"An der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben."
Kardinal Franz König
"An der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben."
Kardinal Franz König
Mit 1.1.2022 wurde in Österreich aufgrund eines Erkenntnisses des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes die Assistenzleistung zum Suizid unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt.
Um Überlegungen anzustellen, wie mit den Folgen dieser Gesetzesänderung bestmöglich umgegangen werden kann, hat die Erzdiözese Wien unter der Leitung von Nicole Meissner, MSc BA, Geschäftsführerin der St. Elisabeth Stiftung und Lebensschutzbeauftragte von Kardinal Christoph Schönborn, eine gemeinsame Arbeitsgruppe, das „Lebensschutz Gremium“ gebildet um einen Orientierungsrahmen für ihre MitarbeiterInnen zum einen, und für alle Menschen, die mit diesem Thema in Berührung kommen, zum anderen, anzubieten.
| AUSANGSLAGE |
| Durch eine Gesetzesänderung ist der „assistierte Suizid“ seit 1.1.2022 auch in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Der Gesetzgeber spricht von einem „selbstbestimmten Sterben als ‚Menschenrecht‘ und ‚Ausdruck der Menschenwürde‘“, dies entspricht geänderten gesellschaftlichen Erwartungen und Haltungen. Angesichts dieser neuen Gesetzeslage ist es gerade in einer sich ändernden Welt vieler Fragen, Unsicherheiten und zunehmender Orientierungslosigkeit umso mehr geboten, aus kirchlicher Sicht Orientierung für den Umgang mit dieser neuen Situation zu geben. Ausdrücklich sei am Beginn auf das Schreiben der Glaubenskongregation Samaritanus Bonus vom 14. Juli 2020 sowie auf die Erklärung der Österreichischen Bischöfe Einander anvertraut – Assistenz zum Leben und nicht Hilfe zur Selbsttötung vom 1. Juni 2021 verwiesen, die sich mit der neuen Situation eines rechtlich erlaubten assistierten Suizids auseinandersetzen. Die österreichischen Ordensgemeinschaften und die Caritas Österreich haben auf dieser Basis einen äußerst detaillieren „Orientierungsrahmen“ für katholische Gesundheits- und Sozialeinrichtungen erstellt, der mit Jänner 2023 in Kraft getreten ist. |
| VERSCHIEDENE ANFORDERUNGEN |
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Allgemein ist es wichtig, dass Christinnen und Christen die möglichen negativen gesellschaftlichen Konsequenzen der neuen Gesetzeslage im Blick haben und gegen eine drohende „Wegwerfkultur“ Stellung beziehen, indem sie dafür eintreten, „die Würde des menschlichen Lebens, auch in seinen extremen Phasen des Leidens und Todes [zu] respektieren“ (Samaritanus Bonus, S. 22). |
| SCHLUSSFOLGERUNG |
| Christinnen und Christen, die in kirchlichen Einrichtungen arbeiten, bieten daher keine Unterstützung zu assistiertem Suizid an und empfehlen diese Handlung auch nicht. Vielmehr bekennen sie sich zu einem Leben in Würde bis zum Schluss. Sie begleiten jedoch auch Sterbewillige und zeigen ihnen Wertschätzung und Interesse. Einen Menschen in dieser Weise zu unterstützen und zu begleiten, bedeutet aber nicht, ihm in jeder Frage Recht zu geben und alle seine Wünsche zu erfüllen. Es gibt in Betreuungs- und Begleitungssituationen auch das Recht und die Pflicht, die eigenen Glaubensüberzeugungen und das eigene Gewissen zu schützen. Als Mitglied einer kirchlichen Gesundheitsinstitution (z.B. Krankenhaus) ist man grundsätzlich auch den Leitlinien der Institution verpflichtet. |
| ERLÄUTERUNG |
