Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker forderte auf, die dringenden Fragen Europas im lösungsorientierten Gespräch zu behandeln.
Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker forderte auf, die dringenden Fragen Europas im lösungsorientierten Gespräch zu behandeln.
Traditioneller Reformationsempfang in Wien. Evangelischer Bischof in Festrede: "Setzen uns ein für gemeinsame europäische, an Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen ausgerichtete Politik".
"Europa ist ein Zukunftsprojekt und keine Vergangenheit, die beschworen werden soll, wie die Fiktion eines 'christlichen Abendlandes', einer Homogenität, die es in Europa so nie gegeben hat." Das sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker beim traditionellen Reformationsempfang der österreichischen evangelischen Kirchen am Mittwoch, 24. Oktober 2018 im Wiener Odeon-Theater.
Bei dem Festakt anlässlich des Reformationstages am 31. Oktober plädierte Bünker für "mehr Europa, als wir heute haben." In seinem Festvortrag stellte der Bischof "angesichts aktueller Herausforderungen" die Frage, "wie es weitergehen kann mit Europa. Kann der bisherige Weg einfach fortgesetzt werden? Wohl kaum!"
Im Gedenkjahr 2018 hob Bünker mit Blick auf das Ende des Ersten Weltkrieges fünf Fragen hervor, die zu behandeln seien, "wenn wir uns der Vergangenheit stellen und unser Erinnern etwas für die Gegenwart und Zukunft austragen soll": Er nannte die "Mitschuld von Kirche und Theologie" am Ausbruch des Krieges, die Rechte von Minderheiten, Flucht und Migration, Erinnerung und Versöhnung sowie die demokratische Kultur und Zivilgesellschaft.
Niemand hätte 1913 damit gerechnet, "dass die durch eine globalisierte Wirtschaft miteinander verbundenen Länder und die miteinander verwandten Königs- und Kaiserhäuser, alle durch das Christentum geprägt, gegeneinander je noch Krieg führen könnten. Und doch ist es geschehen." Auf die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs folgte eine "ganze Reihe von präzedenzlosen Gewaltereignissen", so Bünker. Evangelische Kirchen müssten sich heute fragen, wo und wie sie dazu beigetragen hätten und auch, wo sie "womöglich auch heute blind und unkritisch" seien.
Durch die Nationalstaatenbildung nach dem Ersten Weltkrieg sei zudem die Frage der Minderheiten virulent geworden, die auch die Evangelischen in Europa - knapp zehn Prozent der gesamten Bevölkerung - stark betreffe. Als Diasporakirche habe die Evangelische Kirche die Aufgabe, Verantwortung für das Ganze der Gesellschaft zu übernehmen, stehe aber auch immer in der Gefahr, "eine Art 'religiöser Trachtenverein' zu werden, wo man sich nur noch um sich selbst und die eigene Tradition und den eigenen Bestand kümmert", meinte Bünker.
Deutliche Kritik äußerte der Bischof an der Rede von der "europäischen Wertgemeinschaft": "Was diese Werte wirklich gelten, sehen wir ungeschminkt im Mittelmeer. Jeder oder jede Siebente überlebt nicht, bis zur Mitte des Jahres 2018 sind beinahe 1.600 Menschen ertrunken. Aber Seenotrettung ist ein Gebot der Menschenrechte." Hier müssten Staaten eingreifen und könnten sich nicht auf Hilfsorganisationen verlassen. "Wir setzen uns ein für eine gemeinsame europäische, an den Werten der Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen ausgerichtete Politik. Wir sind dankbar für Kirchen und Gemeinden, die sich für den Schutz, die Begleitung und Integration von Flüchtlingen, von Migranten und Migrantinnen einsetzen und wollen diesen Einsatz würdigen und stärken."
Bünker forderte auch eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur, auch wenn er deren Schwierigkeiten eingestand: "Die Vielfalt der nationalen Großerzählungen macht ein gemeinsames Erinnern beinahe unmöglich. Aber wenn Europa mehr sein soll als eine große Freihandelszone mit gemeinsam gesicherter Außengrenze, dann braucht es den Kampf um die europäische Erinnerung."
