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17.10.2024 · Glaube

Thomas Söding: Die Arbeit der Theologen beginnt mit Ende der Synode

 

Ein Gespräch mit dem Theologen Thomas Söding - Synodenblog von Georg Schimmerl

Dem renommierten deutschen Neutestamentler Thomas Söding bin ich schon im vergangenen Jahr immer wieder begegnet. Er ist ein erprobter Synodaler. Auch an früheren Synoden hat er als Fachmann (Peritus) teilgenommen. Schließlich war er auch unter Papst Benedikt im XVI jahrelang Mitglied der internationalen Theologischen Kommission, die den Papst und die Glaubenskongregation in theologischen Fragen berät. Darüber hinaus engagiert es sich im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und im deutschen Synodalen Prozess.

 

Über Smalltalk waren wir bisher nie hinausgekommen. Gestern abends nach der gemeinsamen Messe der Synodalen im Petersdom haben sich unsere Wege wieder gekreuzt und aus dem freundlichen Plaudern wurde ein längeres Gespräch und dann ein spontanes Interview.

 

Sie sind eng mit dem synodalen Prozess und dem Vatikan verbunden. Welche Rolle spielen Sie hier, und konnten Sie Ihre Intentionen einbringen?

 

Thomas Söding: Meine Rolle hier ist es, als Theologe den synodalen Prozess zu unterstützen, indem ich zuhöre, reflektiere und die wesentlichen Inhalte aufbereite, die am Ende als Grundlage für die Abstimmungen dienen. Ich bin kein stimmberechtigtes Mitglied, aber ich bringe viel Erfahrung vom deutschen synodalen Weg mit, der ja bereits früher begonnen hat. Der Prozess in Deutschland hat einen etwas anderen Fokus und ist in mancher Hinsicht schon weiter fortgeschritten. Ziel meiner Arbeit hier ist es, zu zeigen, dass der globale synodale Prozess und der deutsche Weg keine Gegensätze darstellen. Stattdessen ergänzen sie sich, indem sie verschiedene Perspektiven und Herausforderungen integrieren. Der weltweite synodale Weg kann von den spezifischen Erfahrungen in Deutschland profitieren und umgekehrt. Durch diesen gegenseitigen Austausch entsteht ein differenzierter Gesamtprozess, der auf verschiedene Regionen und Kulturen zugeschnitten ist und damit auch besser auf die Bedürfnisse der Weltkirche eingeht.

 

Es gibt die Kritik, dass Theologen zu wenig Gehör finden. Sehen Sie das auch so?

 

Thomas Söding: Ich denke, dass die Synode in der Tat mehr theologischen Raum braucht. Der synodale Prozess hat zwar ein Bewusstsein für die Notwendigkeit theologischer Reflexion, aber in der Praxis sind wir noch nicht ganz dort angekommen. Die Theologie ist unverzichtbar für Synodalität, da sie die tiefere Verankerung in der kirchlichen Verfassung und in den Lehren der Kirche gewährleistet. Synodalität ist nicht nur eine organisatorische Methode, sondern auch eine Frage der Kirchenverfassung, die fundiertes theologisches Denken und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Tradition und dem Kirchenrecht verlangt. Es geht darum, Entscheidungen nicht nur auf Grundlage aktueller Meinungen zu treffen, sondern sie in die reiche Tradition der Kirche einzubetten. Das braucht Zeit und Raum, um sich zu entfalten. In der gegenwärtigen Synode fehlt es noch an dieser kritischen Analyse und an einer tieferen öffentlichen Diskussion der theologischen Grundlagen. Wenn die Theologie hier stärker eingebunden wird, kann der synodale Prozess auf einer soliden Basis ruhen und echte Veränderungen ermöglichen.

 

Was genau müsste Ihrer Meinung nach stärker betont werden?

 

Thomas Söding: Für einen wirklich synodalen Prozess müssen wir uns auf die Schrift, die Tradition und das Kirchenrecht stützen. Diese Quellen sind nicht einfach Nebensache, sondern sie bilden das Fundament der Kirche und müssen daher in jede Diskussion einbezogen werden. Es reicht nicht aus, spontane Entscheidungen zu treffen; es braucht eine gründliche theologische Reflexion, um sicherzustellen, dass wir in Einklang mit den Wurzeln unseres Glaubens stehen. Die Herausforderung besteht darin, dass Synodalität nicht etwas ist, das man von heute auf morgen entwickelt. Es braucht tiefergehende Vorbereitungen und einen festen Platz für die Theologie, damit dieser Prozess nicht nur kommunikativ, sondern auch substantiell ist. Eine der Stärken der katholischen Kirche ist ihre Fähigkeit, sich ständig neu zu orientieren, ohne die eigene Identität zu verlieren. Das funktioniert jedoch nur, wenn wir uns auf diese Quellen stützen und bereit sind, neu zu denken. Hier muss die Theologie als Brücke zwischen Tradition und Moderne dienen.

 

Papst Franziskus spricht oft vom „Spürsinn des Gottesvolkes“. Wie verstehen Sie das?

