Oliver Tanzer lässt sich auf Spaziergängen mit seinem Hund von der Natur inspirieren.
Oliver Tanzer lässt sich auf Spaziergängen mit seinem Hund von der Natur inspirieren.
Von Tieren haben wir u. a. gelernt, wie man Papier herstellt (Wespen) und Bremsbelege optimiert (Katzenpfoten). Doch wir können uns auch sozial und sogar wirtschaftlich einiges aus der Tierwelt abschauen.
In seinem Buch „Animal Spirits“ zeigt uns Autor Oliver Tanzer „wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen“, wenn wir genau hinschauen.
Ein Gespräch zum „Welttiertag“ am 4. Oktober.
Oliver Tanzer, Wirtschaftsressortleiter bei der Wochenzeitung „Die Furche“ ist vor vier Jahren von der Stadt auf das Land gezogen. „Das war eine Entscheidung aus einer persönlichen Krise heraus. Ich habe ein Landhaus geerbt“, erzählt er rückblickend im Gespräch mit dem SONNTAG. Sein Landhaus ist 400 Jahre alt. „Ich musste renovieren und den Garten machen. Da bin ich hängen geblieben.“
Tanzer legte die Naturromantik des Städters ab und tauchte ein in die Welt von Fauna und Flora. „Wenn du eine Blume selbst angepflanzt hast und zum ersten Mal eine Blüte in der Hand hältst, schaust du dir das viel genauer an. Die mathematischen Strukturen, die da enthalten sind!“
Der Wirtschaftsexperte war fasziniert von den „Mechanismen, die es innerhalb der Pflanzen und Tiere gibt, über die wir uns nur wundern können“. Die Auseinandersetzung mit der Natur inspirierte ihn bald ein Buch zu schreiben. Sein Titel: „Animal Spirits. Wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen“ (Molden).
Wir sollten uns die Natur und Tiere zum Vorbild nehmen, um Auswege aus den heutigen Krisen zu finden, meint Oliver Tanzer: „Tiere und Pflanzen sind in vielfacher Hinsicht sozialer und im Ganzen auch viel rationaler.“
Ein Problem, dass es in der Tier- und Pflanzenwelt nicht gibt, für Tanzer aber die Ursache der aktuellen Krisen ist, ist der Narzissmus. Dieser sei verantwortlich für die Zerstörung der Umwelt, die Brutalisierung in der Politik, die ungleiche Verteilung von Reichtum und die fehlgeleitete Entwicklung der digitalen Zukunft.
„Das Lebendige in der Natur hat seinen Wert verloren, das Postulat des blinden Wachstums ist an seine Stelle getreten“, schildert der Autor ein gnadenloses Wirtschaftssystem, dem wir als Individuen nicht entrinnen können.
„In unserer Gesellschaft heißt es: Produziere, produziere, produziere, dann kriegst du auch Ansehen“, bringt es Oliver Tanzer auf den Punkt. Die Natur aber denkt anders. „Beim Baum wie auch bei vielen Tieren gibt es die Grundregel, ein Drittel des Jahres bzw. des Lebens in Ruhephasen zu verbringen.
Bei einem Baum ist das sehr schön zu beobachten. Er hat zunächst diese enorme Wachstumsphase und dann geht er zurück in die Ruhephase. Da bereitet er die inneren Systeme für die nächste Wachstumsphase vor“, erklärt Tanzer.
Auf menschliche Systeme übersetzt hieße das nicht, dass die menschlichen Betriebe ein Drittel des Jahres in Urlaub gehen sollen, „sondern dass man in einzelnen Abteilungen darauf achtet, die Entwicklung nicht immer wieder voranzutreiben, sondern das Entwickelte zu überprüfen, zu schauen, ob man in der richtigen Richtung unterwegs ist“, empfiehlt der Wirtschaftsexperte.
„Wir produzieren in der Konsumgesellschaft sehr viel Unnötiges, um einen Markt zu befriedigen. Wir könnten uns die Bäume zum Vorbild nehmen, um Vorsicht bei dem was wir tun zu gewährleisten.“
Ein gesunder Wald ist in seiner Vielschichtigkeit und Vielfalt ein gutes Vorbild für die Gesellschaft: Wären in einem Wald ausschließlich Baumriesen vorhanden, könnte das Ökosystem nicht überleben.
„Der Wald ist aufgebaut in Schichten, jeder Strauch ist wichtig, jeder Mikroorganismus im Waldboden ist wichtig für die Versorgung des Ganzen“, erklärt Oliver Tanzer und vergleicht den Wald mit unserem Wirtschaftssystem: „Da bleibt das Kapital in der Finanzkrone hängen. Das nennt man Ungleichverteilung. Ein Baum aber wächst in die Breite und in die Höhe. Sein erstes Ziel ist Stabilität. Wir haben als Gesellschaft dieses Ziel der Stabilität, bei dem niemand draußen bleibt, verloren“.
Lernen können wir vor allem auch von Tieren, von den Wölfen z. B., denen im Buch „Animal Spirits“ ein eigenes Kapitel gewidmet ist. „Ich glaube, dass sich Unternehmer sehr viel von den Wölfen abschauen könnten“, sagt Oliver Tanzer.
Wölfe leben sehr harmonisch im Rudel. Die meiste Zeit verbringen sie im Spiel. „Alt und Jung spielen die ganze Zeit miteinander. Ich glaube, dass die Wölfe daraus eine Strategie entwickeln mit offenem Geist durch die Herausforderungen zu gehen, mit denen sie konfrontiert werden.
Es gibt im Spiel keine Hierarchien mehr. Dadurch kann sich der Geist besser entfalten, frei von der Angst: Ich darf nicht besser sein als ein Oberer“, sagt Tanzer. Die Wölfe würden vorleben, wie vertrauensvoller Umgang selbst bei wichtigen Entscheidungen funktioniert und flache Führungsstrukturen, Spiel, Übung und Intuition die besten Ergebnisse liefern.
Wichtige Entscheidungen müssen auch die Bienen treffen, wenn ein Schwarm samt Königin den Stock verlässt, um an anderer Stelle einen neuen Bienenstaat zu gründen. Ihren Feinden sind sie in dieser Phase schutzlos ausgeliefert. Über den neuen Nistplatz, der von allen genau geprüft wird, entscheiden die Bienen gemeinsam.
„Die Bienen zeigen, wie eine große Gruppe scheinbar ohne jede Führung einen Konsens über Zukunftsfragen herstellen kann. Ihre Kommunikation ist vorbildlich transparent, wichtige Informationen werden unter einem ,Vielaugenprinzip’ mehrfach geprüft“, schildert Oliver Tanzer.
Mit seinem Buch möchte der Autor anregen, sich die großen Strukturen in Tiergesellschaften anzuschauen, um daraus als Menschen etwas zu lernen. Er betont: „Ich glaube, die Kirche ist mit Papst Franziskus hier schon auf einem sehr, sehr richtigen Weg – wie sie die Themen der Nachhaltigkeit sieht und dass wir mehr auf die zukünftigen Generationen schauen sollen.“
Buchtipp
Oliver Tanzer
„Animal Spirits“
Wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen.
Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG;
ISBN: 978-3222150388
Auf sehr inspirierte Weise gelingt es dem Autor, uns die Mechanismen der Natur näher zu bringen.
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