Reinhold Knoll: „Meine Kirche ist die Gemeinschaft der Heiligen, so wie es im Glaubensbekenntnis steht.“
Reinhold Knoll: „Meine Kirche ist die Gemeinschaft der Heiligen, so wie es im Glaubensbekenntnis steht.“
Reinhold Knoll ist Geisteswissenschaftler und Fußballfan. Er erläutert uns, was die Faszination am Sport auf dem grünen Rasen ausmacht und wie Emotion die Fußballfans trägt. Knoll ist auch ein gläubiger Mensch. Da wünscht er sich von seinen Mitchristen mehr Rezeption der Heiligen.
Er ist sprichwörtlich ein Nachbar des SONNTAG. Denn neben den Räumlichkeiten des Medienhauses der Erzdiözese Wien am Stephansplatz 4 gibt es auch Wohnungen. Hier lebt Reinhold Knoll mit seiner Frau Elisabeth. Das Leben im Zentrum Wiens hat Licht- und Schattenseiten: Einerseits sind die Wege zum Einkaufen und in die Kirchen nahe, andererseits gilt es täglich die zahlreichen Touristenströme zu umkurven.
Wesentlich geprägt im Glauben hat den Soziologen sein Vater August Maria durch seine tägliche Gebetspraxis und durch sein Engagement im christlichen Widerstand während des Nationalsozialismus. Derzeit verfolgt Reinhold Knoll – wie viele – täglich die Fußballspiele bei der Weltmeisterschaft in Russland. Klar, dass er dabei den soziologischen Blick nicht ausspart.
Was macht für Sie die Faszination am Fußballsport aus?
Wenn man mit Soziologie verbunden ist, ist jeder Mannschaftssport von besonderem Interesse. Weil es darin das gibt, was man als Kollektivbewusstsein bezeichnet. Nichts ist interessanter zu beobachten, als dass ohne verbale Verständigung eine Mannschaft, die gerade ein Tor bekommen hat, sich moralisch aufrichtet und es noch einmal versuchen will, diesen Nachteil wettzumachen.
Wie viel Intelligenz braucht ein guter Fußballer?
Die Raumvorstellung eines Fußballers muss perfekt sein, um einen Pass über 40 Meter richtig zu platzieren. Man unterschätzt die notwendige Intelligenz, um eine Überlegung blitzschnell umzusetzen.
Haben Sie selber Fußball gespielt?
Ich habe nur freundschaftlich Fußball gespielt. Mich hat Fußball eben aus mannschaftlichen Gründen interessiert. Um genau das zu sehen und zu beobachten, was der französische Soziologe Emilé Durkheim als „concience sociale“ bezeichnet hat.
Es gibt ein Kollektivbewusstsein zwischen Menschen, die nonverbal in einer Relation stehen und nonverbal nun genau wissen, wie sie zu handeln haben um zu einem Erfolg zu kommen.
Hat Fußball auch integrativen Charakter?
Bei Vereinen, bei denen junge Immigranten mitspielen, ist es schön zu beobachten, wie bei diesen Mannschaften Integration im Spielfluss stattfindet. Oft können die Spieler noch nicht Deutsch, aber Englisch oder Französisch. Da ist die Arbeit der Vereine sehr wichtig, weil die jungen Kicker sozialen Anschluss erleben.
Gehen Sie auch auf den Fußballplatz?
Ja, mir gefallen besonders Unterliga- spiele. Ehrgeiz, Einsatz, Spiellaune und Spiellust sind bei Wiener Ligavereinen weitaus interessanter als in der Bundesliga. Es ist auch lustiger.
Warum lassen Fußballfans am Platz oft verbal „die Sau raus“?
Es ist die Funktion, wie im Fasching, unter strikten Bedingungen und strukturierten Orten ein anderer zu sein. Das kennen wir aus der Vorantike. Da gab es das Fest des falschen Königs bei den Ägyptern. Da kann ich wie im venezianischen Karneval ein anderer sein. Und der Fußball ist ein bisschen karnevalesk, was man auch am Aufzug der Fans sieht. Das Spiel ist da nur ein äußerer Anlass.
Ihr Vater August Maria Knoll war eine prägende Person des Katholizismus im 20. Jahrhundert. Wie hat er Sie im Glauben geformt?