| Die Kirche war immer schon ein Ort für Menschen mit verschiedenen Problemen, Sorgen, Ängsten und Sehnsüchten, unser Herr Jesus Christus rief die Mühseligen und Beladenen zu sich (Mt. 11,28-30). „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ sollen in den Herzen der Glaubenden „Widerhall“ finden (GS 1). Daher haben Christinnen und Christen Verständnis für die Wünsche heutiger Menschen nach Selbstbestimmung und Freiheit. Die Kirche fragt aber auch nach, wo ein bloß nickendes Zuhören nicht genügen kann. Oft verbirgt sich hinter dem Wunsch zu sterben oder dem Wunsch nach Linderung körperlicher und seelischer Schmerzen auch der Wunsch danach, angenommen und angehört zu werden, Verständnis und menschliche Wärme zu bekommen. Einem Hungernden hilft man nur teilweise, wenn man ihm Nahrung gibt, so wichtig diese auch im Moment sein mag. Umfassender und nachhaltiger hilft man, wenn man dem Hungernden einen Acker zur Verfügung stellt, den dieser selbst bebauen und dessen Ertrag er selbst ernten kann. Ähnlich mögen ein Suizid und die Beihilfe dazu im Augenblick als wirksame Hilfe erscheinen, das mögliche Erschließen neuer Ressourcen zum Leben wird aber ausgeschlossen, da das Leben dieses Menschen unwiederbringlich verloren ist. Die Aufgabe der Kirche und ihre Stärke liegen daher im langfristigen Helfen, in der Eröffnung von Gesprächs- und Beziehungsräumen und in der Einladung zu einem Leben in Wertschätzung, Geborgenheit und Würde bis zum Schluss. |
Mit den folgenden Gedanken soll eine Brücke zwischen grundlegenden theologischen Optionen und lebensnaher pastoraler Praxis geschlagen werden, wobei 3 Ebenen zu unterscheiden sind:
1. theologische Grundlegung
2. pastorale Haltung
3. konkrete Beratungs-, Begleitungs- und Unterstützungssituation
| BEGRÜNDUNG |
| Wir gehen davon aus, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist. Es hat seinen Sinn und Wert von Gott her und verliert diesen auch nicht in schwierigen und schmerzvollen Situationen. Menschliches Leben muss daher vor willkürlichen Zugriffen anderer Menschen geschützt werden. Dieser Schutz ist gerade in Momenten von Leid, Krankheit, Schwäche oder Schmerz wichtig. Daher lehnen wir es ab, bei Tötungshandlungen im Umfeld von Sterben und Tod, wie Tötung auf Verlangen und assistiertem Suizid, in irgendeiner Weise mitzuwirken. |
| ERLÄUTERUNG |
| Grundlage dieser Positionierung ist das Verständnis der Kirche, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes (vgl. Gen 1,27) unbedingte Würde besitzt, unabhängig von Hintergrund, Leistung oder körperlicher Verfassung. Würde und Unantastbarkeit beziehen sich auf den ganzen Menschen aus Seele und Leib, aus Geist und Körper. In dieser Einheit und Ganzheit ist der Mensch auch „zur Auferweckung am Jüngsten Tag bestimmt“. (GS 14). In diesem Sinn ist menschliches Leben „heilig“ bis zuletzt. (KKK 2258). Es muss immer in seinen Entfaltungsmöglichkeiten unterstützt und darf nie willkürlich ausgelöscht werden. |
| PASTORALE POSITIONIERUNG |
| Menschen, die versehrt oder geschwächt sind, brauchen daher besondere Beachtung. Kranke oder Behinderte sind zu unterstützen, damit sie ein möglichst normales Leben führen können (KKK 2276). Tötungshandlungen wie die direkte, aktive Euthanasie, die darin besteht, dass man aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer dem Leben behinderter, kranker oder sterbender Menschen ein Ende setzt, sind sittlich unannehmbar (KKK 2277). Aber auch der Suizid ist abzulehnen. Die christliche Tradition sieht darin einen Widerspruch zum natürlichen Lebenswillen des Menschen, zur gebotenen Bejahung seiner selbst („rechte Eigenliebe“), sowie einen Verstoß gegen die „Bande der Solidarität“, die den Menschen mit anderen verbinden (KKK 2281). |
