Kirchenhistoriker Rupert Klieber lehrt an der Universität Wien.
Kirchenhistoriker Rupert Klieber lehrt an der Universität Wien.
Wiener Kirchenhistoriker Klieber in österreichischen Kirchenzeitungen. Kirchenvertreter begrüßten zunächst demokratische Entwicklungen, drängten dann aber in den 1930er Jahren auf die Gründung eines "Ständestaates".
Wenn in diesen Tagen des 100. Jahrestages seit Gründung der Republik gedacht wird, so ist dieses Gedenken auch eng verzahnt mit der wechselvollen Geschichte von Staat und Kirche in Österreich. Die christlichen Kirchen waren schließlich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine auch in die politische Realität stark hineinwirkende und gestaltende Kraft: Wo sie diese Kraft als "Dienst an der Allgemeinheit" genutzt haben, waren sie "echte Stützen des Allgemeinwohls". Wo immer sie indes der Versuchung erlagen, an den Bedürfnissen der Menschen vorbei eigene Privilegien zu sichern, haben sie ihre Bestimmung als "Service-Einrichtungen für das Gottesvolk" verkannt.
Das jedenfalls betonte der Wiener Kirchenhistorikers Prof. Rupert Klieber in einem Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen aus Anlass des Gedenkens an die Republiksgründung am 12. November 1918. Durch ihre starke "volkskirchliche Verankerung" und einen "hohen Organisationsgrad" hätten die christlichen Kirchen nicht nur rund um die Zeit der Republiksgründung, sondern fortan bis in die 1980er Jahre "stark auf die politischen Realitäten eingewirkt" und u.a. durch ihr Wirken im Schul- und Sozialbereich "die Lebenschancen der Bevölkerung erhöht", so Klieber.
Dabei war 1918 keinesfalls ausgemacht, in den katholischen Bischöfen glühende Unterstützer für eine Republiksgründung zu finden, hielt Klieber fest. Vielmehr hing die Mehrheit der Bischöfe auch über 1918 hinaus der Monarchie an: "Man fügte sich jedoch den Verhältnissen und versuchte, die vielfache Notlage nicht auch noch mit Verfassungskämpfen zu verschärfen." Dies dürfe aber nicht als eine Ablehnung der Demokratie missverstanden werden, habe im Klerus jener Zeit doch ein weitgehender Konsens darüber geherrscht, "dass das Volk mittels gewählter Abgeordneter selbst über sein Schicksal bestimmen sollte". Anders gesagt: Die Frage jener Zeit habe aus kirchlicher Sicht nicht "Monarchie oder Demokratie" gelautet, sondern: "Demokratische Republik oder konstitutionelle Monarchie auf demokratischer Basis"?
Neue Forschungen in den Vatikanischen Archiven würden zudem zeigen, dass es in den Folgejahren starke kirchliche Unterstützung für die Errichtung eines nach Ständen strukturierten, autoritären Staates - realisiert ab 1934 (bis 1938) im "Bundesstaat Österreich" bzw. im "Ständestaat": Die amtskirchliche Unterstützung für eine solche, "auf unrealistischen Erwartungen" basierende neue Staatsform sei "sehr ausgeprägt" gewesen, so Klieber - wohl auch aufgrund der Angst unter Kirchenvertretern, "dass 'freisinnige' Mehrheiten in Parlamenten sowie kirchenferne Regierungskoalitionen gewisse kirchenfreundliche Regelungen sowie katholische Grundsätze in der Gesetzgebung abschaffen würden." Dieses Denken sei letztlich erst 1952 mit dem "Mariazeller Manifest" und dem Grundsatz "Eine freie Kirche in einem freien Staat" vollends überwunden worden.
Das offizielle Österreich wird den 100. Jahrestag der Errichtung der Republik mit einem Staatsakt feiern, zu dem Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am 12. November um 11 Uhr in die Wiener Staatsoper eingeladen haben. Der Staatsakt, an dem u.a. auch Kardinal Christoph Schönborn teilnehmen wird, wird live vom ORF übertragen.