ÖRK-Generalsekretär hielt Hauptreferat bei "Summer Course" der Stiftung "Pro Oriente".
Die ökumenische Bewegung, an die sich die römisch-katholische Kirche 1964 mit dem Konzilsdokument zur Ökumene angeschlossen hat, ohne aber dem Genfer Dachverband beizutreten, ist auch heute "vital und stark": Dies betonte der Generalsekretär des Weltkirchenrats (Ökumenischer Rat der Kirchen/ÖRK), Olav Fykse Tveit, am Dienstag im Hauptreferat beim "Summer Course" von "Pro Oriente" im Wiener Kardinal-König-Haus. Das Treffen stand im Zeichen des 70-Jahr-Jubiläums des ÖRK.
Die Kraft des Weltkirchenrats sei beim Besuch von Papst Franziskus am ÖRK-Sitz im Genfer Quartier des Nations vor 14 Tagen sichtbar geworden, so Fykse Tveit. Als "Pilger auf der Suche nach Einheit und Frieden" sei der Papst von Rom in die Schweiz gekommen, "um Schwestern und Brüder auf einem gemeinsamen Pilgerweg zu umarmen".
Der ÖRK-Generalsekretär unterstrich die Bedeutung des "Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens", zu dem der Rat bei seiner 10. Vollversammlung 2013 in Busan eingeladen hat. Dieser Pilgerweg bedeute, Anteil zu haben an Gottes lebensfreundlicher Mission, Themen und Orte zu behandeln, die für Leben und Überleben der Menschheit von Bedeutung sind und die Gemeinschaft der Kirche durch eine starke spirituelle Dimension des gemeinsamen Gebets und der theologischen Reflexion zu vertiefen.
Zugleich sei der Pilgerweg eine "Reise der Hoffnung", auf der nach bereits "hier und jetzt" sichtbaren Zeichen des "Reiches Gottes der Gerechtigkeit und des Friedens" Ausschau gehalten wird, um sie zu feiern. Es gehe aber auch um die Entdeckung von Möglichkeiten für gemeinsames Zeugnis und veränderndes Handeln, "mit einer offenen Einladung an alle Menschen guten Willens".
Der Generalsekretär hob die aktuelle Bedeutung der Zweckbestimmung des Weltkirchenrats hervor, wie sie in Artikel III von dessen Verfassung zum Ausdruck kommt: "Das Hauptziel der Gemeinschaft der Kirchen im Ökumenischen Rat besteht darin, einander zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft aufzurufen, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, durch Zeugnis und Dienst an der Welt, und auf diese Einheit zuzugehen, damit die Welt glaube".
Das neue Moment in der einen ökumenischen Bewegung sei die Besinnung auf die Glaubensbasis, die "Liebe Christi, die uns drängt, miteinander zu gehen, miteinander zu beten, Hoffnung und Ermutigung zu teilen, einander zu begegnen, Vertrauen zu entwickeln, füreinander verantwortlich zu sein, füreinander zu sorgen und einzutreten, Beziehungen gegenseitiger Liebe aufzubauen". Das sei die Antwort auf die "starken Kräfte der Spaltung und Polarisierung in der Welt von heute".
Alle benötigten die Orientierung an der Nächstenliebe, so Fykse Tveit. Sie müssten fragen, wie sie in der Welt eine Realität werden könne. Auch die von Kardinal König 1964 ins Leben gerufene Stiftung "Pro Oriente" sei aus der Vision von Versöhnung und Einheit zwischen den großen Traditionen der Christenheit begründet worden. Diese Vision sei von bleibender Bedeutung.
Ausführlich ging der ÖRG-Generalsekretär auf die historische Entwicklung der ökumenischen Bewegung ein. Die unterschiedlichen Erwartungen im Hinblick darauf, was das Wichtigste am Ökumenismus ist, hätten zur Entwicklung der ökumenischen Bewegung beigetragen und prägten sie bis heute.
Es gebe die Meinung, dass vor allem die kirchentrennenden lehrmäßigen und ethischen Fragen behandelt werden müssten, für andere gehe es um die Einheit in Mission und Evangelisierung, die gemeinsame Verkündigung der Guten Nachricht des Evangeliums, weitere kirchliche Verantwortliche dächten an die notwendige gemeinsame Aktion für Gerechtigkeit und Frieden. Für einige gehe es schließlich vor allem um Überwindung von Vorurteilen und Feindschaften.
Anschaulich zeigte der Generalsekretär in einem Video, wie verschiedene "Flüsse" im Strom der ökumenischen Bewegung zusammenflossen. Vor 70 Jahren sei dieser dann in die Gründung des Weltkirchenrats gemündet.
Vorangegangen sei die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910, die oft als Geburtsstunde der modernen ökumenischen Bewegung angesehen werde, erinnerte Fykse Tveit. Aber bereits vorher habe es ökumenische Initiativen gegeben, etwa im Jugendbereich. Später seien "Faith and Order" (Glaube und Kirchenverfassung), "Life and Work" (Leben und Arbeit) sowie der Internationale Missionsrat hinzugekommen. Alle diese Bewegungen hätten grundsätzliche Dimensionen des Kirche-Seins repräsentiert, wie Gemeinschaft, Diakonie, Mission und Zeugnis, Erziehung und Bildung. Diese verschiedenen Dimensionen dürften aber nicht isoliert voneinander gesehen werden, daher sei es eine der wichtigsten Aufgaben des Weltkirchenrats, für die Interaktion dieser Dimensionen und ihr Hineinwirken in die Welt zu sorgen.
Für die Entwicklung der ökumenischen Bewegung spiele der zeitgeschichtliche Kontext eine wichtige Rolle, unterstrich der Generalsekretär. Er nannte die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise ab 1929, die Entkolonisierung, die Studentenrevolte von 1968, den Vietnam-Krieg und den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. In den bisher 70 Jahren seiner Existenz habe der Weltkirchenrat seine Tätigkeit immer wieder an die Notwendigkeiten der Mitgliedskirchen und an die Herausforderungen der Welt angepasst. Als wesentliche Etappen nannte Fykse Tveit das Lima-Dokument über Taufe, Eucharistie, Dienstamt (BEM), das Anti-Rassismus-Programm, den Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die Solidaritätsdekaden für die Frauen und gegen Gewalt. Momentan stehe "Jüngerschaft" im Mittelpunkt, was auch Thema bei der jüngsten Weltkonferenz über Mission und Evangelisierung im März in Arusha war.
In der Diskussion betonte der Generalsekretär, dass der Weltkirchenrat nicht das Sekretariat in Genf sei, sondern die Gesamtheit der Mitgliedskirchen. Derzeit gebe es 350 Mitgliedskirchen, die 550 Millionen Christen in 140 Staaten repräsentieren. Der Weltkirchenrat verstehe sich als eine Gemeinschaft von Kirchen, die miteinander auf dem Weg sind, sagte Fykse Tveit und zitierte den ersten Satz der WCC-Verfassung: "Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes".
Die meisten Mitgliedskirchen, und auch ca. 45 Prozent der 550 Millionen Christen im ÖRK, kommen aus dem "globalen Süden". Die katholische Kirche ist aktuell noch kein Mitglied, auch nicht viele der großen evangelikalen und pentekostalen Kirchen. Es finden sich im ÖRK aber die großen Traditionsströme (orthodox, orientalisch-orthodox, anglikanisch, altkatholisch, evangelisch-lutherisch, evangelisch-reformiert, methodistisch, baptistisch und auch ökumenisch offene Pfingstler).