| BEGRÜNDUNG |
| Gemäß der Haltung, sich allen Menschen bedingungslos in Liebe zuzuwenden, wie Jesus Christus es vorgelebt hat, ist es die Ansicht der mit der Seelsorge betrauten Einrichtungen und Personen, dass Kranken und Sterbenden immer beizustehen ist, wenn diese es wünschen. Beistand bedeutet vor allem, Leidende während der dunkelsten Momente nicht alleine zu lassen. Wenngleich suizidale Handlungen abzulehnen sind, dürfen doch die Menschen, auch wenn sie solche Wünsche haben, im Moment ihrer körperlichen, seelischen und auch geistlichen Schwäche nicht alleine gelassen werden. |
| ERLÄUTERUNG |
| Diese pastorale Haltung scheint nur auf den ersten Blick in Widerspruch zu der in Pkt. 1 formulierten theologischen Überzeugung zu stehen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich die Unbedingtheit der Liebe Jesu gerade Sündern gegenüber: Ohne ihre Handlungen gut geheißen zu haben, galt er doch als „Freund der Sünder“ (Lk. 5,29-32; 15,1f. 19,6f.) und stand ihnen nahe. Viele dieser Menschen bekehrten sich gerade deshalb. (Mk. 15,39; Lk. 5,8). Jesus ruft zu einer solchen unbedingten Barmherzigkeit und Nächstenliebe auf (Mt. 22,39). Aus diesem Grund muss die Kirche sich angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen für eine möglichst vorbehaltlose Betreuung und Begleitung Sterbender entscheiden. (KKK 2279). Dies entspricht auch der wiederholten Aufforderung von Papst Franziskus, an „die Ränder“ zu gehen und keine Angst zu haben, sich „die Hände schmutzig zu machen“. |
Die aktuelle gesetzliche Lage wird dazu führen, dass man in der medizinischen, psychologischen, therapeutischen Beratung oder in der seelsorglichen Begleitung immer wieder Menschen mit Sterbewünschen begegnet. Diese können sehr verschieden ausgeprägt und sehr verschieden stabil sein. Oft gibt es nur das Bedürfnis, über solche Wünsche zu reden oder allgemein über die Möglichkeiten informiert zu werden. Es stellt sich die Frage, wie konkret mit solchen Situationen umzugehen ist.
| BEGRÜNDUNG |
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Allgemein sollte es von Seiten der Kirche Angebote eines ergebnisoffenen Gesprächs geben, damit sich Menschen auf der Suche nach einem ehrlichen Gespräch überhaupt in kirchliche Einrichtungen begeben. In diesen sollte vor allem zugehört werden. Nicht schnelle Antworten sind die Lösung, sondern Einfühlsamkeit und Verständnis. Eine ehrliche und lebensnahe Seelsorge darf nicht schon Antworten haben, bevor das Gespräch überhaupt beginnt. In solchen Gesprächen können sich jedoch schwierige Situationen ergeben. Wenn eine Person, die assistierten Suizid in Anspruch nehmen möchte, dafür einen wie auch immer gearteten Beistand ausdrücklich wünscht, bringt sie die christliche Seelsorgerin oder den christlichen Seelsorger in ein ethisches Dilemma. Zu beachten ist dabei jedoch, dass es, was eine Mitwirkung am assistierten Suizid betrifft, eine sehr verschiedene Nähe bzw. Direktheit gibt, Sie reicht von dem, was gesetzlich „Beihilfe“ bedeutet (Besorgen und