Durch ihre "meist unsichtbaren" Beiträge zur Zivilität und Solidarität würden Religionen indes sehr wohl Werte besitzen, zeigte Gabriel dagegen auf. "Insofern bedarf der Satz 'Religionen haben keine Werte' wohl einer Revision."
Durch ihre "meist unsichtbaren" Beiträge zur Zivilität und Solidarität würden Religionen indes sehr wohl Werte besitzen, zeigte Gabriel dagegen auf. "Insofern bedarf der Satz 'Religionen haben keine Werte' wohl einer Revision."
Wiener Sozialethikerin antwortet in "Presse"-Gastbeitrag auf Philosophen Liessmann: Religion prägt auch in säkularer Welt. "Menschen fallen nicht als rationale und moralische Individuen vom Himmel".
Religionen spielen trotz aller Säkularisierungstendenzen weiterhin "eine nicht zu unterschätzende Rolle für den Erhalt der Wertebasis einer Demokratie". Das hat die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel unterstrichen. Weiterhin würden Hundertausende Menschen wöchentlich Gottesdienste besuchen und sich in diesem Umfeld sozial und karitativ engagieren. So werde ausgeübte Religion zu einem "wesentlichen Teil jener moralischen Erziehung, die die notwendige Voraussetzung dafür bildet, dass sich Bürger und Bürgerinnen Regeln für ihr politisches und soziales Zusammenleben geben können", betonte Gabriel in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "Die Presse".
"Menschen fallen nicht als rationale und moralische Individuen vom Himmel. Sie werden durch eine religiös oder säkular geprägte humanistische Kultur in Familien, Gemeinschaften, Vereinen, Kirchen und Religionsgemeinschaften dazu geformt." Dies klarzustellen sei angesichts forcierter gesellschaftlicher Spaltungstendenzen heute wichtiger denn je: "Denn Tabubrüche als Kick und Markenzeichen von Populisten aller Couleurs höhlen den sozialen Zusammenhalt in besorgniserregender Weise aus." Dagegen würden gerade die Mitglieder von Kirchen und Religionsgemeinschaften insgesamt "einen wesentlichen, meist unsichtbaren Beitrag zur Stärkung von Zivilität und Solidarität" leisten; sie seien daher auch "unverzichtbare Akteure in der Zivilgesellschaft", so Gabriel.
Das hinter dieser Einschätzung stehende, nach dem deutschen Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde benannte "Böckenförde-Paradox", demzufolge der freiheitliche, säkularisierte Staat "von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann", sei auch in Studien inzwischen verifiziert worden.
Hintergrund der Wortmeldung Gabriels war ein Interview des Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann ebenfalls in der "Presse" vom 9. November. Darin hatte Liessmann Religionen und Werte einander gegenübergestellt: Als eine weitgehend "flexible Wertegemeinschaft" würde man heute Menschen gegenüberstehen, "die keine Werte, sondern eine Religion haben". Religionen jedoch würden laut Liessmann "Gebote, Vorschriften, Verbote und Rituale" kennen, "aber keine Werte".
Durch ihre "meist unsichtbaren" Beiträge zur Zivilität und Solidarität würden Religionen indes sehr wohl Werte besitzen, zeigte Gabriel dagegen auf. "Insofern bedarf der Satz 'Religionen haben keine Werte' wohl einer Revision."