Der Tagesrückblick ist für viele Christen wie eine tägliche Schatzsuche. Dabei geht es darum, sich bewusst vor Gott zu stellen und den Tag Revue passieren zu lassen.
Der Tagesrückblick ist für viele Christen wie eine tägliche Schatzsuche. Dabei geht es darum, sich bewusst vor Gott zu stellen und den Tag Revue passieren zu lassen.
Der Tagesrückblick: Für den heiligen Ignatius von Loyola ist es die ‚wichtigste Viertelstunde des Tages‘. Für die Wienerin Maria Hoyer eine gute Möglichkeit, Gottes Hilfe zu entdecken.
Für Maria Hoyer gleicht der abendliche Tagesrückblick einer Schatzsuche. Wenn sich die 64-jährige Volksschullehrerin hinsetzt und gedanklich den vergangenen Tag durchgeht, fällt ihr auf, wie viel Schönes sie erlebt hat. „Während des Tages ist oft das Bedrückende im Vordergrund. Am Abend merke ich dann, was alles gut gegangen ist. Wo ich Gottes Hand gespürt habe, wo er mir eine Idee geschenkt hat.“
Ist sie mit Angst oder Anspannung in den Tag gestartet, stellt sie am Abend häufig fest, dass sich vieles zum Guten gewendet hat. „Ich spüre eine große Dankbarkeit und Geborgenheit, und sehe in vielem die Hilfe Gottes.“ Ohne die zehn Minuten am Ende des Tages würde sie all diese Schätze wohl nicht heben, meint Maria, die Pfarrgemeinderätin in St. Severin im 18. Bezirk ist. „Das wäre sonst untergegangen.“
Tagesrückblick, Tagesauswertung oder Gebet der liebenden Aufmerksamkeit: Wie auch immer man diese Zeit nennt, in der das Vergangene betrachtet und vor Gott gebracht wird, für den heiligen Ignatius von Loyola ist es die ‚wichtigste Viertelstunde des Tages‘.
Auch im Leben von Schwester Maria Schütz von der Kongregation der Helferinnen ist der Tagesrückblick ein „sehr wichtiges Element“. Weil ihre Ordensgemeinschaft aus der ignatianischen Spiritualität lebt, hat dieses Gebet seit jeher einen fixen Platz in ihrem Leben. „Dieses bewusste mich vor Gott Stellen und auf den Tag zu schauen, ist sehr wertvoll für mich. Und es muss auch nicht so lange sein.“
In seiner Urform besteht der Tagesrückblick aus fünf Schritten und findet abends statt. Man könne ihn aber an die persönliche Situation anpassen. „Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit ist auch in der Früh möglich als Vorausschau oder man hält zum Beispiel zu Mittag inne.“
Wichtig sei, es sich vorzunehmen und Zeit und Raum zu schaffen. „Das kann auch am Heimweg sein, wenn man jeden Abend bei einer Kirche vorbeigeht und sich zehn Minuten hineinsetzt. Manche nutzen Pausen dazu. Als ich Beratungslehrerin in der Schule war, habe ich oft die Zeit zwischen zwei Gesprächen dafür verwendet“, erklärt Schwester Maria.
Der Tagesrückblick sei weder eine Analyse noch eine Bewertung des Erlebten, im Gegenteil. „Es ist ein Weg der inneren Freiheit, bei dem man durch das Anschauen des eigenen Lebens Gott auf die Spur kommt“, sagt Schwester Maria. Im Rückblick erkenne man, wo Gott wirkt und in welche Richtung er führt. „Ich werde mir bewusst, dass Gott in meinem Leben präsent ist. Und ich sehe mein Leben als Heilsgeschichte.
Gott will durch die erlebten Dinge mein Heil wirken.“ Indem man sich jeden Tag Zeit dafür nimmt, bekomme man einen Blick für das Wirken Gottes im eigenen Leben. „Manchmal hat man das Gefühl, nicht mehr ich lebe, sondern ich werde gelebt. Man verliert das, was man eigentlich leben will. Da kann der Tagesrückblick sehr hilfreich sein.“
Für Maria Hoyer aus Wien-Währing gehört der Tagesrückblick mittlerweile fix zur abendlichen Routine. Ihr fällt auf, dass sie dadurch mit mehr Vertrauen in den Tag geht. „Wenn ich abends merke, dass ein schwieriger Tag gut gegangen ist, bin ich zuversichtlich, dass Gott auch das nächste Mal helfen wird.“
Außerdem erlebt Maria: „Mein Blick auf die anderen ändert sich. Wenn es mit einem Kind in der Schule schwierig ist, nehme ich das Kind auf einmal anders wahr. Und ich bitte Gott, dass ich gut mit dem Kind gut umgehen kann.“
Der Tagesrückblick
Ein liebevoller Blick auf mein Leben in fünf Schritten
Der Tagesrückblick kann auf unterschiedliche Weise gestaltet werden. Ursprünglich besteht er aus fünf Schritten:
1 Ich stelle mich in die Gegenwart Gottes und unter seinen liebenden Blick. Ich mache mir bewusst, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Ich bin mit allen Sinnen da, mit Leib und Seele, und spüre nach, wie es mir gerade geht. Bin ich müde? Aufmerksam?
2 Ich lasse die Sehnsucht nach einem klaren Blick in mir aufsteigen, damit ich mein Leben anschauen kann, wie es ist. Dieser Blick ist liebevoll. Er urteilt und bewertet nicht. Schwester Maria Schütz: „Manchmal gehört auch ein bisschen Mut dazu, damit ich nicht nur sehe, was mir Freude macht.“
3 Ich schaue konkret auf meinen Tag und stelle die Wirklichkeit in den liebevollen Blick Gottes. „Dabei kann ich den Tag wie einen Film an mir vorbeiziehen lassen, manche beten auch mit ihrem Terminkalender. Oder ich lasse wie aus einem Nebel all das aufsteigen, was kommen will“, erklärt Schwester Maria.
4 Ich trete einen Schritt zurück, werde offen für den Heiligen Geist und frage mich: Wo spüre ich, dass Gott am Werk ist? Wo erlebe ich Hoffnungslosigkeit? Wo braucht es Versöhnung und Heilung? Wofür bin ich dankbar?
5 Ich werfe einen vertrauensvollen Blick in die Zukunft. Ich überlasse alles, was kommt, Gott und bitte um die Kraft zu tun, was wichtig ist.
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