Verabreichen des Präparates) bis hin zu einer bloßen Anwesenheit der Seelsorgerin während des assistierten Suizids. Das Dokument Samaritanus Bonus hält auch letztere um eines klaren Zeugnisses willen für nicht vertretbar. Während unmittelbarere Formen der Mitwirkung ausgeschlossen sind, kann es sein, dass Seelorgerinnen und Seelsorger sich im Gewissen verpflichtet fühlen, auch während des assistierten Suizids anwesend zu sein und dies im Sinn der Epikie für vertretbar halten. Seelsorgerinnen und Seelsorger, die in solchen Situationen eine individuelle und reflektierte Gewissensentscheidung treffen müssen, sind dabei zu unterstützen. Falls sie sich dann zu einem Bleiben entscheiden, ist dies als eine Möglichkeit, die bedingungslose Zuwendung Gottes zu jedem Menschen in jeder Situation sichtbar und erfahrbar zu machen, zu respektieren. Die Intention ihres Tuns richtet sich dann nicht auf die Unterstützung des Suizids, sondern auf die Person, die immer mehr ist als ihre konkrete Entscheidung, Seelsorgliche Begleitung in diesem Sinn darf aber nicht in direkte Suizid-Assistenz übergehen. Beratung ist immer ergebnisoffen, Begleitung immer bedingungslos. Daher sehen wir hier die Möglichkeit, durch respektvolle Nähe und unseren wertschätzenden Lebensbezug eine Perspektive einzubringen, die – vielleicht auch nur vereinzelt – ein Überdenken der getroffenen Suizidentscheidung möglich macht. |
| ERLÄUTERUNG |
| Die eben erläuterte Positionierung misst dem individuellen Gewissen von Seelsorginnen und Seelsorgern einen hohen Stellenwert bei. Sie nimmt diese primär nicht in ihrer Funktion als Mitglieder einer Institution (eines Krankenhauses oder Pflegeheimes) in den Blick, das eigene Richtlinien erlassen kann, sondern als individuelle Menschen und getaufte Mitglieder des Volkes Gottes. In diesem Zusammenhang ist an die Ausführungen von Gaudium et Spes 16 über die Würde des Gewissens und seine grundsätzliche Fähigkeit zu erinnern, das Gesetz Gottes, das im Liebesgebot zusammengefasst ist, zu erkennen. (vgl. Mt. 22, 37-40; Gal. 5, 14; siehe auch KKK 1777) Zu erinnern ist auch daran, dass der Mensch nach kirchlicher Lehre seinem sicheren Gewissensurteil immer Folge zu leisten hat (KKK 1790) und „nicht daran gehindert“ werden sollte, „gemäß seinem Gewissen zu handeln“ (KKK 1783 unter Berufung auf DH3). Jedoch ist das Gewissen des Menschen zugleich fehlbar und muss so ständig geformt werden. Es braucht die Bereitschaft, immer wieder neu nach dem „Richtigen und Guten“ zu suchen (KKK 1788) und immer wieder die Anstrengung, die „Zeichen der Zeit“ im Licht des Heiligen Geistes richtig zu deuten (ebd.). Vor dem Hintergrund des Kirchenbildes des Zweiten Vatikanischen Konzils bedarf es der Bereitschaft zu kommunikativer Auseinandersetzung über diese Fragen in der Kirche selbst mit besonderer Berücksichtigung der kirchlichen Lehre und Autorität (KKK 1783). |
| SAMARITANUS BONUS KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE (14.7.2020) |
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Die pastorale Unterscheidung gegenüber denen, die um Euthanasie oder assistierten Suizid bitten:
