Bei der Debatte um das Kreuz im öffentlichen Raum geht es um mehr als um ein kluturelles Symbol
Bei der Debatte um das Kreuz im öffentlichen Raum geht es um mehr als um ein kluturelles Symbol
Religionsdialog-Experte: Debatte über Kreuz und Religionsunterricht begleiten "Übergang von Resten katholischer Hegemonie zu pluraler Gesellschaft" - Kreuz wird "zu Symbol Europas entleert".
Der "mediale und politische Hype" nach dem Verzichts auf Kreuze im Wiener Krankenhaus Nord (Klinik Floridsdorf) ist nur einer von vielen Konflikten, die "den Übergang von den Resten katholischer Hegemonie in Österreich zu einer pluralen Gesellschaft begleiten": Diese Einschätzung äußerte der emeritierte Wiener Theologieprofessor Martin Jäggle in einem Gastkommentar in "Die Furche" (7/2020). Wenn die Kirche ihre bisherige Vormachtstellung überdenke, stärke sie damit auch ihre Rolle als "glaubwürdige Akteurin" im weltanschaulichen Pluralismus, meinte der Religionspädagoge. Nicht "der Sündenbock Islam" verursache diesen Übergang, "sondern das Ringen in der Gesellschaft um positive und negative Religionsfreiheit".
Die Debatten dazu würden zwar Konfliktstoff für Medien und Politik bieten, es sei aber "keine Mehrheit zur Abschaffung von Kreuz und Religion in Sicht", zeigte sich Jäggle überzeugt. Ähnlich wie zuvor schon Kardinal Christoph Schönborn in seiner Freitagskolumne in der Gratiszeitung "Heute" warnte er davor, die Kreuzdebatte mit der Sorge um das "christliche Erbe" zu vermischen. Zu Letzterem gehöre nämlich nicht nur das Symbol "Kreuz", sondern auch die Sorge um die leidenden Menschen, arbeitsfreie Sonntage oder "die Bereitschaft, Menschen auf der Flucht zu helfen", so Schönborn.
Kontroversen über das Kreuz wie auch Diskussionen rund um den konfessionellen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zeigten das Bestreben, öffentlichen Raum von religiösen Symbolen frei zu halten. In der aktuellen Debatte werde das Kreuz "von einem religiösen Symbol zu einem Symbol Europas entleert", kritisierte Jäggle.
Religion werde dabei ausschließlich "als Problem wahrgenommen und ihr Beitrag zur Lösung von Problemen ausgeblendet", fasste Jäggle den Schul-Disput zusammen, den u.a. auch Ex-Ombudsfrau Susanne Wiesinger angefeuert hätte. Eine "religionsfreie Schule" wäre auch deswegen eine Fiktion, da "Religion allein durch die Menschen an der Schule und ihr Verhältnis zur Religion" und als gesellschaftliches Phänomen präsent sei.
Die aktuelle Auseinandersetzung um die Einführung des Ethikunterrichts kann Jäggle - wie er schrieb - nicht nachvollziehen. Er plädierte für eine "nüchterne" Betrachtung, da das Fach "Ethik" als Schulversuch bereits 1997 an den ersten Allgemeinbildenden höheren Schulen etabliert worden sei. Nun solle es in ganz Österreich umsetzt werden: "Etwas, was sich vielerorts bewährt hat, in das Regelschulwesen überzuführen, entspricht österreichischer Pragmatik", so der Bildungsexperte.
Trotz der breiten Zustimmung von Seiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften gebe es auch kritische Stimmen, meinte Jäggle, und nannte den Wiener Gemeinderabbiners Schlomo Hofmeister, der auf das Problem staatlich organisierter "Ethik" verweise. Hinzu komme, dass existenzielle Fragen nach "Vergebung und Versöhnung, Spiritualität und Gebet, Liebe, Glaube, Hoffnung" usw., die entscheidende Bereiche der Religion seien, aber über ethische Themen hinausgehen würden. "Was geschieht mit diesen Themen im Fach 'Ethik'? Oder sind sie nicht bildungsrelevant", fragte der Theologe.
Herausforderungen für den konfessionellen Religionsunterricht würden sich auch aus der religiösen Ausdifferenzierung ergeben: Mittlerweile hätten mehr als ein Dutzend Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht, konfessionellen Religionsunterricht zu erteilen; vom katholischen Religionsunterricht bis zu orthodoxen, jüdischen oder buddhistischen. Nicht alles könne an jeder Schule angeboten werden, weswegen Eltern ihre Kinder teils bereits als "konfessionslos" angeben würden, damit sie an einem anderen Religionsunterricht teilnehmen könnten. Hier bräuchte es mehr Kooperationsmodelle zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften, forderte Jäggle, der als Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit auf Fachmann für interreligiösen Dialog ist.
Langfristig müsse sich die Kirche jedoch aus der Schule zurückziehen, nicht etwa beim Religionsunterricht, sondern in puncto christlich-religiöser Sozialisation wie etwa beim der Vorbereitung auf die Erstkommunion, so Jäggle. Kinder - die nicht zur Mehrheit gehörten - würden dort ausgeschlossen und der Vorwurf, "dass Kirche in der Schule diskriminierend wirke", wäre dann berechtigt. Hier wie generell gilt darum für Jäggle: "Das Verlernen hegemonialen Selbstverständnisses stärkt die Kirche als glaubwürdige Akteurin einer pluralen Gesellschaft."