„Leistungsgerechtigkeit wird gerne verwechselt mit alter Besitzstandsgerechtigkeit, von der ich dachte, dass sie in einer liberalen Gesellschaft überwunden ist.“ Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser zur neuen Mindestsicherung.
„Leistungsgerechtigkeit wird gerne verwechselt mit alter Besitzstandsgerechtigkeit, von der ich dachte, dass sie in einer liberalen Gesellschaft überwunden ist.“ Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser zur neuen Mindestsicherung.
Experten kritisieren negative Auswirkungen des neuen Gesetzesentwurfs etwa auf Familien mit mehreren Kindern, Flüchtlinge, Menschen mit Behinderungen oder Alleinerzieherinnen.
Experten des evangelischen Hilfswerks "Diakonie" haben vor massiven Kürzungen durch die geplante "Mindestsicherung neu" gewarnt und eine Überarbeitung gefordert. Der Entwurf in seiner jetzigen Form schade Menschen in schwierigen Situationen, sagte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser bei einem Pressegespräch am Dienstag, 8. Jänner 2019 in Wien.
Konkret kritisierte sie etwa die Deckelung möglicher Zusatzleistungen beim Wohnen, die Kürzung bei Familien mit mehreren Kindern und die vielen "'Kann-Bestimmungen', die in die Hände der Länder gelegt und somit der Beliebigkeit anheimgestellt werden und den Betroffenen die Sicherheit nehmen". Moser kündigte dabei auch an, die Diakonie werde eine eigene Begutachtung des Entwurfs einbringen.
Dass die Regierung durch das neue Gesetz etwa mehr Leistungen für Alleinerzieherinnen oder Menschen mit Behinderung verspricht, hält Moser für einen Verkaufsgag. "In Wahrheit haben wir es mit einem Verschlechterungszwang und einem Verbesserungsbelieben zu tun." In ihrem Grundkonzept und ihrer Zielsetzung sei die neue Sozialhilfe außerdem "almosenhaft" und "bevormundend".
Kritik übte Moser auch an der fehlenden Absicherung der Leistungen nach unten hin. Der Entwurf sehe zwar Maximalbeträge aber keine Minimalbeträge vor und werde somit dem Grundauftrag einer Mindestsicherung nicht gerecht, "nämlich Menschen das Mindeste, das sie zum Leben brauchen, zur Verfügung zu stellen". Dass im neuen Entwurf nicht mehr von einer bedarfsorientierten Mindestsicherung sondern von Sozialhilfe die Rede ist, hält die Diakonie-Direktorin deshalb für keinen Zufall.
Laut Moser verfehle die Regierung mit den Neuerungen auch das eigene Ziel des Gesetzesentwurfs, nämlich die Eingliederung Betroffener ins Erwerbsleben. Denn, wer von Geldsorgen geplagt ist, dem fehle die Kraft Deutsch zu lernen, eine Aus- oder Weiterbildung zu machen oder sich eine Arbeit zu suchen. Die den Gesetzesentwurf bestimmende Haltung, zuerst etwas leisten zu müssen, um Anspruch auf Beihilfen zu haben, hält die Diakonie-Direktorin deshalb für nicht zielführend. Eine menschliche, vernünftige und praktikable Haltung sehe anders aus, so Moser.
Die vielen "Kann-Bestimmungen" im Gesetzesentwurf kritisierte auch Martin Reidinger von der Diakonie. Konkret fest machte Reidinger das am "Behinderten-Bonus" über 150 Euro, der je nach Bundesland gewährt werden könne oder eben nicht. Der neue Gesetzesentwurf degradiere Betroffene auch zu "Bittstellern", es gehe allerdings darum, "dass die Menschen Rechte haben und nicht auf Almosen angewiesen sein sollen". Den Gesetzesentwurf als "großen Coup" zu verkaufen, hielt der Diakonie-Mitarbeiter deshalb für nicht angebracht.
Kritik an der neuen Regelung, die Beihilfen für den Wohnbedarf in Form von Sachleistungen vorsieht, kam von Ulrike Knecht von der Hilfsorganisation "Heilsarmee". "Zum einen stellt das eine Entmündigung von armutsbetroffenen Personen dar, außerdem bedeutet es eine starke Stigmatisierung, da der Vermieter somit erfährt, dass sein Mieter Sozialhilfe bezieht", erläuterte Knecht und forderte: "Sozialhilfeempfänger dürfen nicht entmündigt werden und sollen daher ihre Leistung selbstverantwortlich für die Deckung ihres Lebensbedarfs und der Wohnkosten verwenden."
Die negativen Folgen des Gesetzesentwurfs auf Familien mit Kindern und Alleinerzieherinnen machte Andrea Boxhofer vom Diakonie-Zentrum Spattstraße am Beispiel einer Alleinerzieherin, die mit ihren drei Kindern in Salzburg lebt, deutlich. Als teilzeitbeschäftigte Handelsangestellte verdient die dreifache Mutter netto 850 Euro. Sie erhält 450 Euro an Unterhaltsleistungen für ihre Kinder. Ihre 3-Zimmerwohnung kostet 900 Euro, dazu kommen 150 Euro für Heizung und Strom. Bisher hat die Betroffene eine monatliche Aufstockung durch die Mindestsicherung inklusive Wohnbedarfshilfe von insgesamt 782 Euro erhalten. Mit der Neuregelung verkürzt sich diese Unterstützung trotz AlleinerzieherInnenbonus auf insgesamt 486 Euro, die Mutter verliert so 296 Euro pro Monat.
Damit verbaue die Regierung die Chancen von Kindern und übersehe langfristige Folgen. Denn die finanzielle Not schließe die Kinder schon sehr früh von Vielem aus und "die meisten von ihnen werden lebenslang soziale Unterstützung brauchen und am Rand der Gesellschaft bleiben". Boxhofer hielt es für kurzsichtig, den sozialen Profit, der durch Investitionen in die Zukunft von Kindern belegt ist, nicht zu beachten.
Eine deutliche Schlechterstellung bedeute der neue Gesetzesentwurf schließlich auch für Flüchtlinge. Sie seien vor allem vom im Entwurf vorgesehenen "Arbeitsqualifizierungsbonus" betroffen, der sich bei genauerer Betrachtung allerdings als Malus herausstelle, so Susanna Paulweber vom Diakonie-Flüchtlingsdienst. Die Regelung sieht eine Kürzung für Betroffene ohne österreichischen Pflichtschulabschluss und mit Deutschkenntnissen unter einem willkürlich festgesetzten Niveau vor. Für diese wird die Leistung um 35 Prozent, also auf 560,98 Euro gekürzt.
Die Regelung kehre somit das bisherige Procedere, "man erhält zunächst volle Leistungen und muss mit Sanktionen rechnen, wenn man sich nicht an die Integrationspflichten hält", um. Integration könne aber nur auf Basis einer stabilen, abgesicherten Existenz gelingen, "wenn man nicht mehr weiß, wie man seine Wohnung halten kann oder die eigene Familie ernähren soll, kann auch Integration nicht gelingen, denn nur, wenn ausreichend Geld zum Überleben vorhanden ist, kann man sich beispielsweise dem Erlernen der Sprache widmen".