Diese Position der Kirche ist kein Zeichen für Mangel an Annahmebereitschaft gegenüber dem Kranken. Diese muss tatsächlich mit dem Angebot von immer möglicher Hilfe und Zuhören verbunden sein, die immer gewährt werden, zusammen mit einer vertieften Erklärung des Inhalts des Sakramentes, um der Person bis zum letzten Moment die Möglichkeit zu geben, um es wählen und verlangen zu können. In der Tat achtet die Kirche darauf, hinreichende Zeichen der Bekehrung zu prüfen, damit die Gläubigen vernünftigerweise um den Empfang der Sakramente bitten können. Man achte darauf, dass der Aufschub der Lossprechung auch ein heilender Akt der Kirche ist, der nicht darauf abzielt, den Sünder zu verurteilen, sondern ihn zu bewegen und zur Umkehr zu begleiten. Deshalb, selbst wenn sich eine Person nicht in objektiven Bedingungen für den Empfang der Sakramente befindet, ist eine Nähe erforderlich, die immer zur Umkehr einlädt. Insbesondere, wenn die angeforderte oder akzeptierte Euthanasie nicht in kurzer Zeit durchgeführt wird. Es besteht dann die Möglichkeit einer Begleitung, um die Hoffnung wiederbeleben und die falsche Entscheidung ändern zu lassen, so dass der Zugang zu den Sakramenten für den Kranken eröffnet wird. Es ist jedoch seitens derer, die diese Kranken spirituell begleiten, keine externe Geste zulässig, die als Zustimmung zur Handlung der Euthanasie interpretiert werden könnte, wie zum Beispiel zum Zeitpunkt ihrer Durchführung anwesend zu bleiben. Diese Anwesenheit kann nur als Mitwirkung interpretiert werden. Dieses Prinzip betrifft auf besondere Weise, aber nicht nur, die Krankenhausseelsorger der Einrichtungen, in denen die Euthanasie praktiziert werden kann. Diese Seelsorger dürfen keinen Anstoß geben, indem sie sich in irgendeiner Weise an der Beseitigung eines menschlichen Lebens mitwirkend zeigen. |
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THEOLOGISCHE GRUNDLAGEN: II. VATIKANISCHES KONZIL, PASTORALE KONSTITUTION ÜBER DIE KIRCHE IN DER WELT VON HEUTE |
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Der Wesensstand des Menschen:
Die Würde des sittlichen Gewissens:
Die hohe Bedeutung der Freiheit: |
| KATECHISMUS DER KATHOLISCHEN KIRCHE |
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Über die Erschaffung des Menschen als leibliches und beseeltes Wesen heißt es im KKK :
Das menschliche Leben ist heilig und ein Geschenk Gottes: |
Das Verbot der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ (§ 78 StGB, 2. Tatbestand) wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 11.12.2020 als verfassungswidrig aufgehoben. Ab 1.1.2022 ist daher die Hilfeleistung zum Suizid grundsätzlich erlaubt. Weiterhin verboten ist das Verleiten zum Suizid (§ 78 StGB, 1 Tatbestand) und die Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB).
Dem Gesetzgebar ist es gestattet, Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch zu erlassen. Weiterhin in Kraft bleiben alle anderen bis dahin geltenden gesetzlichen Regelungen zu Lebensende. Zu diesen zählen folgende Bestimmungen:
Gesetzestext (ris.bka.gv.at)
In seinem Urteil vom 11.12.2020 hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Verbot der Suizidbeihilfe (gem. § 78 StGB) mit Ablauf des 31.12.2021 als verfassungswidrig aufgehoben. Das umfassende Verbot der Suizidbeihilfe widerspreche dem Selbstbestimmungsrecht, argumentierte der VfGH. Das Verbot der Tötung auf Verlangen (gem. § 77 StGB) wurde nicht aufgehoben. Das Gericht gab dem Gesetzgeber die Möglichkeit Rahmenbedingungen für Suizidbeihilfe zu schaffen. Das entsprechende Gesetz mit dem Titel Sterbeverfügungsgesetz trat mit 1.1.2022 in Kraft.
