Regina Polak gegen "theologiebefreite Pastoralprogramme"
Regina Polak gegen "theologiebefreite Pastoralprogramme"
Theologin Polak: "Den" Islam nicht zum Sündenbock erklären. Kirchen sollen Hausaufgaben im Widerstand gegen christliches "Glaubensschwächeln" machen.
Den Islam zum Sündenbock und Gegner in einem "Kulturkampf" zu erklären, führt nicht in die Zukunft und lenkt von den tieferen Gründen für das "Glaubensschwächeln" in der heimischen Gesellschaft ab.
Darauf hat die Wiener Theologin Regina Polak in der Wochenzeitung "Die Furche" (1/2020) hingewiesen. Wertestudien bezeugten seit Jahrzehnten europaweit und in Österreich eine konstante Erosion von genuin christlichen Überzeugungen wie dem Glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist, dem Glauben an die Auferstehung oder das Kommen des Reiches Gottes. Gläubige Muslime könnten dafür nicht verantwortlich gemacht werden, vielmehr sei diese Schwächung der inhaltlichen Substanz des Christentums "das ureigenste, selbst zu verantwortende Problem der christlichen Kirchen", so Polaks Überzeugung.
Die Leiterin des Instituts für Praktische Theologie an der Universität Wien äußerte in ihrem Gastkommentar Sorge über islamophobe Tendenzen in Österreich. Laut einer Studie gehört für die Mehrheit der Bevölkerung der Islam "eher nicht zu Österreich"; 45 Prozent der Befragten meinten, dass Muslime hierzulande "nicht die gleichen Rechte haben sollten". Diese Stimmung verdanke sich Meinungsmachern in Politik und Medien und deren - wissenschaftlich widerlegbaren - Behauptung, christliche und europäische Werte stünden islamischen Werten diametral und unvereinbar gegenüber.
Dieser "Kulturkampf" schwäche Europa und führe zum Untergang des christlichen Abendlands, beschrieb Polak das Bedrohungsszenario.
Freilich: Jüngste Studien wie jene des Soziologen Kenan Güngör über extremistische, demokratiegefährdende Neigungen vor allem bei jungen Menschen, die die Regeln des Islam pauschal über die Gesetze Österreichs stellen oder sich autokratische religiöse Führer wünschen, dürfe man nicht kleinreden, befand Polak. Dem müsse mit Bildungs- und Integrationspolitik begegnet werden. Aber die generelle Behauptung, dass "der" Islam "unsere" christliche Kultur bedrohe, erscheint der Theologin und Werteforscherin "doch reichlich abwegig". Die Konfliktlinien verliefen nicht zwischen Christentum und Islam, sondern eher zwischen Menschen mit hohem und geringem bis keinem religiösen Selbstverständnis, und zwischen jenen, die Religion als öffentliche und jenen, die Religion bestenfalls als private Angelegenheit betrachten.
Sie frage sich - so Polak - angesichts des Kulturkampf-Narratives: Welche Ängste verbergen sich hinter einem Denken, das "uns" Christen von den angeblich "Anderen", den Muslimen, trennen zu müssen meint? Mögliche Antworten sind für die Theologin die Angst vor der inhaltlichen Leere, "die ich manchmal im Advent, erstickt unter Weihnachtsdekoration und Punschwolke, zu verspüren meinte", oder Irritation über den mitunter ungebrochenen Glauben der "Anderen". "Ist es die zu wenig ausgeprägte Fähigkeit, mit Unterschieden zu leben?", fragte Polak weiter. "Oder ist es, ganz banal, schlicht ein Kampf um kulturelle und religiöse Hegemonie?"
Hinter dem christlichen "Glaubensschwächeln" stehe vielfach ein Problem der Kirchen, so die Diagnose Polaks. Sie kritisierte "theologiebefreite Pastoralprogramme" ebenso wie "Gottesdienste, die die christliche Botschaft auf eine individualisierte (klein)bürgerliche Anstands-und Höflichkeitsmoral verkürzen". Die großen Verheißungen des christlichen Glaubens auf ein gutes, gerechtes Leben für alle in einer friedlichen Welt würden allzu oft verschwiegen.
Die Schwächung liege auch in der "Erschütterung durch allzu viel inhumanes Handeln im Namen der Kirche in Geschichte und Gegenwart", in den Nachwirkungen der "barbarischen Zivilisationsbrüche des 20. Jahrhunderts, die das Glauben an einen guten Gott sehr schwer machen können" und hätten mit einer laut Polak offenen Frage zu tun: Wie sollen die Glaubenstraditionen in eine Gesellschaft übersetzt werden, "die schon lange nicht mehr von einer christlichen Alltagskultur geprägt ist"?
Nicht zielführend sei dabei ein "aggressiv-missionarisches Rechristianisierungs-Programm", das traditionalistische Zustände restaurieren will. Der Glaube dürfe auch nicht als unkritische Zustimmung zu erfahrungsfernen, unreflektierten Wissensformeln missverstanden werden, um seinem Verdunsten zu begegnen. "Aber was sollen Muslime, die ihren Glauben treu, selbstbewusst und öffentlich leben wollen, mit dieser Schwächung zu tun haben?", wandte sich Polak gegen "billig-polarisierende" Antworten.
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