Sehr stark. Für ihn war der Mittelpunkt immer das Glaubensleben. Mich hat sein tägliches Gebet sehr beeindruckt. Er betete das Stundengebet und nach dem Mittagessen wurde immer der Rosenkranz gebetet.
Haben Sie davon etwas für Ihr Glaubensleben übernommen?
Das habe ich nicht. Ich habe aber auch nie den Zweifel am Glauben in den Mittelpunkt gestellt. Für mich ist mein Kirchenbegriff entscheidend: Meine Kirche ist die Gemeinschaft der Heiligen, so wie es im Glaubensbekenntnis steht.
Ganz ohne Kritik geht es bei Ihnen nicht ab?
Ich habe mir ein Messbuch gekauft, da es vor zwanzig Jahren nicht üblich war, die Lesungen aus dem Alten Testament zu nehmen. Das hat sich Gott sei Dank völlig geändert. Ich leide aber an der Ungebildetheit der Mitchristen. Da geht mir sehr stark die Auseinandersetzung mit unseren großartigen Heiligen ab. Da denke ich an Edith Stein, an Jesuitenpater Alfred Delp und an alle, die uns ein christliches Glaubensleben durch ihr Opfer erlaubten. Ich erkenne da einen Verlust von Intellektualität in der Kirche.
Welchen Blick legt der Soziologe auf die Kraft des Glaubens?
Es kommt durch den Glauben eine Dimension herein, die wir ansonsten im Alltag wenig erfahren. Durch den Glauben kommt es zur Zuversicht. Es ist nicht vergeblich. Da gibt es so viele Hinweise, die uns befreien von all den Nöten, die um uns herum sind, die uns auch eine Stärkung geben. Das ist einer der wesentlichen Punkte, dass ich über den Glauben in eine andere Lebensdimension eintrete.
Was bedeutet das Leben in der Innenstadt Wiens?
Ich bemerke zu meinem Leidwesen, dass sich Wien vollkommen dem Tourismus ausgeliefert hat und dass das Stadtleben als solches nicht mehr existiert. Schlimm sind die marodierenden Menschenmassen. Sie zerstören die Kultur in der Stadt.
Wie halten Sie es selber mit dem Reisen?
Ich bin bewusst kein Reisender. Ich weigere mich, in andere Kulturen wie ein Barbar einzudringen. Das habe ich in Westafrika kennengelernt, wo ich einen ehemaligen Studenten besuchte. Beim Betreten eines Dorfes den ersten zu fragen, ob man in das Dorf hineingehen darf, hat mich sehr beeindruckt.
Ausführlich über sein Nahtoderlebnis spricht Reinhold Knoll im
Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom
am Montag, 2. Juli um 17.30 Uhr,
DaCapo am Sonntag, 8. Juli, 17.30 Uhr.
REINHOLD KNOLL
Geboren 1941 in Wien
Aufgewachsen mit drei Brüdern in Rudolfsheim-Fünfhaus
Verheiratet mit Elisabeth; eine Tochter, ein Sohn, vier Enkel
Studierte Geschichte und Kunstgeschichte, arbeitete im Hörfunk, kam danach zur Soziologie
Zu seinen Hobbys zählen: Schreiben von Kurzgeschichten, Malen und die Liebe zu den schönen Dingen.
Im Sommer bereitet er sich schon auf die nächsten Vorlesung in Kultursoziologie vor
Seine LieblingsmusiK: Werke von Franz Schubert.
Glaube ist…
wahrscheinlich eines der verbreitetsten Wunder.
Sonntag ist…
ein sehr wichtiger Tag. Ich gehe mit dem Messbuch in den Gottesdienst. Mein Enkel ist mit und ich kann ihm daraus vieles zum Gottesdienst erläutern. Mir selber ist das auch wichtig, weil die Texte, die wir geschenkt bekommen haben, von unglaublicher Bedeutung sind. Und dann freue ich mich, dass die Predigten gegenüber früher wesentlich besser geworden sind.
Leben ist…
Ich habe vor sechs Jahren einen Unfall gehabt und hatte eine Nahtoderfahrung. Das hat mich insofern verändert und geprägt, weil es ein unglaublicher Augenblick war. Diese Helligkeit, keine Angst zu haben, nur neugierig zu sein, was auf einen zukommt. Schmerzlos zu sein, obwohl der Unfall schrecklich war. Ich habe dabei die Angst vor dem Tod eingebüßt. Der Tod hat seinen Schrecken verloren.
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