Wann darf straffrei Suizidassistenz geleistet werden? |
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Variante 1 mittels der tödlichen Dosis eines Präparats aus der Apotheke:
Voraussetzungen der sterbewilligen Person (gem. § 6 StVfG)
Feststellung der Selbstbestimmung und Aufklärung/Beratung (gem. § 7 StVfG)
Errichtung der Sterbeverfügung (gem. § 8 StVfG)
Abgabe der tödlichen Dosis des Präparats durch die Apotheke (gem. § 11 StVfG)
Variante 2 Suizidassistenz auf andere Weise als durch das Präparat aus der Apotheke
Voraussetzungen der sterbewilligen Person (gem. § 6 StVfG)
Feststellung der Selbstbestimmung und Aufklärung/Beratung (gem. § 7 StVfG)
Erfüllt die Person die Voraussetzungen und hat eine entsprechende Beratung stattgefunden, ist Suizidassistenz bei anderen Formen des Suizids auch ohne Errichtung der Sterbeverfügung straffrei (gem. § 78 Abs. 2 3. Satz StGB). |
Wie lange behält eine Sterbeverfügung ihre Gültigkeit? |
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Die Sterbeverfügung verliert ihre Gültigkeit, wenn sie die sterbewillige Person widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll, sowie nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Errichtung. |
Wie ist die Gewissensfreiheit im Sterbeverfügungsgesetz geschützt? |
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In welchen Fällen ist Beihilfe zum Suizid weiterhin strafbar? (§78 StGB) |
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Assistenz zum Leben geben > Lebenshilfe statt Tötungshilfe
Zum Kern des christlichen Glaubens gehört die Überzeugung, dass Gott alle Menschen dazu geschaffen hat, ihr Leben und die Welt in Freiheit, Verantwortung und Liebe zu gestalten und so zu einem erfüllten Dasein zu finden, das sie in allen seinen Phasen bejahen können. Am Ende des Lebens, so unser Glaube, kehren wir Menschen zu Gott, unserem Ursprung, zurück: In die Liebe, aus der wir kommen. Aus diesem Vertrauen heraus verpflichten wir uns zu einem umfassenden Schutz des Lebens
In ihrer Erklärung zum „Tag des Lebens 2021“ benennen die katholischen Bischöfe Österreichs die entscheidenden Perspektiven im Umgang mit der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes:
„Im Wesentlichen geht es darum, menschliche Nähe zu schenken, Schmerzen zu lindern und eine tatsächliche Autonomie zu gewährleisten. Wir müssen Einsamkeit bekämpfen und auch An- und Zugehörige in dieser herausfordernden Situation entlasten. Es geht darum, Todeswünsche ernst zu nehmen und trotzdem innerhalb schwieriger Umstände ein Mindestmaß an Lebens-Zuversicht zu vermitteln. All das ist Teil einer notwendigen Begleitung für ein tatsächlich „menschenwürdiges Sterben“.
Wir begegnen Suizidwilligen mit Achtung und nehmen den Wunsch nach einem assistierten Suizid ernst. Menschen, die sich uns anvertraut haben, können auch diesen Wunsch ohne Angst äußern.
Wir hören diese Wunschäußerung als einen Ruf nach Zuwendung, Klärung oder Entlastung und suchen gemeinsam mit dem Suizidwilligen nach hilfreichen Lösungswegen.
Leistbarer und flächendeckender Zugang zu einem breit gefächerten Angebot in der Beratung, Begleitung, Seelsorge, Hospiz- und Palliativversorgung sind die beste Antwort auf Wünsche zur frühzeitigen Beendigung des Lebens und stellt somit ein wichtiges Angebot der Suizidprävention dar.
