Michael Kuhn der Europareferent der Österreichischen Bischofskonferenz äußerte sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Akademie am Dom" im Wiener Haus der Europäischen Union zum Thema "Muss Europa neu erfunden werden? Der Beitrag der Religionen".
Michael Kuhn der Europareferent der Österreichischen Bischofskonferenz äußerte sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Akademie am Dom" im Wiener Haus der Europäischen Union zum Thema "Muss Europa neu erfunden werden? Der Beitrag der Religionen".
ComECE-Referent Kuhn bei Podiumsgespräch mit Ex-Europaparlaments-Vizepräsidentin Lunacek zum Beitrag der Religion für einen Ausweg aus der Krise Europas.
Nicht nur bei europäischen Politiker, auch unter Kirchenführern sind nationale Denkweisen nach wie vor stark ausgeprägt. Darauf hat Michael Kuhn, Referent der katholischen EU-Bischofskommission COMECE mit Sitz in Brüssel, hingewiesen.
"Es gibt einen nationalen Reflex auch bei Bischöfen", sagte er am Freitagabend, 16. November 2018 bei einem Podiumsgespräch in Wien. In kircheninternen Debatten werde oft "sehr stark zunächst die nationale Sichtweise auf den Tisch gelegt, bevor es gelingt dann doch die europäische Perspektive einzubringen", schilderte Kuhn aus seinen Erfahrungen. Der Europareferent der Österreichischen Bischofskonferenz äußerte sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Akademie am Dom" im Wiener Haus der Europäischen Union zum Thema "Muss Europa neu erfunden werden? Der Beitrag der Religionen".
Ort der Kirchen sei "das vorpolitische Foyer und nicht die politische Bühne", betonte Kuhn zum Beitrag der Religionen für Europa. "Kirche macht nicht Politik, sondern sie soll Politik mit möglich machen", zitierte er aus einer entsprechenden Denkschrift der deutschen Kirchen. Einen klaren Mangel ortete der COMECE-Experte hinsichtlich dieses vorpoltischen Bereichs in der EU-Bevölkerung etwa beim gegenseitigen Verständnis für Traditionen oder Denkweisen von Bürgern anderer Länder. Bei diesem "kulturellen Verstehen" sei man in Europa "noch nicht sehr weit", so Kuhn, und: "Da könnte die Kirche sehr wohl eine Rolle spielen, weil sie universale Kirche ist, und das müsste sie noch stärker ausspielen und Räume zur Begegnung schaffen."
Spreche Papst Franziskus heute über Europa gehe es dem Pontifex nicht um die Verteidigung einer bestimmten Idee von Europa, sondern um einen Prozess, erklärte der kirchliche Europaexperte. "Die Kreativität, der Geist, die Fähigkeit sich wieder aufzurichten und aus den eigenen Grenzen hinauszugehen, sie gehören zur Seele Europas", zitierte Kuhn dazu aus der Papstrede zur Verleihung des Karlspreises im Mai 2016.
Franziskus habe eine Zuversicht über wichtige Rolle Europas in der Welt entwickelt und in den mittlerweile fünf großen Europareden seines Pontifikats konkrete Ermutigungen ausgesprochen: "Menschen statt Strukturen sehen, Gemeinschaft, Dialog, Inklusion, Solidarität, Friedensverheißung sein", fasste Kuhn die Anliegen des Papstes zusammen. "Das mag vielen bekannt und banal verkommen und für viele auch zu wenig sein. Trotzdem: Es sind diese Softskills, die jene Mentalitätsveränderung zustande bringen können, die wir brauchen, um Auswege aus der Krise zu finden", sagte der ComECE-Vertreter.
Von manchen erhoffte konkrete europäische "Strukturveränderungen in Macherqualität" würden damit zwar nicht erfüllt. "Hartnäckig immer wieder in Erinnerung gerufen und von Christen auch konsequent gelebt" seien diese Anliegen Franziskus' für die Zukunft Europas aber "letztendlich nachhaltiger und zielführender als alle schnelllebigen Strategien".
Weitere Diskussionsteilnehmerin war die frühere Grünen-Politikerin und Europaparlaments-Vizepräsidentin Ulrike Lunacek. Die EU habe Erneuerung nötig, auch mithilfe jener Kräfte in den Religionen, die den Anspruch hätten "friedenspolitisch zu agieren, sozialen Ausgleich zu schaffen, die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu verringern und Menschenrechte zu wahren". Weitere Verbindungen ortete Lunacek, die selbst aus der Kirche ausgetreten ist, mit Kirchen und religiösen Gemeinschaften zum Beispiel bei der Entwicklungspolitik, in Umweltfragen und Klimawandel und beim Umgang mit Flüchtlingen und Migranten.
Gleichzeitig warnte Lunacek vor "sehr gut organisierten" christlichen Gruppierungen, die mit Anti-EU-Vertretern und Nationalisten gegen Frauenrechte oder die Gleichstellung von Lesben und Schwulen mobil machten. "Das ist eine unheilige Allianz die es da zum Beispiel gegen die Istanbul-Konvention gibt", so die frühere Spitzenpolitikerin.
Zur Zukunft der EU sprach sich Lunacek trotz des Wissens darum "wie geschwächt die EU derzeit ist" für weitere Integrationsschritte aus. Jene, die von der Sinnhaftigkeit der Union überzeugt seien und eine stärkere politische und soziale Union wollten, müssten diesen Weg gehen, zeigte sie sich überzeugt. Mit der Abstimmung über den Brexit sei eine neue Situation eingetreten. Das Pro-Europa-Lager müsse sich organisieren, sonst gerieten die Errungenschaften der europäischen Einigung in Gefahr. "Ohne einen stärkeren sozialen Zusammenhalt, ohne wirklicher Wirtschaftspolitik und gemeinsamer Steuerpolitik wird es nicht gehen. Da müssen sich die zusammenfinden, die meinen, dass das notwendig ist. Auch wenn sich daraus ein Europa der zwei Geschwindigkeiten entwickelt", sagte Lunacek.
Das öffentliche Podiumsgespräch fand im Rahmen eines Studienwochenendes der Theologischen Kurse Wien zum Spezialkurs "Monarchie - Republik - EU" anlässlich des heurigen Republiksgedenkjahrs statt. Dabei sprachen am Samstag auch der Sprachwissenschaftler Markus Rheindorf über "Populismus als Herausforderung Europas heute" und der Theologe Peter Zeilinger über "Identität Europas und ihre Zukunft".