Die zweite Themenausstellung im Dom Museum Wien fragt nach der Darstellbarkeit von Verwundungen. Sie tut dies vor dem Hintergrund der christlichen Bildtradition.
Die zweite Themenausstellung im Dom Museum Wien fragt nach der Darstellbarkeit von Verwundungen. Sie tut dies vor dem Hintergrund der christlichen Bildtradition.
Neue Sonderausstellung "Zeig mir deine Wunde" beeindruckt mit Werken aus eigenen Beständen und "hochkarätigsten Leihgaben". Zugänglich ist die Schau bis 25. August 2019.
"Zeig mir deine Wunde": Diesen Titel seiner zweiten Sonderausstellung seit der Neueröffnung vor einem Jahr veranschaulicht das "Dom Museum Wien" bereits auf seiner Häuserfrontseite hin zum Stephansplatz. Nicht nur für die Besucher der ab Donnerstag, 20. September zugänglichen Schau 2018 ist die großflächige Darstellung des von Pfeilen durchbohrten heiligen Sebastian nicht zu übersehen. Dass sich das wichtigste Museum der Erzdiözese Wien mit seiner Sammlung, die von mittelalterlicher Sakralkunst bis zur zeitgenössischen Sammlung Otto Mauer reicht, dem Thema der Verwundbarkeit widmet, ist "eine Auflage", wie Museumsdirektorin und Kuratorin Johanna Schwanberg bei der Presseführung am Mittwoch, 19. September erklärte.
Neben Werken aus eigenen Beständen konnte das Dommuseum für die epochenübergreifende Ausstellung auf "hochkarätigste Leihgaben" zurückgreifen. Für Schwanberg ist Verwundbarkeit eine "anthropologische Kategorie", das Thema berühre nicht zuletzt aufgrund politischer Entwicklungen und von Terroranschlägen alle und werde von der Sakralkunst ebenso aufgegriffen wir von nicht religiösen Künstlern. Leitmotivisch für die Schau sei der Aspekt des Herzeigens der Wunde "im Sinn des Stehens zur eigenen Verletzlichkeit, aber auch der Öffnung dem Anderen gegenüber", so die Museumsdirektorin.
Der Ausstellungstitel nimmt laut Ko-Kurator Klaus Speidel Anleihe beim Titel einer Installation von Joseph Beuys, der ebenso in der Ausstellung vertreten ist wie ein Gemälde über den zugrundeliegenden Bibelbericht, in dem der "ungläubige Thomas" die Seitenwunde des Auferstandenen berührt.
Dass Verletzungen, Leid und Schmerz zentrale Motive der europäischen Kunstgeschichte und speziell der christlichen Bildtradition sind, unterstreicht ein expressives spätbarockes "Kruzifixus" - einer Leihgabe aus Köln - gleich im ersten Schauraum; am Leib Christi ist neben der Seitenwunde eine Vielzahl klaffender Wunden zu sehen - im Kontrast zum unversehrten, würdevollen Antlitz des Gekreuzigten. Mehrfach vertreten ist der demnächst 80-jährige Aktionskünstler Günter Brus mit Fotografien von Selbstbemalungs- und -verletzungsaktionen.
Ein weiteres Highlight der Schau ist jene spätklassizistische Kreuzigungsdarstellung, die am 8. Oktober 1938 beim Sturm von SA- und HJ-Angehörigen auf das Wiener Erzbischöfliche Palais beschädigt wurde. Das vom Nazi-Mob als Vergeltung für Kardinal Innitzers Predigtaufruf "Euer Führer ist Christus" an katholische Jugendliche attackierte Gemälde ist zum ersten Mal wieder ausgestellt. Es blieb unrestauriert und dient seither als eindrückliche politische Mahnung. Davor liegend ein "Bomb Suit" - der Anzug eines Bombenentschärfers, an dem noch Spuren von Sprengstoff erkennbar sind - als Leihgabe des schwedischen Künstlers Anders Krisar.
Ebenfalls die Schrecken des Krieges thematisiert die aus Beirut entliehene Skulptur von Lamia Joreige: Es handelt sich um den Abdruck eines Lochs, das Scharfschützen in die Außenwand des libanesischen Nationalmuseums schlugen, um Passanten zu kontrollieren. Eindrucksvoll auch das Video "Wonderland" des Türken Erkan Özgen, in dem ein gehörloser Bub die kriegerisch entfesselte Gewalt mit Gesten und Geräuschen anschaulich macht.
Verwundbarkeit stellt auch in der Moderne ein Hauptmoment der Kunst dar, wobei sich die Auseinandersetzung mit Wunden auf mannigfaltige Weise gestalten kann: Manfred Erjautz lässt mit "Shelter (Colored Horizon)" eine schwebende Frauengestalt, in die unnatürliche Öffnungen geschnitten wurden; Katrina Daschner zeigt mit dem Spruch "Angst essen Seele auf" auf nackter Haut, dass "dem Körper Macht und Gewalt eintätoviert sind"; und Andres Serrano fotografierte in einem Leichenschauhaus den verwundeten Fuß eines Selbstmörders.
Der reiche Fundus an hochkarätigen Werken ermöglichte den Ausstellungsgestaltern spannende Kontrastierungen alter und moderner Kunst: so beim Nebeneinander eines spätmittelalterlichen Wasserspeiers - ein Hund mit weit geöffnetem Maul - und Gabriele Rothemanns Großformatfoto eines erschossenen und zugleich lebendig schwebend wirkenden Rehs; oder auch bei Giovanni Giulianis barocker Sebastianskulptur, neben der eine "Ste. Sébastienne" betitelte Zeichnung der Feministin Louise Bourgeois das Angegriffenwerden des weiblichen Körpers veranschaulicht.
Im größten Raum der Ausstellung flankieren unter dem Motto "Wunde als Fest" ein frühes Schüttbild des heuer 80-jährigen Hermann Nitsch und Lucio Fontanas Schnitte und Löcher in eine rote Leinwand ein Ölgemälde Gian Lorenzo Berninis aus dem Museo di Roma, auf dem das aufgefangene Blut des gekreuzigten Christus wie ein Meer die Landschaft bedeckt. Gemeinsam ist diesen Werken laut den Kuratoren, "dass sie Wunden und Blut positiv fassen, sie sogar zelebrieren".
Nicht nur Epochen, sondern auch Medien und Gattungen betreffend umspannt die Präsentation eine große Bandbreite und zeigt Arbeiten aus den Bereichen Malerei, Grafik, Fotografie, Textil-, Video-, Buch- und Performancekunst sowie Kunsthandwerk.
Zur Ausstellung erscheint ein von Johanna Schwanberg herausgegebener Katalog "Zeig mir deine Wunde", auch ein umfangreiches Begleitprogramm ist vorgesehen. Offiziell eröffnet wird Ausstellung am Mittwochabend von der Dommuseum-Direktorin gemeinsam mit dem Wiener Generalvikar Nikolaus Krasa. Zugänglich ist die Schau bis 25. August 2019.