Samaritanus bonus: Die theologische Grundlage aus Rom
Assistenz zum Leben geben > Lebenshilfe statt Tötungshilfe
Zum Kern des christlichen Glaubens gehört die Überzeugung, dass Gott alle Menschen dazu geschaffen hat, ihr Leben und die Welt in Freiheit, Verantwortung und Liebe zu gestalten und so zu einem erfüllten Dasein zu finden, das sie in allen seinen Phasen bejahen können. Am Ende des Lebens, so unser Glaube, kehren wir Menschen zu Gott, unserem Ursprung, zurück: In die Liebe, aus der wir kommen. Aus diesem Vertrauen heraus verpflichten wir uns zu einem umfassenden Schutz des Lebens
In ihrer Erklärung zum „Tag des Lebens 2021“ benennen die katholischen Bischöfe Österreichs die entscheidenden Perspektiven im Umgang mit der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes:
„Im Wesentlichen geht es darum, menschliche Nähe zu schenken, Schmerzen zu lindern und eine tatsächliche Autonomie zu gewährleisten. Wir müssen Einsamkeit bekämpfen und auch An- und Zugehörige in dieser herausfordernden Situation entlasten. Es geht darum, Todeswünsche ernst zu nehmen und trotzdem innerhalb schwieriger Umstände ein Mindestmaß an Lebens-Zuversicht zu vermitteln. All das ist Teil einer notwendigen Begleitung für ein tatsächlich „menschenwürdiges Sterben“.
Wir begegnen Suizidwilligen mit Achtung und nehmen den Wunsch nach einem assistierten Suizid ernst. Menschen, die sich uns anvertraut haben, können auch diesen Wunsch ohne Angst äußern.
Wir hören diese Wunschäußerung als einen Ruf nach Zuwendung, Klärung oder Entlastung und suchen gemeinsam mit dem Suizidwilligen nach hilfreichen Lösungswegen.
Leistbarer und flächendeckender Zugang zu einem breit gefächerten Angebot in der Beratung, Begleitung, Seelsorge, Hospiz- und Palliativversorgung sind die beste Antwort auf Wünsche zur frühzeitigen Beendigung des Lebens und stellt somit ein wichtiges Angebot der Suizidprävention dar.
Samaritanus bonus: Die theologische Grundlage aus Rom
Nachstehend finden Sie zentrale Begriffe rund um das Thema.
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Sterbeverfügung |
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In Analogie zur Patientenverfügung besteht die Möglichkeit, bei Notar*innen oder bei der Patientenanwaltschaft eine sogenannte Sterbeverfügung zu erstellen, in der eine sterbewillige Person ihren dauerhaften, freien und selbstbestimmten Entschluss festhält, ihr Leben zu beenden. Voraussetzungen dafür sind Volljährigkeit und Entscheidungsfähigkeit, sowie eine Beratung durch zwei unabhängige Ärzt*innen. Eine(r) dieser Ärzte bzw. Ärztinnen muss über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen. Die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person muss ärztlich bestätigt werden. Bestehen bei einem bzw. einer der beratenden Ärzt*innen Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit der Person, muss eine psychiatrische oder psychologische Expertise eingeholt werden. Eine Sterbeverfügung kann nur eine Person errichten, die an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen; wobei die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt. Eine Sterbeverfügung kann wirksam frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung (§ 7) errichtet werden. Hat eine ärztliche Person bestätigt, dass die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Erkrankung leidet und in die terminale Phase eingetreten ist, so ist eine Errichtung bereits nach zwei Wochen zulässig. Die Sterbeverfügung verliert ihre Wirksamkeit, wenn sie die sterbewillige Person widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll, sowie nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Errichtung. Mit einer aufrechten Sterbeverfügung sind sterbewillige Personen, die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, berechtigt, ein letales Präparat (Natrium-Pentobarbital, Nembutal®) über eine Apotheke zu beziehen. Das Mittel muss selbstständig oral zugeführt werden. Ist dies z.B. aufgrund von Schluckproblemen nicht möglich, ist auch eine andere Verabreichung, etwa über eine Sonde erlaubt. Allerdings muss in diesem Fall die sterbewillige Person selbst diese Sonde auslösen. |
Suizidalität |
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Im WHO Report zur Suizidprävention werden suizidales Verhalten mit Suizidgedanken, Suizidplänen und Suizidversuchen sowie der vollendete Suizid unterschieden. Unter Suizidgedanken werden alle Gedanken daran verstanden, sich das Leben zu nehmen. Suizidale Gedanken sind nicht stabil, sondern in der Intensität zeitlich schwankend.