 

Thomas Söding: Der „Spürsinn“ des Gottesvolkes beschreibt die intuitive Weisheit der Gläubigen. Das bedeutet, dass die Gläubigen nicht nur die Lehren der Kirche passiv annehmen, sondern durch ihr tägliches Leben und ihren Glauben selbst wahrnehmen, was für die Kirche wichtig ist und wie sich der Glaube weiterentwickeln kann. Diese intuitive Einsicht ist entscheidend, weil sie der Kirche zeigt, was die Menschen tatsächlich bewegt. In der Internationalen Theologenkommission haben wir uns intensiv mit dem Thema „Sensus Fidei“, also dem Glaubenssinn des Gottesvolkes, beschäftigt. Es geht dabei nicht nur um eine Mehrheit, sondern um eine Art gemeinsames Gefühl für das, was der Glauben lehrt und was es bedeutet, als Kirche zu leben. Papst Franziskus greift diesen Gedanken auf und fordert uns heraus, Strukturen zu schaffen, in denen dieser Spürsinn zum Ausdruck kommen kann. Es geht nicht nur darum, Zustimmung zu sammeln, sondern auch die Fragen und Anliegen der Gläubigen ernst zu nehmen und ihnen Raum zu geben, sich zu artikulieren. Das fehlt der Kirche an vielen Stellen, und die Synode ist eine Gelegenheit, dies zu ändern.

 

Gibt es Fortschritte auf diesem Weg?

 

Thomas Söding: Ja, vor allem in Mitteleuropa, wo verpflichtende Pastoralräte schon gut etabliert sind. Diese Strukturen sind ein Schritt in die richtige Richtung, weil sie den Gläubigen nicht nur ein Forum bieten, um ihre Anliegen zu besprechen, sondern auch eine echte Beteiligung an Entscheidungen ermöglichen. Das sind keine rein beratenden Gremien; sie bieten die Möglichkeit für gemeinschaftliche Entscheidungsfindung. In Deutschland haben wir viele solcher Pastoralräte, und sie sind eine wichtige Plattform, um die Gläubigen direkt einzubeziehen. Global ist das allerdings noch nicht überall der Fall. Die Förderung solcher Gremien wäre ein wichtiger Schritt, um die Stimme des Volkes stärker zu berücksichtigen und die Kirche in ihrer Vielfalt zu stärken. Es geht darum, Formen zu schaffen, in denen nicht nur beraten, sondern auch wirklich entschieden werden kann. Das kann die Kirche weltweit bereichern und helfen, auf die jeweiligen Kontexte besser einzugehen.

 

Manche gehen davon aus, dass der synodale Weg unumkehrbar ist, wie sehen Sie das?

 

Thomas Söding: Synodalität ist mehr als ein zeitlich begrenztes Phänomen. Sie ist eine notwendige Reaktion auf die Herausforderungen, die die Kirche heute weltweit erlebt. Es gibt Regionen, in denen man sich den Themen Machtmissbrauch und anderen Problemen stellt, und dort ist Synodalität besonders gefragt. In diesen Kontexten hilft sie, Vertrauen aufzubauen und eine erneuerte Kirche zu schaffen. Es ist kein Allheilmittel, aber es bietet eine Struktur, die uns hilft, die Vielfalt und die Charismen der Kirche zu integrieren. Das ist besonders wichtig, da wir in einer Zeit leben, in der das Engagement und die Kompetenz in der Kirche nicht nur auf das geweihte Amt beschränkt sind. Wenn wir es schaffen, neue Formen der Kommunikation und des Zusammenlebens zu entwickeln, können wir die Herausforderungen der Zeit besser meistern und die Einheit der Kirche bewahren. Synodalität schafft die Grundlage für ein breiteres Verständnis von Kirche und stellt sicher, dass wir uns nicht in unsere eigenen Perspektiven zurückziehen, sondern gemeinsam Lösungen finden.

 

Wie erleben Sie den Dialog zwischen den verschiedenen Positionen?

 

Thomas Söding: Die Synode setzt auf einen respektvollen Dialog, und das ist ein großer Fortschritt. Es gibt hier eine beeindruckende Vielfalt kultureller und theologischer Perspektiven, und das bringt auch Spannungen mit sich. In der Vergangenheit gab es oft Misstrauen und Verdächtigungen, die eine offene Kommunikation erschwert haben. Aber durch die synodale Methode, die auf spirituelle Gespräche setzt, konnten viele dieser Barrieren überwunden werden. Eine Herausforderung bleibt, dass kulturelle Unterschiede oft theologisiert werden, was dazu führen kann, dass man sich in starren Positionen festfährt. Der synodale Prozess fördert jedoch das gegenseitige Verständnis und hilft, Brücken zu bauen. Die Kirche hat die Fähigkeit, sich im Einklang mit ihrer Tradition zu erneuern und dabei trotzdem offen für verschiedene kulturelle Kontexte zu bleiben. Der Dialog, den wir hier erleben, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, und er zeigt, dass die Kirche Wege findet, sich ständig weiterzuentwickeln, ohne ihre Wurzeln zu vergessen.

 

Ist die Synode ein Endpunkt oder eher ein Anfang?

 

Thomas Söding: Diese Synode ist definitiv ein Anfang. Viele erwarten sich vielleicht konkrete Anweisungen aus Rom, aber ich denke, es geht um viel mehr als das. Die Synode bietet eine Plattform, auf der die Kirche lernen kann, als Weltkirche zu agieren und sich gleichzeitig um lokale Perspektiven zu bemühen. Es geht darum, die Grundlagen für das zu legen, was später in den jeweiligen Ortskirchen umgesetzt werden kann, und das auf der Basis einer tiefer gehenden theologischen Reflexion. Wenn die Synode hier erfolgreich ist, wird sie es ermöglichen, dass die Kirche vor Ort eigenständige Entscheidungen treffen kann, die aber im Einklang mit der universalen Kirche stehen. Synodalität ist ein Prozess, der die Kirche als Ganzes stärken kann und dabei hilft, ein reiferes Verständnis von Kirche und Gemeinschaft zu entwickeln. Es ist ein Weg zu einer Kirche, die sich auf ihre Tradition stützt, aber auch den Mut hat, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

erstellt von: Georg Schimmerl
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