„Am Ende der Tage wird es geschehen“, heißt es heute in der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja. (Jesaja von Raffael in Sant'Agostino in Campo Marzio)
„Am Ende der Tage wird es geschehen“, heißt es heute in der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja. (Jesaja von Raffael in Sant'Agostino in Campo Marzio)
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag, den 30. November 2025
Heute ist der erste Adventsonntag. Die erste Kerze am Adventkranz brennt. Morgen, am 1. Dezember, kann am Adventkalender das erste der 24 Fenster geöffnet werden. Alles ist auf den 24. Dezember ausgerichtet, den Heiligen Abend, auf Weihnachten. Der Advent bereitet vor auf Weihnachten. Mit dem Heiligen Abend schließen schlagartig alle Adventmärkte. Der Zauber des Advents ist vorbei. Was wird dann bei uns angekommen sein? Denn Advent heißt Ankunft.
Um eine dreifache Ankunft dreht sich alles im Advent. Alle drei „Ankünfte“ haben mit dem Warten und Wachen zu tun. „Am Ende der Tage wird es geschehen“, heißt es heute in der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja. Bis heute wartet das jüdische Volk auf diesen Tag am Ende der Tage: die Ankunft des Messias, den die Propheten verkündet haben. Ist es ein Warten ohne Ende, ein Warten auf einen, dessen Kommen seit vielen Jahrhunderten auf sich warten lässt? Auch Jesus hat von diesem Warten gesprochen und uns alle im Ungewissen gelassen, wann es jemals ein Ende haben wird: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.“ Wie ein Dieb in der Nacht wird der Herr kommen, „zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet“. Ist das Angstmacherei mit dem Ende der Welt? Apokalyptisches Ausmalen des Weltuntergangs? Daran mangelt es ja heute nicht: Klimakatastrophe, Atomkrieg, Zukunftsszenarien dunkelster Art.
Jedes Jahr wundere ich mich, warum der erste Adventsonntag ganz unter dem Zeichen des Schreckens vor der Zukunft steht. Was für eine Frohbotschaft ist das? „Wie die Menschen in jenen Tagen vor der Flut (gemeint ist die Sintflut) aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen … und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein.“ Vielleicht beginnt die Kirche den Advent mit einem Wachrütteln, weil gerade das vorweihnachtliche Treiben unserer Adventsmärkte und Punschstände eine Sorglosigkeit vortäuscht, die eigentlich nicht angebracht ist.
Im Vordergrund des Advents steht für die meisten Menschen nicht die letzte Ankunft, die der Wiederkunft Christi am Ende der Tage. Es geht um sein erstes Kommen, um Weihnachten, um die Geburt Jesu in Bethlehem. Daher die Krippen, die die Geburtsgrotte, den Stall darstellen, in dem Jesus als Kind zur Welt kam. Wie stehen diese beiden Bedeutungen zueinander, die erste und die letzte Ankunft Jesu? Im Weihnachtsevangelium geht es auch um das Wachen und Warten. Hirten wachen bei ihren Herden, auf einem Feld nahe bei Bethlehem. Ihnen wird vom Engel gesagt, dass eine große Überraschung auf sie wartet: Ein Kind ist geboren, das der Retter sein wird, den die Propheten verheißen haben. Die Hirten finden das Neugeborene in einer Futterkrippe im Stall. Nicht alle, die auf die Adventsmärkte gehen, denken an dieses Kind, das damals geboren wurde. Aber eines ist gewiss: Die Ankunft Jesu als kleines Kind in großer Armut ist der Grund, warum es überhaupt Advents- und Weihnachtsmärkte gibt. Alle, die in dieser Adventszeit an das Christuskind denken, erfahren selber etwas von seiner Ankunft, nicht in einer fernen Vergangenheit, auch nicht in einer bedrohlichen Zukunft, sondern hier und heute. Advent heißt Ankunft. Sie betrifft und berührt uns, mich persönlich. Wo Jesus ankommt, da schwindet die Angst vor der Zukunft, da heilen die Wunden der Vergangenheit, da kommen Licht und Leben in die Gegenwart.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wie es in den Tagen des Noach war, so wird die Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in jenen Tagen vor der Flut aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, die an derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt dies: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.