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Ursachen |
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Das Suizidrisiko ist bei allen psychischen Erkrankungen erhöht (Psychosen, Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und Depressionen). Der Anteil psychiatrischer Erkrankungen an Suiziden ist schwer einzuschätzen, in den publizierten Studien schwankt der Anteil der als depressiv eingeschätzten Menschen zwischen 15% bis 95% der Suizide.
Darüber hinaus gibt es ein breites Spektrum an Risikofaktoren, die zu suizidalem Verhalten beitragen: systemische, gesellschaftliche, kommunale, beziehungsbezogene bis zu individuellen Risikofaktoren (z.B. psychische und körperliche Erkrankungen, Sucht, Trennungen und Verluste, Suizide im näheren Umfeld). Belastende und traumatisierende Ereignisse oder sogar die Angst vor solchen Ereignissen können Suizidgedanken und/oder suizidale Handlungen auslösen. Auch die Darstellung von prominenten Suiziden oder besonderen Suizidmethoden in den Medien kann weitere (nachahmende) Suizide zur Folge haben.
Für Suizide von alten Menschen (Alterssuizide) und Menschen mit schweren Erkrankungen wurde der Begriff des Bilanzsuizides geprägt, nach dem Menschen für sich eine negative Bilanz ihrer Lebenssituation ziehen und damit den Entschluss zum Suizid begründen. Dieser Begriff ist sehr umstritten, von einigen Experten der Suizidprävention wird das Konzept des Bilanzsuizids abgelehnt, denn der Vorgang des Bilanzierens beschreibt hier nicht immer eine adäquat abgewogene und wohl begründete Entscheidungsbasis. Ursachen für Suizide bei älteren Menschen können u.a. Verlust von Lebenssinn, Gefühl von Wertlosigkeit, eigene Gebrechlichkeit, Demoralisierung und das Gefühl, nur eine Last zu sein bzw. lediglich Kosten zu verursachen, sein. Bei Menschen mit einer (fortgeschritten) lebenslimitierenden Erkrankung finden sich akute Belastungen durch nicht erträgliche Symptome sowie eine Reihe von Ängsten als Ursachen: Angst vor Autonomie- und Kontrollverlust, Angst anderen zur Last zu fallen, Angst vor Würdeverlust und Angst vor unerträglichem Leid. |
Suizidprävention |
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Nicht jeder Mensch, der einen Sterbewunsch, welcher Art und Intensität auch immer, äußert oder anders signalisiert, will auch wirklich sterben.
Es gibt ganz unterschiedliche Arten und Ausprägungen von Todeswünschen, Suizidwünschen oder Sterbewünschen, mit unterschiedlichem Handlungsdruck und verschiedenen Funktionen. Suizidgefährdung kann minimiert werden, wenn Betroffene sich auf eine Behandlung/Unterstützung einlassen.
Nicht immer können Suizidgefährdete dazu bewegt werden, dass sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Diese Hilfe kann ambulant oder stationär erfolgen, mit psychotherapeutischen Gesprächen und pharmakologischer Behandlung.
Suizidprävention umfasst aber mehr als die Hilfe im Einzelfall. Das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) versteht Suizidprävention als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als eines der wirksamsten Mittel wird die Einschränkung der Verfügbarkeit von Suizidmethoden (z.B. Waffen, Medikamente, Chemikalien, Absicherung von Bauwerken) beschrieben. Ebenso wichtig sind niedrigschwellige Behandlungsangebote, Fortbildungen in den medizinischen und psychosozialen Berufen, Früherkennung von psychischen Erkrankungen, die Beobachtung/Beschränkung von “Suizidforen” (z.B. in sozialen Medien) und nicht zuletzt ein gesellschaftliches Klima, in welchem die Suizidproblematik wahr- und ernst genommen wird.
Durch die Förderung von Teilhabe älterer Menschen am sozialen Leben kann das Gefühl der Sinn- und Nutzlosigkeit minimiert werden. |