Was sie wohl gerade entdeckt hat? Einen Marienkäfer, eine Spinne? Oder fasziniert sie das Moos am Baumstamm?
Was sie wohl gerade entdeckt hat? Einen Marienkäfer, eine Spinne? Oder fasziniert sie das Moos am Baumstamm?
Kinder sehen Dinge so, wie wir sie vielleicht nie gesehen hätten, sagt P. Gustav Schörghofer, Kunstliebhaber, Kunstexperte und Pfarrer in Lainz-Speising.
Diesem Gedanken folgend starten wir im SONNTAG eine neue Serie: Die Sommerspaziergänge.
Neulich abends, bei mir daheim: Mein Sohn, der vor kurzem 9 Jahre alt geworden ist, liegt bereits im Bett, aber an Schlaf ist nicht zu denken.
Zu aufregend war der Tag, zu viele Dinge, die ihn beschäftigen, zu viel was er beobachtet hat und mir und meinem Mann noch mitteilen möchte.
Ich mag diese Momente, in denen er mit mir, in denen er mit uns, so intensiv über seine Sicht der Dinge spricht. Oft lachen wir dabei richtig viel, weil mein Sohn ein wirklich lustiger kleiner Kerl ist und einen wunderbaren Humor hat.
Oft kann ich dabei nur staunen, wie viel ein Kind – in diesem Fall mein Kind – begreift, wie viel es wahrnimmt und wie tiefgründig seine Gedanken sein können.
Nicht erst einmal, hat mich verblüfft, was ihm auffällt, was er als wichtig erachtet, wie er die Welt sieht. Etwa wenn er sagt, dass wir seiner alten, kranken und leider oft von Schmerzen geplagten Tante beim nächsten Treffen „viel mehr Lustiges erzählen“ müssen, „damit sie nicht so traurig ist“.
Oder wenn er mir erzählt, dass er sich für einen seiner Schulkollegen eingesetzt hat, weil „dass der von einem Kind aus der Paralellklasse so ungerecht behandelt wird, das halte ich einfach nicht aus!“
Natürlich geht die Verblüffung auch manchmal in die andere Richtung und fordert – aus meiner Sicht – ein Zurechtrücken seines Weltbildes: „Nein, mein Schatz, so kannst du das aber nicht sehen – stell dir doch mal vor, dir würde das passieren.“
Und oft macht mein Sohn mich in solchen Gesprächen auf Dinge aufmerksam, die ich vielleicht gar nicht gesehen hätte. Eine Erfahrung, die wohl alle teilen, die öfters mit Kindern zusammen sind. „Kinder nehmen unheimlich viel wahr, sind unheimlich wach im Geiste, viel genauer und oft auch aufmerksamer als wir Erwachsene, nehmen meist auch schon aufgrund ihrer Körpergröße Dinge anders wahr beziehungsweise andere Dinge wahr“, sagt etwa P. Gustav Schörghofer, Pfarrer in Lainz-Speising, Wien 13.
Erst vor kurzem habe er wieder etwas erlebt, was in diese Kategorie fällt. „Wir haben die Kommunionvorbereitung im vergangenen Jahr in fünf Blöcken gemacht“, erzählt er: „Jede dieser Einheiten hat in der Kirche begonnen und in der Kirche geendet – das hat bedeutet, dass die Kinder lange in der Kirche waren. Wir haben ihnen die einzelnen Elemente der Kirche gezeigt und gesagt, was wo und wieso passiert. Die Kinder haben viel gesehen und offensichtlich auch viel Zeit zum Schauen gehabt und so auch die Kirche für sich entdecken können.“
Bei der Erstkommunionsmesse habe er dann unter anderem auch über die Taufe und das Taufbecken in der Kirche gesprochen. „Ich habe die Kinder gefragt, welche Farbe die Keramikschale im Taufbecken hat“, sagt P. Schörghofer: „Und das war eine Frage, die wirklich alle beantworten konnten – und sie wussten nicht nur einfach, dass sie blau ist, sie haben auch ganz differenziert geantwortet mit ,türkis‘ und ‚meeresblau‘ und ähnlichem. Ich bin nicht sicher, ob die Erwachsenen überhaupt gewusst hätten, dass das Taufbecken innen blau ist.“
Aber nicht nur bei solchen Gelegenheiten sei die Sichtweise, sei die Aufmerksamkeit der Kinder eine Bereicherung, sagt Gustav Schörghofer. „Mir kommt vor, wir Erwachsene werden immer ernster, geradezu bedrückt. Die Unbeschwertheit der Kinder ist da eine echte Erholung.
