra Trieb ist dreizehn Jahre alt, als sie eine Gehirnhautentzündung bekommt, ins Koma fällt, aufwacht – und nicht mehr hören kann.
Eine Sendung von Gerlinde Wallner.
Montag, 18. Dezember, 17:30 Uhr: „Schluck für Schluck“
Eine Sendung über das Wunder einer Schwangerschaft, gestaltet von Michaela Necker.
radio klassik Stephansdom zu hören: im Großraum Wien und Umgebung auf 107,3 MHz; Telekabel 87,7 MHz; Kabelsignal 105,0 MHz;
Als Potcast sind die Sendungen sieben Tage lang zum Nachhören im Internet: www.radioklassik.at
Warum Freundschaften lebensnotwendig sind.
Tyrolia 2017.
ISBN 978-3-7022-3585-7
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