Die wichtigste Liebesbeziehung deines Lebens
Selbstliebe hat nichts mit Egoismus zu tun. Im Gegenteil: Sie ist wichtig für eine gesunde Psyche und regt dazu an, auf sich selbst zu achten und sich persönlich weiterzuentwickeln. Wer sich selbst liebevoll annimmt, kann sogar bessere Beziehungen zu Mitmenschen aufbauen.
KATJA POLZHOFER
Achtsamkeit und Selbstfürsorge sind nicht erst seit der Coronakrise voll im Trend. Selbsternannte Coaches und Influencer*innen laden dazu ein, die innere Balance zu finden und die Selbstliebe zu stärken und Selbstfürsorge-Workshops boomen. Sie versprechen uns alles, was man für ein glückliches und zufriedenes Leben braucht. Doch wie steht eigentlich das Christentum zum Thema Selbstliebe? Ein Blick in die Bibel.
Das Doppelgebot der Liebe
Schon in der Bibel begegnet uns die Selbstliebe in der Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe. Im Matthäus-Evangelium heißt es:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Vernunft. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Das Zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,37-40)
Diese drei Formen der Liebe hängen unmittelbar zusammen. In ihrer je spezifischen Bedeutung sind sie wichtig und einzigartig. Sie spiegeln ein Beziehungsgeflecht wider. Basis dieser Einheit bildet die bedingungslose Liebe Gottes zu uns Menschen. Sie ist die antreibende Kraft, die Nächsten- und Selbstliebe erst ermöglicht.
Liebe stellt keine Bedingungen
Unabhängig von unseren Leistungen, unserem Reichtum, unserem Aussehen oder unserem Wirken sind wir von Gott bedingungslos geliebt. Vor Gottes Augen bestehen wir immer, weil Gott jedem und jeder von uns vom Anfang unseres Seins an seine immerwährende Liebe zugesagt hat. Blicken wir uns selbst so an, wie Gott uns sieht, ist es unmöglich, sich selbst nicht zu lieben. Leben wir wahrhaftig aus Gottes Liebe heraus, ist Missgunst und Feindschaft zu anderen nicht möglich. Warum gehen wir dann aber oft gerade mit uns selbst so schwer ins Gericht? Warum behandeln wir uns oft so, als wären wir unser größter Feind?
Die Botschaft von der Liebe ist toll, nutzt aber wenig, wenn man ein verschlossenes Herz hat und die Liebe nicht annehmen kann. Alte Glaubenssätze aus der Kindheit wie „Du bist nicht genug“ oder Sticheleien in der Jugend führen dazu, dass man an sich selbst zweifelt. Aus diesem Selbstzweifel heraus ist es unmöglich zu glauben, dass es da jemanden gibt, der mich so liebt und annimmt, wie ich bin.
Selbstzweifel? Nicht mit Gott!
Aus diesem Selbstzweifel heraus können wir uns selbst nicht annehmen und gut zu uns sein und es fällt uns auch schwerer, mit unseren Mitmenschen liebevoll umzugehen. Denn denke ich schlecht über mich, behandle ich mich wahrscheinlich schlecht und das färbt auf das soziale Miteinander ab. Wer unsicher oder verletzt ist, schaltet eher auf „Angriffsmodus“ um – ein Konflikt entsteht nicht selten aus Selbstzweifeln. In dieser Negativspirale verschließt sich mein Herz immer mehr und Liebe kann mich nicht mehr erreichen. Im Alten Testament spricht man auch von der Verstockung des Herzens, wie es im Psalm 81 beschrieben wird.
Gerade in Phasen der Selbstablehnung und des Zweifels dürfen wir uns in Gottes Liebe fallen lassen. Sie ist wie eine Quelle, die uns erfrischt und vor Augen führt, wie unendlich geliebt und gewollt wir sind. Sprich dich aus im Gebet und erzähle Gott von deinem Selbstzweifel!
Die wichtigste Person deines Lebens
Lade immer wieder die Liebe in dein Leben ein und mache dir bewusst, dass du die Person bist, mit der du in jeder Sekunde deines Lebens zusammen sein wirst. Das ist wohl die wichtigste Liebesbeziehung in deinem Leben und zugleich auch die größte Herausforderung. Denn niemand von uns ist sich seiner*ihrer immer zu 100% sicher und liebt sich dementsprechend.
Deswegen frage dich, in welcher Beziehung du mit dir selbst leben möchtest. Möchtest du die Person sein, die dich kleinhält, die schlecht von dir spricht, die dich ständig kritisiert, die dich hässlich findet, dich nicht für liebenswert hält? Oder möchtest du an deiner Seite der*die Freund*in sein, der*die liebevoll ist, dich wertschätzt, deine Grenzen respektiert und achtet, deine Einzigartigkeit feiert, dich motiviert und aufbaut?
Die goldene Regel
Selbstliebe ermöglicht dir, eine Beziehung zu dir aufzubauen, die auf Vertrauen und Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten und Grenzen basiert. Wer zu sich selbst steht und sich liebevoll annimmt, der kann auch zu seinen*ihren Mitmenschen gesunde und respektvolle Beziehungen aufbauen. Und das hilft wiederum, Konflikte schon vor ihrem Entstehen zu verhindern.
Selbstliebe ist wichtig, weil sie die Grundlage für ein gesundes und erfülltes Leben bildet. Sie fördert die Empathie zu mir selbst und zu meinen Mitmenschen. Sie fördert ein friedliches Miteinander, weil die Grenzen der*des anderen geachtet und respektiert werden. Ganz nach dem Motto: So wie ich behandelt werden möchte, so behandle ich auch meine Mitmenschen.
Aus: Movi – Die Zeitschrift der Jungen Kirche Wien, Ausgabe 1/2025 „Vom Streiten und Versöhnen“. Online-Version.