Auf die Kirche bezogen bedeutet das natürlich oft, dass sie während der Messe herumkrabbeln, Fragen stellen, laut lachen. Das finde ich wunderbar. Gerade das Lachen ist doch so wichtig, auch in der Kirche darf laut gelacht werden.“
Ob ihn das nicht störe, wenn Kinder herumkrabbeln, vielleicht sogar herumlaufen, nicht andächtig und still in der Kirchenbank sitzen? „Um Gottes Willen nein“, lacht P. Schörghofer: „Fröhlichkeit und Lachen das hat doch auch ganz viel mit Erlösung zu tun.“ U
nd wenn es doch zu viel wird, zu unruhig während der Messe? „Dann muss man sich als Priester bemühen, die Kinder sozusagen wieder hereinzuholen, ihre Art als ,Gestaltungselement‘ in den Gottesdienst einzubauen“, sagt Gustav Schörghofer: „Das geht in den meisten Fällen gut. Wissen Sie, ich habe überhaupt die Neigung, Kinder machen zu lassen. Und die allermeisten Kinder benehmen sich ja sehr, sehr gut – laufen allein ist ja noch nicht gleich schlechtes Benehmen.“
Im Grunde sehe er es ohnehin so, dass in jedem Erwachsenen ein Kind „stecke“. „Die Kinder helfen uns Erwachsenen, dieses Kind zu bewahren und es zwischendurch auch auszuleben, das darf man nicht vergessen und sollte es auch zulassen“, sagt P. Schörghofer.
Ich schmunzle und muss an den letzten Regenspaziergang denken, den mein Mann und ich gemeinsam mit unserem Sohn unternommen haben – alle in kurzer Hose und in Gummistiefeln, von einer Lacke in die nächste hüpfend – und an die wunderbare kindliche Freude, die auch wir zwei Erwachsenen dabei hatten.
In den kommenden Wochen, möchte ich wieder so eine Freude haben. Mein Sohn hat Ferien und ich möchte mit ihm Dinge in und rund um Wien, die ich eigentlich schon kenne (oder glaube zu kennen) entdecken oder eben anders entdecken.
Ich werde dabei versuchen, nicht nur ihm etwas zu zeigen, was mir besonders gefällt, sondern auch einzufangen, was er sieht, Fotos von jenen Dingen machen, die meinem Kind besonders ins Auge stechen und die seine Perspektive zeigen.
Wir werden eine der ältesten und eine der jüngsten Kirchen in der Erzdiözese Wien besuchen, werden Geocachen gehen, den Zentralfriedhof entdecken und vieles mehr. Mal nur wir beide, mal gemeinsam mit meinem Mann, mal mit einem Freund oder auch mit den Großeltern.
Hier im SONNTAG werde ich von diesen „Sommerspaziergängen“ berichten und hoffe, Sie haben dabei genauso viel Freude wie wir.
In diesem Sommer will unsere Redakteurin Andrea Harringer gemeinsam mit ihrem 9-jährigen Sohn Dinge in und rund um Wien entdecken, die sie gerne mag und dabei nicht nur sehen, was sie sieht, sondern vor allem auch das sehen, was er sieht. Von diesen „Sommerspaziergängen“ berichtet sie hier.
Artikel der Serie:
Teil 1 der Serie: Schau doch mal! Da!
Teil 2 der Serie: Ruprechtskirche
Teil 3 der Serie: Von Bullaugen, sichtbaren Glocken und einer Arche Noah
Teil 4 der Serie: So viel Leben am Zentralfriedhof
Teil 5 der Serie: Wir sind dann mal geocachen
Teil 6 der Serie: Die andere Seite einer Erzählung
Teil 7 der Serie: Schatzkiste Stephansdom
Teil 8 der Serie: Nach Klosterneuburg - einmal nicht zur Ministrantenwallfahrt
Teil 9 - Ende der Serie: Ein Sommer voller Einblicke
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