Der Bischof ortete zudem eine Bedrohung für die "Europa kennzeichnende offene und pluralistische Gesellschaft und plädierte daher, auch angesichts der bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019, für das "unverdrossene, sachliche und lösungsorientierte Gespräch über die wirklichen Probleme und die wirklichen Herausforderungen, vor denen wir stehen". Dazu zählte der Bischof den Klimawandel, die wachsende Ungleichheit in und zwischen den Ländern, die Digitalisierung, Globalisierung und "vor allem den solidarischen Zusammenhalt in der Gesellschaft."
Das Motto des Reformationsempfangs lautete "Evangelisch in Europa". Für Bünker, der bis September auch als Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) mit Sitz in Wien wirkte, war es der letzte Reformationsempfang als Bischof, im Mai 2019 wird seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger gewählt.
Präsentiert wurde vor rund 300 Festgästen aus Kirchen, Politik, Wissenschaft und Kultur auch eine Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRKÖ) zur politischen Verantwortung der Kirchen für Europa. Darin nehmen die Kirchen Bezug auf die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft Österreichs und die bevorstehenden EU-Parlamentswahlen im Mai 2019. "Die christlichen Kirchen", so die lutherische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler, "sollen sich vergegenwärtigen, welche Gesellschaft sie sich in Zukunft wünschen." Dazu forderten sie ein soziales, schützendes, demokratisches und versöhnendes Europa. Bachler: "Wir brauchen ein Europa, in dem die Würde jedes Menschen gesichert ist."
Der alljährlich verliehene Diakoniepreis für Sozialprojekte mit "sichtbarem Innovationspotenzial" ging heuer an das Projekt "KOWALSKI café & bistro" des Diakoniewerks Gallneukirchen. In dem integrativen Café an drei Standorten in Oberösterreich und Salzburg arbeiten Menschen mit Behinderung, serviert wird vor allem regionale, vegetarische und vegane Küche.
Gewürdigt wurde im Rahmen des Reformationsempfangs auch Benedikt Mitsche für die beste vorwissenschaftliche Arbeit des vergangenen Schuljahres zu Themen aus dem Fach Evangelische Religion. Der Schüler des Wiener Theresianums hatte unter Betreuung durch Wolfgang Wotke die Vertreibung der Salzburger Exulanten in den Jahren 1731/32 durch den Salzburger Erzbischof Firmian aufgearbeitet.
Mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst wurde im Rahmen des Reformationsempfangs der Leiter des Religionspädagogischen Zentrums in Neustadt an der Weinstraße (Deutschland), Michael Landgraf, ausgezeichnet.
Der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs bot den Gästen einen Ausblick auf die von den drei evangelischen Kirchen in Österreich gemeinsam organisierten Christlichen Begegnungstage Anfang Juli 2020 in Graz, zu denen aus mehreren europäischen Ländern rund 5000 Besucher erwartet werden. Die Tage, so Schröckenfuchs, würden "erstmals nicht evangelische, sondern ökumenische" sein. Es gehe um Austausch und die persönliche Begegnung.
Michael Chalupka, bis August Direktor der Diakonie Österreich und nunmehr Geschäftsführer der Diakonie Bildung, präsentierte gemeinsam mit Schülern das Projekt "Auf der Suche nach der Seele Europas", das Jugendliche aus evangelischen Schulen jedes Jahr nach Auschwitz und Krakau führt. "Es ist besonders, dass Schüler auf der Suche nach der Seele Europas nicht nach Brüssel oder Wittenberg fahren, sondern nach Auschwitz", meinte Chalupka.
In einem Schlusswort blickte der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld auf das bevorstehende Zwingli-Jahr 2019: "Zwingli hat in Österreich eine große Rolle gespielt, deshalb schließen wir uns der Zürcher Kirche an und wollen das Jahr mit Gottesdiensten, Vorträgen und weiteren Veranstaltungen begehen", kündigte Hennefeld an. Vor fünfhundert Jahren, am 1. Jänner 1519, hatte Ulrich Zwingli mit der Übernahme des Pfarramts am Zürcher Großmünster symbolisch die Reformation in der Schweiz eingeläutet.
Von katholischer Seite waren der Einladung der evangelischen Kirchen zum Reformationsempfang u.a. der Wiener Weihbischof Franz Scharl und der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, gefolgt. Die orthodoxe Kirche war u.a. durch Bischof Andrej (Cilerdzic) vertreten. Auch Vertreter des Islam (u.a. der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft Ibrahim Olgun) und des Judentums waren anwesend.